Geisterspiele: Handballer des THW Kiel vermissen die Fans

Sonnabendabend, Wunderino-Arena, Kiel: Die Einlaufmusik schallt ins Leere, ein kalter Hauch zieht über den Boden. Die blauen Sitzschalen sind verwaist, weit überspannt mit einem Banner und den Worten: Wir vermissen Euch! Wo sonst die Motivation der Menge Kiels Handball-Gladiatoren mit Adrenalin versorgt, saugt an diesem Abend, an dem der THW Kiel mit dem 29:19 einen Liga-Pflichtsieg über die Eulen Ludwigshafen einfährt, das große Nichts Kraft aus längst geschundenen Körpern. Anschließend steht THW-Kiel-Coach Filip Jicha in den Katakomben der Wunderino-Arena, in der er als Spieler Meistertitel errang, Fan-Fotos knipsen ließ, das Bad in der schwarz-weißen Menge genoss. Das alles fehlt dem Spitzen-Handball derzeit. Während der Partie schauen etwas über 300 Papp-Fans stumm zu, auch beim vierten Match ohne Publikum versuchen ein paar trommelnde Aufbauhelfer, Atmosphäre zu schaffen. Spiele des THW Kiel in der Wunderino-Arena: Es fehlen die Emotionen: Nach der Schlusssirene übertüncht eine neue Traurigkeit ob der energieraubenden Rahmenbedingungen Jichas Freude über den Sieg gegen die Eulen und die verteidigte Tabellenführung. „Brutal! Für mich sind das traurige Momente“, sagt Jicha mit Blick in das leere Rund. „Wir machen die Arbeit für die Stadt, für die Fans, die draußen warten. Wir vermissen die Fans unheimlich. Abgesehen davon, dass sie uns wirtschaftlich tragen, fehlen auch die Emotionen.“ Jicha gibt zu: „So macht das wenig Spaß. Es kostet Kraft, das zu akzeptieren.“ Auch bei Rune Dahmke hinterlässt die fehlende Unterstützung der Fans Spuren „Mittlerweile ist es richtig traurig“, sagt der THW-Linksaußen, „und je länger das dauert, desto mehr merkt man das auch.“ Lesen Sie auch: KN-online-Aktion: Ihr Fan-Zuspruch für die Zebras Die Kieler Spieler machen kein Hehl daraus, dass es „sehr schwer“ (Domagoj Duvnjak) ist, an einem Sonnabendabend durch eine leergefegte Kieler Innenstadt in eine leere Arena zu fahren und auf den Punkt bereit für 60 Minuten Kampf auf dem Feld zu sein. „Man läuft hier rein und denkt, es interessiert eigentlich sowieso keinen“, sagt Dahmke. „Und dann fragt man sich schon kurz: Wieso machen wir das?“ Durch Geisterspiele: Leichteres Spiel für die Gegner des THW Kiel: Die Abwesenheit ihrer Anhänger scheint Mannschaften wie den THW Kiel oder auch den SC Magdeburg, die traditionell eine große und dauerpräsente Fan-Basis haben, auch sportlich hart zu treffen. Der SCM konnte in dieser Saison bislang nur zwei Heimspiele gewinnen. Die Zebras offenbaren zumindest in der Champions League, in der ihnen noch kein Heimsieg gelang, eine ungewohnte Schwäche in eigener Halle. Lesen Sie auch: THW-Star Wiencek sagt WM-Teilnahme ab THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi sagt: „Gerade Mannschaften, die international erfahren sind und wissen, was es sonst heißt, hier in Kiel anzutreten, haben es jetzt vor leeren Rängen deutlich leichter.“ Den Zebras fehlt die „externe Motivation“, wie Rune Dahmke es nennt, die Energie-Tankstelle in Kiel, wo der Zuspruch von über 10000 Zuschauern nach anstrengenden Auswärts-Touren wie den jüngsten im Dezember neue Kräfte freisetzt. „Wenn die Saison läuft, man schon ein bisschen müde ist, aber trotzdem seine Leistung zeigen muss – und dann kommt man hier rein und 10000 Leute schreien einen an, dann bekommt man diesen letzten Push, diese letzten zehn Prozent“, beschreibt Dahmke, was den Zebras ihren Job derzeit noch schwerer macht als sonst im traditionell vollgepackten Dezember. Keine "Stimmung aus der Dose" geplant: Stimmung „aus der Dose“, wie Telekom Veszprém sie jüngst in Ungarn beim Spiel gegen den THW Kiel mit eingespielten Fan-Gesängen fabrizierte, kommt für die Zebras dennoch weiterhin nicht infrage. In der Liga ist es ohnehin verboten, Fangesänge zu verstärken oder zu imitieren. Und so bleibt den Spielern ein Lichtblick, der am Ende des „schwarzen Tunnels“ (Jicha) Dezember wartet: Das Nachhol-Final-Four um die Champions League (28./29. Dezember) in Köln. „Das wird ein Highlight“, sagt Dahmke. Ob mit oder ohne Fans. Von Merle Schaack und Tamo Schwarz