Der neue Corona-Alltag der THW-Spieler

Die vergangenen Tage haben Spuren hinterlassen bei Rune Dahmke. Nach den vielen Spielverlegungen als Folge von Coronavirus-Infektionen in mehreren Mannschaften der Handball-Bundesliga hat der Linksaußen des THW Kiel an Spieltagen morgens ein neues Ritual: Der erste Blick geht aufs Handy. "Damit ich weiß, ob ich meine Sachen jetzt packen muss oder nicht", erzählt Dahmke aus dem neuen Corona-Alltag der Zebras kurz vor dem Champions-League-Kracher gegen den FC Barcelona (Donnerstag, 18.45 Uhr, Wunderino Arena). Denn spontane Spielausfälle sind in diesen Wochen keine Seltenheit. Und auch wenn die Sportler versuchen, sich bei der Vorbereitung nicht von den äußeren Umständen aus dem Tritt bringen zu lassen, zu denen neben dem bangen Warten auf Testergebnisse auch die Diskussion um die bevorstehende Weltmeisterschaft gehört – so ganz ausblenden lässt sich die verschärfte Corona-Lage eben doch nicht. „Im Training geht der Blick schon häufiger zur Tür. Gefühlt könnte dort jeden Moment jemand auftauchen und sagen: ,Das war’s jetzt'“, erklärt Dahmke die derzeitige Sorge aller Berufshandballer. Mental schwere Woche liegt hinter den Spielern: Auch mit Spielern anderer Vereine stehen die Zebras in Austausch. Als vergangene Woche mehrere deutsche Nationalspieler im Anschluss an die gemeinsame Länderspielwoche positiv getestet wurden und auch eine Unterbrechung des Ligaspielbetriebs denkbar schien, brodelte die Gerüchteküche auch bei den Spielern. "Das war mental sehr schwer", sagt Dahmke. "Da hat man sich schon gefragt, wofür man trainiert. Es war ein bisschen so wie im März." Eines ist im "Lockdown light" aber doch anders. "Man hat jetzt das Gefühl, dass wirklich alles dafür getan wird, den Ligaspielbetrieb aufrecht zu erhalten", sagt Dahmke. Ein Lichtblick für die Vollblut-Sportler. Dennoch, die Erfahrung des Abbruchs der Vorsaison, verbunden mit der Meisterschaft des THW Kiel durch die Quotientenregelung, ist noch immer präsent. Kielerin wartet seit über elf Tagen auf das Ergebnis in der Corona-Warn-App Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein An diesen Schulen und Kitas gibt es Corona-Fälle Aktuelle Statistik: So viele Corona-Infizierte gibt es in Schleswig-Holstein Weitere Informationen zum Coronavirus erhalten Sie auf unserer Themenseite. Jedes Spiel gewinnt an Wichtigkeit: 19 Spieltage müssen absolviert werden, damit die Bundesliga gewertet werden kann. In der Champions League 2019/20, deren Final Four mit THW-Beteiligung (Halbfinale am 28. Dezember gegen Telekom Veszprém) noch aussteht, qualifizierten sich die vier zum Abbruch-Zeitpunkt besten Mannschaften aus den Top-Gruppen A und B für die Endrunde. Dieses Szenario könnte auch in dieser Saison eintreten. „Bei uns ist sowieso jedes Spiel wichtig. Aber jetzt wird jedes noch wichtiger“, sagt Dahmke. „In einer normalen Saison weiß man, dass es mit mehr als vier Minuspunkten schwer wird, um die Meisterschaft mitzuspielen. Unter den aktuellen Voraussetzungen darf die Anzahl der verlorenen Spiele auf jeden Fall nicht höher werden.