Drei Jahrzehnte mit energieeffizientem Material – Wie nachhaltig ist Bauen inzwischen?

Um beim Hausbau auf die Klimabilanz zu achten, ist neben der richtigen Materialwahl eine kleine Wohnfläche entscheidend.

Um beim Hausbau auf die Klimabilanz zu achten, ist neben der richtigen Materialwahl eine kleine Wohnfläche entscheidend.

Berlin/Karlsruhe. Ein Haus, in dem fast keine Energie zum Heizen nötig ist? Als vor 30 Jahren, im Oktober 1990, der Bau des ersten Passivhauses in Deutschland begann, war die Zahl der Skeptiker groß. Doch das bis ins kleinste Detail ausgetüftelte Vierfamilienhaus in Darmstadt Kranichstein bewährte sich über Jahrzehnte: Ein Großteil des sonst üblichen Heizenergiebedarfs wurde eingespart, die Wärmedämmung blieb intakt und das Haus luftdicht, wie Analysen zeigten.

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„Irgendwann wird diese Technik so selbstverständlich und verbreitet sein wie die Wasserspülung“, betonte der Bauphysiker Wolfgang Feist, Leiter des Forschungsprojekts „Passivhaus Darmstadt Kranichstein“, als er 2001 den Umweltbundespreis erhielt. Doch zwischen 2001 und 2019 wurden nach Daten des Statistischen Bundesamts lediglich 2467 Wohngebäude ohne Heizung fertiggestellt, seit einem Hoch 2012 sinkt die Zahl demnach stetig.

Passivtechnologie hat viel zur Entwicklung beigetragen

Was den Anteil von Passivhäusern an Neubauten angeht, muss man die Statistik allerdings hinterfragen: Unter dem Eindruck dessen, was mit Passivhäusern so beeindruckend möglich war, haben sich neue Standards für alle Neubauten durchgesetzt. Das Passivhaus habe zur Technikentwicklung beigetragen, etwa was Lüftungssysteme, die inzwischen überwiegende Dreifachverglasung und das Vermeiden von Wärmebrücken angehe, heißt es vom Umweltbundesamt (UBA).

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So hat sich der Primärenergiebedarf von Neubauten seit der ersten Einführung der Wärmeschutzverordnung (WärmeschutzV) aus dem Jahr 1977 bis zur Energieeinsparverordnung (EnEV) aus dem Jahr 2016 stetig dem Passivhausstandard angenähert, wie Oliver Blask, Leiter der Abteilung Baustofftechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), sagt. Zudem ist das Passivhaus längst kein deutsches oder europäisches Phänomen mehr – in vielen Ländern wie etwa China oder den USA gibt es inzwischen Passivhaussiedlungen.

Schadstofffreie Dämmstoffe ebenso wichtig

Allerdings ist Energieeffizienz nur ein Faktor, wenn es um Umweltschutz, Gesundheit und Nachhaltigkeit geht. „Wie nachhaltig ist es, keinen Heizaufwand zu haben, aber dafür andere Probleme?“, gibt Dietmar Stephan vom Institut für Bauingenieurwesen der Technischen Universität Berlin zu bedenken. Ein Haus mit niedrigem Energiebedarf sei nicht automatisch auch ökologischer und gesünder. So komme es für die Ressourcenbilanz unter anderem auf die sanierungsfreie Lebensdauer an, beim Energieaspekt spiele auch Technik wie Wärmepumpen und Solaranlagen eine Rolle. Und sowohl für die Umwelt als auch die eigene Gesundheit sei der Gehalt an Schadstoffen bedeutsam. Dämmstoffe zum Beispiel hätten über Jahre Flammschutzmittel enthalten, die sich als krebserregend herausstellten.

KIT-Experte Oliver weist darauf hin, das vor allem in den 60er- und 70er-Jahren gesundheitsschädliche Weichmacher in Lacken, Dichtungsmassen und anderen Kunststoffen bei Neubauten eingesetzt wurden. Auch das im Zuge der Energieeinsparverordnung immer luftdichter gebaut werde, die Verordnung 2016 jedoch kein explizites Lüftungskonzept vorschreibe, berge Risiken: „Schadstoffemissionen aus Möbeln sowie Wand- und Bodenbelägen können sich in der Innenraumluft anreichern. Und Feuchtigkeit kann sich sammeln – mit Schimmelpilzbildung als Folge."

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Baumaterial wird strenger kontrolliert

Bei Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) könne die Auslaugung von Bioziden aus den darauf aufgetragenen Putzen ein Problem sein. Sie würden eingesetzt, weil sich mit einer Außendämmung Feuchtigkeit länger an der Außenwand halte, was wiederum das Wachstum von Schimmelpilzen und Algen begünstige, erklärt Blask. Zudem stelle bei expandiertem Polystyrol (EPS), umgangssprachlich auch als Styropor bezeichnet, – dem derzeit am weitesten verbreitetem Dämmstoff in WDVS – die Entsorgung ein Problem dar. WDVS mit mineralischen Dämmplatten aus Glas- oder Steinwolle seien dagegen diffusionsoffen und besser recyclingfähig.

Generell aber werde die Unbedenklichkeit von Materialien heute viel strenger kontrolliert als noch in den 60er- und 70er-Jahren, betont Stephan. „Die heute verwendeten Materialien sind nach derzeitigem Kenntnisstand unbedenklich“, sagt auch Blask. Klar sei allerdings, dass Risiken oft erst nach einer gewissen Nutzungsdauer auffielen.

