Kieler Woche 2020: Große Vorfreude und einige Fragezeichen

"Für die meisten Segler - vor allem im olympischen Bereich - liegt die letzte Regatta nun schon rund sieben Monate zurück. Alle freuen sich auf einen echten Wettkampf, vor allem vor unserer Haustür", sagte Nadine Stegenwalner, Sportdirektorin des Deutschen Segler-Verbandes (DSV), im Rahmen der Segel-Pressekonferenz in den Räumlichkeiten des DSV in Schilksee. Und schob die Hoffnung hinterher, die alle in Hinblick auf die Kieler Woche vereint: "Wir hoffen - wir beten -, dass es alles so stattfindet wie es geplant ist." Auf den Spuren von Olympia 1972: Das Hygienekonzept steht, am Montag begannen im Olympiahafen in Kiel-Schilksee die Aufbauarbeiten für die größte Segelveranstaltung der Welt, die in diesem Jahr in vielen Bereich überdies so ziemlich die einzige ist. "Das hat uns schon vor große Herausforderungen gestellt", gab Regatta-Organisationsleiter Dirk Ramhorst zu und skizzierte die Maßnahmen, mit denen die Gesundheit der Sportler und somit die gesamte Regatta sichergestellt werden soll: "Wir wollen die Kontaktarmut des Segelsports an Land übertragen. Wir segmentieren den Bootspark, so dass wir die Bootsklassen, also die Kohorten sozusagen, voneinander trennen, arbeiten mit einem Corona-Warn-Armband, haben im Hafen eine Maskenpflicht und trennen - wie bei den Olympischen Spielen 1972 - das Hafenvorfeld von Besucherströmen." Dazu gibt es die Möglichkeit für Schnelltests und Temperaturmessungen, auch der Zugang für Journalisten ist streng reglementiert. In den olympischen Klassen ist die Kieler Woche in diesem Jahr mit beinahe in jeder Klasse den Top Ten der letzten Weltmeisterschaften so gut besetzt wie seit den 1990er-Jahren nicht mehr - zumindest laut Meldelisten. Und genau hier stehen bis zum ersten Startschuss am Sonnabend noch Fragezeichen. Zwar habe man bisher mit Ausnahme einiger russischer Segler keine durch Absagen durch Corona und die daraus folgenden Einreise- und Quarantänebestimmungen erhalten, so Ramhorst. "Aber wer nachher wirklich aufs Wasser gehen wird, ist noch nicht zu 100 Prozent absehbar. Die Lage ist sehr dynamisch." Was geschieht mit Seglern aus Risikogebieten? Dabei besteht nicht zwangsläufig bei Athleten aus Übersee das größte Risiko. Die brasilianische Segel-Legende Robert Scheidt etwa, der im Laser Standard an den Start geht, wohnt am Gardasee, ist von den EU-Einreisebeschränkungen nicht betroffen, andere Teams haben ihr Lager schon vor längerer Zeit in Europa aufgeschlagen, um antreten zu können. Es sind vor allem die Segler aus den vom Robert-Koch-Institut in den vergangenen Wochen zu Risikogebieten erklärten Regionen in Spanien, Kroatien und Frankreich, die die Startliste noch ausdünnen könnten. Die deutschen Top-Athleten indes sind sicher dabei. Zum Beispiel die Kieler Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer im Nacra17-Katamaran. "Wir gehen immer mit sehr gutem Gefühl in Kiel an den Start", erklärte Kohlhoff. "Aber es ist wirklich sehr schwer, das internationale Level einzuschätzen." Die Crew mit Ziel Olympia-Medaille in Tokio sieht die Verschiebung der Spiele auf 2021 sogar positiv. "Wir hatten das Gefühl, dass uns das in die Karten spielt, denn wir haben es noch nicht geschafft, unser bestes Segeln auf die Bahn zu bringen", sagte Kohlhoff. "Wir haben Zeit geschenkt bekommen, und wollen die so gut wie möglich nutzen." Die Technik macht's möglich: Kohlhoff/Stuhlemmer segeln gegen sich selbst: Bis auf zwei Wochen zu Beginn der Corona-Krise konnten die deutschen Teams in Schilksee auf dem Wasser und auch den Einrichtungen an Land trainieren. "Weltweit hatte wohl niemand mehr Zeit und bessere Möglichkeiten für das Training", sagt Kohlhoff. Zwar ist die Crew national auf Olympia-Niveau nach dem Rückzug von Kohlhoffs ehemaliger Vorschoterin Carolina Werner und Steuermann Johannes Polgar so gut wie konkurrenzlos, "für uns war aber ohnehin der Anspruch immer, international die Spitze zu erreichen", so Kohlhoff. Gemeinsam mit dem DSV und vor allem mit Oliver Freiheit, Bundestrainer Technologie, entwickelten die Kieler eine Plattform, um mithilfe von Messungen, verschiedenen Kamerawinkeln und digitaler Datenanalyse quasi gegen sich selbst zu segeln. Und so ist das Ziel der jungen Katamaran-Crew für die Kieler Woche klar: "Wenn wir nicht in die Top Fünf oder mindesten Top Zehn fahren, haben wir in den vergangenen Monaten etwas falsch gemacht", sagt der Steuermann. Kieler Woche als Kampf um Olympia: Enorm spannend wird es im 49erFX, wie der Nacra17 einer der vier Disziplinen, in denen die Kieler Woche vom DSV als Qualifikationsevent für die Spiele in Tokio 2021 ausgewählt worden ist. Die Olympia-Seglerinnen von Rio 2016, Victoria Jurzok und Anika Lorenz (Berlin), kämpfen gegen Tina Lutz (Chiemsee) und die Stranderin Susann Beucke um das Ticket für Japan. "Es ist ein tolles Teilnehmerfeld", sagt Beucke mit Blick auf unter anderem die Weltmeisterinnen Tamara Echegoyen/Paula Barcelo aus Spanien sowie die Olympiasiegerinnen Martine Grael/Kahena Kunze aus Brasilien. "Das Interesse an der Kieler Woche ist riesig. Und für uns ist es ein Härtetest nach dem Sommer. Kiel ist unser Saisonhöhepunkt. So bereiten wir uns auch vor und haben nichts anderes im Regattakalender.“ Für die FX ist die Kieler Woche der dritte und letzte Teil der internen Ausscheidung, Lutz/Beucke gehen mit zwölf Punkten Vorsprung ins Rennen. Die Freude über die Möglichkeit, Regatta zu segeln, ist bei allen Seglern riesig. Aber sie bringt auch Verantwortung mit sich. "Wir freuen uns alle, dass wir uns wiedersehen, aber wir alle müssen auch die Regeln einhalten", sagte Nadine Stegenwalner. "Hier sind die Segler gefragt, damit diese Veranstaltung wirklich wie geplant stattfinden kann." Mehr zum Segelsport lesen Sie hier.