THW Kiel nach Champions-League-Triumph im Freudentaumel

Filip Jicha wusste nicht wohin mit seinen Gefühlen. 2010 hatte der tschechische Trainer des THW Kiel in der Kölner Lanxess-Arena seinen ersten Champions-League-Titel geholt. Für den Verein hatte er sich aufgerissen, den Körper nie geschont, und als er nach dem Abpfiff des unerwarteten 33:28-Finalsiegs über den FC Barcelona so schnell wie möglich zu seiner Mannschaft eilte, sah man an den unrunden Schritten die Spätfolgen einer erfolgreichen, aber zehrenden Spieler-Karriere. "Ich finde keine Worte, bin so emotional", sagte der 38-Jährige kopfschüttelnd, nach seinem ersten internationalen Titelgewinn der noch jungen Trainerkarriere. "Ich freue mich so für die Jungs und den Verein. Wir wussten, wir müssen höllisch kämpfen. Die Jungs haben etwas so Unerwartetes geschafft. Ich bin einfach überwältigt." 2019 hatte Jicha beim THW Kiel das Ruder an der Seitenlinie von Vorgänger Alfred Gislason übernommen, war ein Jahr zuvor in der Rolle des Co-Trainers von seiner letzten Spieler-Station nach Kiel zurückgekehrt - vom FC Barcelona, dem Finalgegner vom Dienstagabend, bei dem Jicha 2017 seine aktive Karriere beendet hatte. Nun darf er sich der erste Handballer nennen, der in Köln sowohl als Spieler (2010 und 2012 mit dem THW Kiel) als auch als Trainer triumphiert hat. Lesen Sie auch: Finalsieg über den FC Barcelona: THW Kiel schreibt ein Wintermärchen Jicha und das Sieger-Gen: Das hat wohl auch etwas mit der Einstellung zu tun, die Jicha bei den Traditionklubs in Kiel und Barcelona zehn Jahre seiner Karriere gelebt hat - und nun seinen Spielern vorlebt. Beeindruckend war das Selbstbewusstsein, mit dem sich die dezimierten Zebras in der Rolle des klaren Außenseiters und mit dem Halbfinal-Drama gegen Telekom Veszprém in den Beinen ins Endspiel gingen. Ruhig, kontrolliert, an den richtigen Stellen emotional und aufopferungsvoll kämpfend - aber nie überdrehend. Im Stile eines Champions. "Das lag daran, dass Filip uns richtig gut eingestellt hat", sagte Torwart Niklas Landin, einer der Erfolgsgaranten der Kieler, nach dem Spiel. "Er lebt diese Einstellung vor, schon durch die Art und Weise, wie er auftritt, wie er sich selbst vorbereitet, wie er mit jedem Spieler einzeln spricht. Es ist nicht selbstverständlich, dass man in einem Champions-League-Finale auf den Punkt top eingestellt ist. Da muss man genau den richtigen Punkt treffen - und das hat er geschafft." THW Kiel profitierte vom Dauerdruck in der Liga: Der Kieler Torwart sah aber noch einen Grund für die THW-Dominanz über das spanische Starensemble: "Ich glaube, ausschlaggebend war, dass wir in der Bundesliga immer den Druck haben, immer wieder ans Limit gehen müssen. Das kennt Barcelona aus der spanischen Liga nicht, an zwei Tagen in Folge abliefern zu müssen." Während Landin schon kurz nach dem Abpfiff tiefgründige Analysen ablieferte, befand sich THW-Neuzugang Sander Sagosen im reinen Freudentaumel. "Wir hatten den Traum zu gewinnen. Den hatte ich schon mit fünf Jahren. Heute haben wir fast alles perfekt gemacht. Wir haben mit Mut gespielt, wir sind der größte Verein der Handball-Welt, die größte Familie der Handballwelt. Ich bin so glücklich und stolz auf meine Teamkollegen und Freunde", jubelte der Norweger, der sich noch mit Paris Saint-Germain für das Nachhol-Final-Four der Vorsaison qualifiziert hatte und nun mit den Zebras zum ersten Mal den wichtigsten Klubwettbewerb der Welt gewann. Pekeler zum MVP gekürt: Steffen Weinhold, der genau wie Sagosen im Finale eine starke Leistung zeigte, hatte nach Abpfiff vor allem das Bedürfnis, seine Teamkollegen zu loben. Zum einen Hendrik Pekeler, der an beiden Final-Four-Tagen in Abwehr wie Angriff eine Säule im THW-Gerüst war und verdient zum besten Spieler der Endrunde gewählt wurde. "Für mich ist Peke in den letzten Jahren schon immer der MVP gewesen", sagte Weinhold. "Er hat die physischen Voraussetzungen, ist groß und schnell, und einfach unglaublich clever. Das hat er in beiden Spielen über 60 Minuten unter Beweis gestellt. Diese Auszeichnung ist völlig verdient." Das zweite Sonderlob verteilte Weinhold an Torwart Niklas Landin, der die Kieler in ihrer einzigen Schwächephase in der zweiten Hälfte mit seinen Paraden im Spiel hielt. "Dadurch war unser Polster so groß, dass wir am Ende nicht in die Bredouille geraten sind", sagte der Linkshänder, für den es nach dem Triumph mit der SG Flensburg-Handewitt 2014 der zweite Titelgewinn in der Königsklasse war. Ein Titel auch für Ex-Zebras: In der Stunde des Sieges dachte Weinhold auch an die Teamkollegen, die nicht auf dem Feld mitfeiern konnten. "Der Titel gehört auch denen, die durch Verletzungen ( Nikola Bilyk, Kreuzbandriss, d. Red. ) oder Corona-Erkrankungen ( Magnus Landin und Pavel Horak, d. Red.) nicht dabei sein konnten. Und auch Ole ( Rahmel, inzwischen Benfica Lissabon, d. Red. ) und Lukas ( Nilsson, inzwischen Rhein-Neckar Löwen, d. Red. )", betonte er.