Warum "Pitti" immer ans Endspiel denkt

Das Büro von Klaus-Dieter „Pitti“ Petersen atmet Handball. „Käpt’n Pitti“ steht an der Tür des kleinen Raums in der Geschäftsstelle der Nachwuchs-Leistungshandball GmbH des THW Kiel, der Schaltzentrale, wo der 340-fache deutsche Nationalspieler und langjährige Kapitän des DHB-Teams nun als Nachwuchskoordinator des THW Kiel die Weichen stellt. Hinten links in der Ecke hängt seine Medaillen-Sammlung, daneben eine weiße Krawatte mit THW-Logo, ein Profi-Trikot von Sven Ehrig, der aus dem Nachwuchs den Sprung in die Bundesliga-Mannschaft schaffte – mit Dank an den Jugendtrainer. Einen Sessel hält Petersen für Golden-Retriever-Hündin Ida frei, ansonsten stapeln sich Trainingspläne, Stretching-Poster, auch die Corona-Unterstützer-Urkunde für seinen langjährigen Klub hat einen Platz gefunden. Während der Pandemie ein Buch geschrieben: Die Pandemie hat die THW-Legende genutzt, um gemeinsam mit dem Journalisten Jörg Lühn ein Buch über sein Handballer-Leben zu schreiben. „Das Herz muss voller sein als die Hose“ heißt es (siehe Infokasten). Dieses Credo will Petersen auch seinen jugendlichen Schützlingen vermitteln. An normales Training ist derzeit bei den Nachwuchs-Handballern nicht zu denken. In Altenholz, wo die Wege zwischen Handballer-WGs im Boarding-Haus „Westside Living“, Trainingshalle und Schule in Friedrichsort so kurz sind, dass die Jugendlichen optimale Bedingungen für ein Profi-Leben haben, ist coronabedingt nichts, wie Petersen und sein Trainerteam es sich ausgemalt hatten. Die Nachwuchs-Zentrale ist ziemlich verwaist. Keine Sorgen um den Handball-Nachwuchs: Petersen hat sich damit arrangiert, auch wenn er weiß, dass die Pandemie für seine ehrgeizigen Schützlinge zu einem kritischen Zeitpunkt ihrer Entwicklung kommt. Wer den Sprung zu einem Bundesliga-Verein schaffen will, bei dem darf auf dem Weg wenig schiefgehen. Sorgen um den Handball-Nachwuchs macht „Pitti“ sich aber nicht. „Jedenfalls nicht, wenn wir den Spaß und die Begeisterung in den Mittelpunkt stellen, sobald wir wieder spielen können“, sagt der 52-Jährige. „Das sind ja die Gründe dafür, dass Jugendliche Handball spielen – oder generell Sport treiben. Es sollte also nicht nur um Titel und Meisterschaften gehen.“ Bis dahin stehen Einzeltraining oder Home-Fitness über Zoom auf dem Programm. Petersen selbst hat die Corona-Zäsur genutzt, um ein Buch zu schreiben. „Das war schön. Die Arbeit daran war wie eine Reise durch die einzelnen Stationen“, sagt er. Denn zu erzählen hat der neunfache deutsche Meister, EHF-Pokalsieger und Europameister so Einiges. Nicht nur von Triumphen oder Enttäuschungen – wie der im Olympia-Finale 2004, nach dem er über seine Silbermedaille anschließend sagte: „Irgendwann werde ich diese Medaille mögen.“ Immerhin: Inzwischen hängt sie in seine Büro zwischen den anderen. Serdarusic und Brand als prägende Trainer: Petersen erzählt auch Anekdoten, die sich neben dem Feld zutrugen, zum Beispiel im Heim des langjährigen THW-Trainers Noka Serdarusic. Dort trafen sich die Zebras seinerzeit immer zum Videostudium und wurden dabei von Mirjana Serdarusic fürstlich bewirtet. „Noka war immer schon auf seine Video-Ausarbeitung fokussiert“, erinnert sich Petersen. „Aber Mirjana hat gesagt: ,Die Jungs müssen jetzt erst mal essen – und dürfen sich auch dreimal nachholen.’“ Serdarusic und Heiner Brand sind die Trainer, die Petersen in seiner Laufbahn am meisten geprägt haben, da muss der 1,98-Meter-Hüne nicht lange überlegen. „Noka war eine Person, die nicht nur den Handball gesehen hat, sondern auch versucht hat, seine Spieler mitzunehmen“, sagt er. „Und Heiner zeichnete diese Ruhe und dieses akribische Arbeiten aus. Und er ließ auch mal Platz für neue Dinge.“ So kam es schon mal vor, dass die Nationalspieler sich – natürlich unter fachkundiger Anleitung eines Experten – barfuß über heiße Kohlen gehen mussten. Oder mit Holzstäben die Muskulatur bearbeiteten. Von psychologischen Kniffen: Erfahrungen, die Petersen selbst nun bei seiner Arbeit als Trainer einfließen lässt. Auf dem Weg zum Europameistertitel mit der U18 rund um Spieler wie Timo Kastening im Jahr 2012 ließ er seine Truppe nach einem Vorbereitungsturnier am späteren Spielort in Bregenz noch einmal besonders hart trainieren, ehe er sie auch noch den Berg Pfänder erklimmen. „Verbunden durch ein Seil, eine Zauberschnur, die niemand loslassen durfte“, erzählt er. Immerhin: Nach diesem Kraftakt durfte die Mannschaft mit der Seilbahn hinunter fahren. Eine Teambuilding-Maßnahme, die sich ein paar Wochen später auszahlen sollte: Hatte Deutschland in der Vorrunde gegen den späteren Finalgegner Schweden noch mit neun Toren verloren, schlugen Kastening und Co. die Skandinavier nun im Finale mit 30:29. „Und ich musste vorher nicht mehr viel tun, habe einfach jedem sein Seilbahn-Ticket aus der Vorbereitung in die Hand gedrückt“, sagt Petersen, der vor allem eine Trainer-Weisheit verinnerlicht hat: „Man stellt Weichen für das Endspiel und nicht fürs erste Spiel oder die Vorrunde. Wenn dann die Rädchen ineinander greifen, kann man viel gewinnen.“ Petersen hat von Kiel aus die große Handball-Welt erobert und will nun Nachwuchsspielern helfen, es ihm gleich zu tun. „Wenn man etwas erleben will, muss man aufs Meer hinaus“, sagt er. Oder mit anderen Worten: Das Herz muss voller sein als die Hose. Hier gibt es das Buch zu kaufen: Die Biografie von Klaus-Dieter Petersen und Jörg Lühn ist im Buchhandel und online erhältlich. Die Paperback-Ausgabe (ISBN: 978-3-347-17068-1) kostet 17,90 Euro, das Hardcover (ISBN: 978-3-347-17069-8) 27,90 Euro und das e-Book 9,99 Euro.

Biografie einer THW-Ikone - Warum "Pitti" Petersen immer ans Endspiel denkt