“ Einfache Handball-Mathematik, die auch der Grund dafür ist, dass die Verantwortlichen des THW Kiel versuchen, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Sportler möglichst wenig Störgeräusche mitbekommen. „Die machen einen richtig guten Job“, sagt Dahmke. „Viktor (Geschäftsführer Szilagyi, d. Red.) regelt immer alles für uns, ist immer auf dem neuesten Stand und hat alle Infos, wenn man etwas wissen will. Und Filip (Trainer Jicha, d. Red.) und Sprengi (Co-Trainer Christian Sprenger, d. Red.) sagen ganz klar, dass es nicht unsere Aufgabe ist, zu entscheiden, wann und ob wir spielen. Sondern, dass es unser Job ist, uns so gut es geht darauf vorzubereiten.“ Lesen Sie auch: WM während Corona: THW-Profis sind skeptisch THW-Spieler bekommen neue Zimmerkollegen: Dazu gehört auch, das Infektionsrisiko bestmöglich zu minimieren. So tragen die Spieler beim gemeinsamen Videostudium Masken, auf Auswärtsfahren teilen sich nicht mehr – wie seit Jahrzehnten Tradition – die Positionskollegen ein Hotelzimmer. Damit soll verhindert werden, dass beispielsweise beide Torhüter gleichzeitig durch Infektion oder Quarantäneregelung ausfallen. "Und wir passen auf, dass wir als Mannschaft unter uns bleiben, uns nicht mit anderen treffen", berichtet der gebürtige Kieler Dahmke, der den Kontakt zu seinen Freunden außerhalb der Mannschaft ebenfalls stark eingeschränkt hat. Zum Handball-Alltag im Pandemie-Modus gehören inzwischen auch Geisterspiele vor leeren Rängen. Ein Umstand, an den die Sportler sich noch nicht ganz gewöhnt haben. "Je größer die Hallen sind, desto mehr hat man das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt", berichtet Dahmke, dem vor allem in den heißen Schlussphasen enger Partien der Druck von den Rängen fehlt: "Dadurch kommt in den letzten zehn, 15 Minuten oft noch mal eine Portion Extra-Aggressivität ins Spiel. Die wird jetzt nicht so richtig freigesetzt. Manchmal springt der Funke einfach nicht so richtig über." Top-Spiel-Charakter gegen Barcelona auch ohne echte Fans: Auf das Weltklasse-Duell mit dem Star-Ensemble vom FC Barcelona am Donnerstag freut sich der 27-Jährige trotzdem, auch wenn die inzwischen über 350 Papp-Fans, mit denen die THW-Anhänger auch von zu Hause ihre Unterstützung ausdrücken, auch am Donnerstag still bleiben werden - ein krasser Kontrast zur üblichen Hexenkessel-Atmosphäre bei Spielen gegen Barcelona. "Der Top-Spiel Charakter bleibt trotzdem, auch wenn etwas fehlt", sagt Dahmke. "Für diese Spiele machen wir das ja alles. Sie zeigen uns, wie gut wir wirklich sind." Für die Partie gegen die in der heimischen Liga und in der Champions League (Saison-übergreifend 18 Siege in Folge) bislang ungeschlagene Mannschaft um den Ex-Kieler Aron Palmarsson und Weltstars wie Luka Cindric, Raul Entrerrios oder Blaz Janc prognostiziert Dahmke eine Siegchance von 50 Prozent für beide Mannschaften. "Es wir extrem schwer, Barcelona hat eine unglaubliche Mannschaft. Aber wir müssen uns nicht verstecken, unser Kader ist genauso gut", sagt er. Auch die Papp-Fans bereiten den Spielern Freude: Und einen kleinen Heimvorteil haben Dahmke, Sagosen, Duvnjak und Co. am Donnerstag vielleicht auch ohne echtes Publikum. Denn längst haben die Zebras auch zu ihren Papp-Fans eine emotionale Bindung aufgebaut. "Es ist schön, dass sie da sind. Das ist nicht so komisch wie auf leere Sitze zu gucken", sagt Dahmke und grinst: "Wenn wir in die Halle kommen, gucken wir uns die Bilder an - und zählen, wie viele neue Hunde dazugekommen sind."

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