Champions-League-Finale gegen Barcelona: THW Kiel darf vom vierten Titel träumen

Die Realitäten in der Handball-Welt stellen sich derzeit manchmal verzerrt dar. So auch beim Final Four in Köln, wo die 20.000 Plätze in der Lanxess-Arena coronabedingt leer bleiben. Wo der THW Kiel infolge der Pandemie ohne Linksaußen Magnus Landin und Abwehrspezialist Pavel Horak antreten musste, erst über sich hinaus wuchs, dann einbrach, sich zurückkämpfte und am Ende mit dem hauchdünnen 36:35-Sieg und dem Finaleinzug belohnt wurden. Zunächst machten die Kieler fast alles richtig, hatten offenbar aus der 33:41 aus der aktuellen Gruppenphase Anfang Dezember gelernt und waren auf Revanche aus. Provozierte Ballgewinne: Präzision statt Tempo schien Trainer Filip Jicha vorgegeben zu haben. Und seine Spieler um Regisseur Miha Zarabec setzten es um, ließen in den ersten sechs Minuten kein Gegentor zu. Dafür traf Rune Dahmke schnell zweimal. Der Linksaußen hatte zuletzt mit Knieproblemen pausiert. Im Champions-League-Halbfinale mobilisierten die Zebras aber alle verbliebenen Kräfte. Vor allem in der Abwehr waren sich Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Steffen Weinhold für keinen Schritt zu schade, provozierten Ballgewinne und schnelle Gegenstoß-Tore - in Überzahl auch dreimal aufs leere Veszprémer Tor. So setzten sich die Kieler nach knapp einer Viertelstunde durch einen Ekberg-Siebenmeter zum 10:6 auf vier Tore ab, wirkten wacher, engagierter als die Ungarn. Veszprém sah sich durch die Kieler Langsamkeit seinem Tempospiel beraubt, offenbarte Probleme im Positionsangriff. Als THW-Rechtsaußen Niclas Ekberg per Gegenstoß zum 15:10 traf (21.) griff Veszprém-Trainer David Davis bereits zum zweiten Mal zur Grünen Karte. Allein, es half nichts: Mit seiner sechsten Parade kaufte Niklas Landin im THW-Tor Andreas Nilsson einen Wurf ab, dann spielte Omar Yahia Wiencek den Ball in die Hände. Bei Veszprém häuften sich die Fehler. Und die Kieler, bei den Kapitän Domagoj Duvnjak in seinem zweiten Spiel nach der Genesung von Covid-19 zu Kurzeinsätzen kam, hielten die Konzentration hoch. Erst Pekeler per Gegenstoß, dann Miha Zarabec erhöhten auf 17:10 (26.). Der Finaleinzug lag in der Luft. Erst nach elf Minuten ohne Treffer brach Vuko Borozan den Bann bei den ungewohnt kopflosen Ungarn. Dennoch gingen sie mit einem 13:18-Rückstand in die Pause. Nach Wiederanpfiff erhöhte Pekeler mit seinem sechsten Treffer im sechsten Versuch zunächst auf 21:15 (34.), dann aber steigerte sich Veszprém in allen Mannschaftsteilen: Omar Yahia übernahm im Angriff Verantwortung, die Abwehr packte aggressiver zu und Rodrigo Corrales parierte erst zweimal gegen Sagosen, dann gegen Weinhold und ermöglichte so eine Aufholjagd der Ungarn. Die versuchte Filip Jicha beim Stand von 22:20 (41.) mit einer Auszeit zu stoppen. Dario Quenstedt kam für Niklas Landin ins Tor und Domagoj Duvnjak übernahm die Rolle des Störers an der Spitze der neu formierten 3:2:1-Abwehr. THW Kiel verliert Präzision : Doch Veszprém war nun im Spiel, und beim THW ging die Präzision verloren. Ein Fehlpass von Sagosen auf den an den Kreis eingelaufenen Ekberg, ein Stürmerfoul von Reinkind - Vuko Borozan nutzte die Gelegenheit, beim 