Meisterschaft vor Champions-League: Wie der THW Kiel Kräfte sparen will

Filip Jicha wird in Auszeiten nur selten laut. Eine der wenigen Ausnahmen war die Schlussphase der verlorenen Partie des THW Kiel am Mittwochabend in Veszprém (33:41). Als seine Mannschaft, die zur Pause noch das Remis (19:19) hielt, nach 50 temporeichen Minuten und Torspektakel abreißen ließ, forderte der Tscheche emotional, „nach unseren Standards“ zu spielen. Die Forderung verpuffte, und nach ein paar Stunden Schlaf am Donnerstagvormittag kehrte bei Jicha Milde zurück. Seine Spieler seien nach drei Auswärtsspielen in sechs Tagen „unglaublich kaputt“, konstatierte der THW-Coach, der längst mit dem Videostudium für den nächsten Gegner Eulen Ludwigshafen (Sonnabend, 20.45 Uhr) beschäftigt war. Jichas kurzzeitiger Ärger – verraucht. Stattdessen warb er um Verständnis. „Ich würde mir wünschen, dass die Jungs mehr Respekt dafür bekommen, was sie in dieser Zeit leisten“, sagte Jicha. „Ich habe gesehen, wie sie nach unserer Ankunft aus dem Flieger gestiegen sind. Da ist keiner mehr rund gegangen.“ Trotz Niederlagen ist für den THW Kiel noch alles drin: Der Spagat zwischen Liga-Spitze in Deutschland und dem Anspruch, auch in Europa jederzeit am oberen Leistungslimit zu spielen, erwies sich für die Kieler in den vergangenen Wochen als zu groß. „Wir müssen schauen, was für uns am wichtigsten ist“, sagt Jicha deshalb. „Wo wir 100 Prozent geben und wo wir Kräfte einsparen.“ Das sind neue Worte für den 39-Jährigen, der sonst gerne vom „Maximalen“ spricht. Ehrliche Worte. Denn klar ist: Die Ausbeute der Kieler in der Königsklasse mit nur sieben Punkten aus acht Spielen ist aus Kieler Sicht zwar ungewöhnlich, aber kein Beinbruch. Die ersten sechs Mannschaften aus der Achter-Gruppe erreichen die K.o.-Runde. Dieses Minimalziel ist derzeit nicht gefährdet. Zwar genießen die Ersten und Zweiten das Privileg des direkten Viertelfinal-Einzugs, und die Chance darauf ist für die Kieler nach den jüngsten drei Niederlagen in weite Ferne gerückt. Dennoch ist in dem Wettbewerb für die Zebras weiter alles möglich. Jicha sieht deutsche klubs benachteiligt: In der Bundesliga tut dagegen jeder Punktverlust im Kampf um die deutsche Meisterschaft weh. Der Fokus der von Terminhatz geplagten deutschen Topklubs dürfte – zumindest in dieser Phase der Saison – auf der nationalen Liga liegen. „Kräfte sparen“ – wenn überhaupt ist das in der Champions-League-Gruppenphase möglich. Jicha sagt, dass es „für deutsche Klubs unmöglich ist, in der Champions League immer ganz vorne mitzumischen.“ Dafür seien die Bedingungen zu unterschiedlich. „Barcelona und Veszprém haben einfach größere Kader, weniger Belastung und die Möglichkeit, sich ganz auf die Champions League zu konzentrieren.“ Tatsächlich scheiterten die deutschen Vertreter in der Königsklasse meist vor der Endrunde in Köln, seit die Gruppenphase auf acht Mannschaften, unter denen es früh zu zahlreichen Top-Duellen kommt, aufgebläht wurde. Nur in der ersten Saison 2015/16 qualifizierten sich die Kieler für das Final Four in Köln – und eben in der vorzeitig abgebrochenen Corona-Saison 2019/20. Jicha: "Niederlagen werden sich summieren": „Unsere jetzige Situation mit der von vor zehn Jahren zu vergleichen, wäre unfair. Niemand darf damit rechnen, dass wir eine Dominanz aufbauen“, sagt Jicha, der auch für die Zukunft verlorene Top-Duelle einkalkuliert. „Vielmehr werden sich die Niederlagen summieren. Und es ist mein Job zu sehen, wo wir sie uns leisten können. Es geht darum, am Ende der Saison die Möglichkeit zu haben, um Titel zu spielen – denn das wollen wir“, sagt Jicha. „Wir dürfen uns nicht von Niederlagen und Rückschlägen beeinflussen lassen“, fordert der Zebra-Coach, der längst vom Königsklassen- in den Bundesliga-Modus geschaltet hat. Der Tabellen-17. Ludwigshafen ist auf dem Papier weit weg von Spitzenreiter Kiel. Doch in der Liga kann sich der THW keinen Ausrutscher leisten. „Da müssen wir da sein“, weiß Jicha.