24:24 (46.) auszugleichen. Corrales parierte gegen Sagosen, beim THW kam Landin zurück zwischen die Pfosten, konnte das 25:24 durch Marguc zur ersten Veszprémer Führung aber nicht verhindern. Also doch ein Déjà vu statt einer Revanche? Veszprém startete einen 7:0-Lauf, lag zehn Minuten vor Schluss plötzlich mit 28:24 in Front. Kurz ließen die Kieler die Köpfe hängen, kämpften sich dann aber - angeführt von Duvnjak und Sagosen - zurück. Beim 28:28 glich der Norweger wieder aus - nun entwickelte sich die Partie zum echten Halbfinal-Krimi, der in die Verlängerung ging. Offener Schlagabtausch: Die geriet zum offenen Schlagabtausch - und bekam eine weitere dramatische Wende, als Patrick Wiencek in der 64. Minute beim Stand von 32:32 aus unerfindlichen Gründen mit Rot vom Platz musste. Kentin Mahé verwandelte den folgenden Siebenmeter zum 33:34, Corrales parierte einmal mehr gegen Sagosen und nach dem 34:32 durch Nenadic hatten die Kieler fünf Minuten, um in der zweiten Hälfte der Verlängerung einen Zwei-Tore-Rückstand aufzuholen. Lesen Sie auch: Barcelona sichert sich Final-Ticket Das erledigte Pekeler mit vollem Körpereinsatz, als er einen Weinhold-Abpraller erkämpfte und zum 34:34 verwandelte. Nun strauchelte auch Veszprém im Angriff wieder - Drama über Drama. Und schließlich ein Treffer von Niclas Ekberg - und nicht irgendeiner. Der zum 35:34 (68.), Ekbergs sechster - und damit der, mit dem er sich a die Spitze der Torjägerliste der Saison 2019/20 setzte. 40 Sekunden vor Schluss setzte der Schwede noch einen drauf, traf zum 36:35 - die Kieler hatten nun alle Trümpfe in der Hand. Sechs Sekunden blieben Veszprem für einen finalen Treffer, schließlich ein letzter direkter Freiwurf. Nenadic trat an, traf Niclas Ekberg mitten im Gesicht, so dass es knallte - Jubel, Entsetzen, kurzes Handgemenge, Sorge bei den Kielern. Am Ende hüpft Ekberg aber mit im Jubelkreis der Zebras, die nun im Finale am Dienstag (20.30 Uhr) trifft auf den Rekord-Champions-League-Sieger FC Barcelona treffen. Die Katalanen, die in der Königsklasse bereits achtmal triumphierten, gewannen am Montag bei ihrem 37:32-Halbfinalsieg über Paris St. Germain die 22. Partie in Serie in diesem Wettbewerb. Die Statistik: THW Kiel gegen Telekom Vesprzem: THW Kiel: N. Landin (1.-41. und ab 47. Minute/10 Paraden), Quenstedt (41.-47./1) – Ehrig n.e., Duvnjak 4, Sagosen 5, Reinkind 1, Sunnefeldt n.e., Weinhold 3, Wiencek 2, Ekberg 7/4, Ciudad n.e., Wäger n.e., Dahmke 3, Zarabec 3, Voigt, Pekeler 8. Veszprém: Corrales (1.-60. Minute/17 Paraden), Cupara (bei zwei 7m/0) – Manaskov 2, Yahia 5, Ferreira 1, Tønnesen, Nilsson 2, Markussen n.e., Marguc 7, Blagotinsek, Shishkarev n.e., Nenadic 2, Mahé 4/3, Maqueda 1, Lekai 4, Borozan 7. Schiedsrichter: Marin/Garcia Serradilla (Spanien) – Strafminuten: THW 10 (Pekeler, 2x Sagosen, Dahmke, Duvnjak), Veszprém 8 (Maqueda, Nilsson, Blagotinsek, Ferreira) – Disqualifikation: Wiencek (THW/64./Foul), Nenadic (Veszprém/70./Unsportlichkeit) – Siebenmeter: THW 4/4, Veszprém 3/3 – Spielfilm: 2:0, 3:3 (7.), 5:5, 10:6 (14.), 12:10, 17:10 (26.), 18:13 – 20:14, 22:20 (41.), 24:24, 24:28 (51.), 29:29 – 32:34 (65.), 35:34 (68.), 35:25, 36:35 – Zuschauer: keine in der Kölner Lanxess Arena.