Kleben ersetzt Schrauben zunehmend

„Deutschland ist ein offener Markt mit vielen Importen auch von außerhalb der EU“, gibt das UBA zudem zu bedenken. „In den Herkunftsländern können andere Standards gelten.“ Daher sei es immer empfehlenswert, auf Nachweise für schadstoff- und emissionsarme Produkte zu achten.

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Das ist nicht immer einfach: Im Hausbau werden inzwischen wesentlich mehr verschiedene Substanzen und Materialien verbaut als noch vor Jahrzehnten. „Allein schon deshalb, weil inzwischen häufiger geklebt wird, wo früher geschraubt wurde“ erklärt Baustoffexperte Blask. Holz zum Beispiel müsse lange gelagert werden, damit es sich nach dem Einbau nicht noch verziehe – was den Preis erhöhe. Um darauf verzichten zu können, würden Verbundmaterialien aus aufeinander geklebten Holzschichten eingesetzt. Die Zeitersparnis beim Bau durch Klebe- anstelle von Schraubverbindungen sorgt jedoch für Probleme bei der Trennung von Wertstoffen im Recycling.

Reststoffe sind häufig verunreinigt

Den Vorgaben der Energieeinsparverordnung zu genügen, sei kosteneffizient nur mit Verbundmaterialien möglich, ergänzt der Berliner Baustoffexperte Dietmar Stephan. „Es geht auch anders, aber das kostet mehr, zumindest bei der Neubausumme.“ Langfristig könnten die Alternativmaterialien durchaus haltbarer und damit kostengünstiger sein.

Definitiv sei am Bau wesentlich mehr Fachkompetenz gefragt als früher, betont Blask. Das gelte zum Beispiel für Beton, der heute deutlich leistungsfähiger sei, jedoch aus einer Vielzahl an Komponenten bestehe; unter anderem weil wesentlich mehr Reststoffe verwendet würden. „Dies beginnt bei dem heute für die Betonherstellung verwendeten Zement.“ Zementen würden häufig bis zu 35 Prozent Hüttensandmehl, ein Abfallprodukt aus der Stahlproduktion, zugesetzt. Auch Flugasche aus Steinkohlekraftwerken sei ein oft verwendeter Reststoff. Ziel solcher Beimischungen sei es, den Kohlendioxidausstoß der Zementproduktion zu vermindern. Das Problem dabei: „Reststoffe sind häufig verunreinigt, die Konzeption und Herstellung eines solchen Betons braucht viel Fachwissen.“

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Zementproduktion wirkt sich auf Treibhausgasemissionen aus

Klar müsse auch sein, dass das Recycling bei der Sanierung oder dem Abriss von Häusern bei einem hohen Anteil von Verbundmaterialien wesentlich schwieriger sei, erklärt Blask. Ohnehin stehe die echte Wiederverwertung von Baustoffen noch ganz am Anfang – bisher landeten in Deutschland zum Beispiel noch 90 Prozent des Betonabbruchs als Verfüllmaterial im Straßenbau.

Für die Klimabilanz im Wohnungsbau ist das verheerend. „Beton ist der weltweit am meisten hergestellte Stoff überhaupt“, sagt Stephan. Rund 8 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen gehen nach Schätzungen auf die Produktion des für den Beton nötigen Zements zurück – deutlich mehr als auf den gesamten Flugverkehr.

Nachhaltigkeit ist noch zu teuer

Die meisten Menschen hätten eigentlich gern ein nachhaltiges Haus, ist Stephan überzeugt. „Aber dann ist es doch so wie beim Billigfleisch: Eigentlich weiß man um die Probleme und findet das nicht gut, aber dann kauft man es doch, weil man nicht bereit ist, mehr zu bezahlen.“ Das eigene Haus sei nun mal ein Statussymbol, so Stephan. Doch der Energie-, Ressourcen- und Flächenverbrauch dafür sei so groß, dass man ihn nicht mit Einsparungen in anderen Bereichen, etwa beim Auto, wieder reinholen könne. „Es ist vernichtend für die Ökobilanz, ein Einfamilienhaus im Grünen zu bauen.“

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Beim Hausbau sei es wie in etlichen anderen Bereichen noch immer so: „Nachhaltigkeit lohnt sich finanziell nicht.“ Politisch müsse da dringend nachgesteuert werden. Denn klar müsse sein: Viele im Bau verwendete Rohstoffe sind nicht regenerativ herstellbar oder ersetzbar. „Wir sollten darum frühzeitig damit anfangen, sparsamer mit ihnen umzugehen und sie bei Sanierung oder Abriss nicht wegzuwerfen, sondern hochwertig zu recyceln“ betont Stephan. Es könne durchaus jeder für sich entscheiden: Meine Wohnung bleibt klein, ist dafür aber ressourcensparend, langlebig und schadstoffarm. „Momentan leisten sich allerdings die meisten lieber mehr Wohnfläche als ein nachhaltiges Zuhause.”

Größere Wohnflächen verschlechtern die Klimabilanz

Sowohl die Wohnfläche je Wohnung als auch die Wohnfläche je Einwohner stiegen in Deutschland in den vergangenen Jahren merklich: Die Wohnfläche je Wohnung habe Ende 2019 durchschnittlich 91,9 Quadratmeter betragen, die Wohnfläche je Einwohner 47 Quadratmeter, hieß es Ende Juli vom Statistischen Bundesamt. „Damit haben sich die Wohnfläche je Wohnung seit dem Jahr 2010 um 1,0 Quadratmeter und die Wohnfläche je Einwohnerin und Einwohner um 2,0 Quadratmeter erhöht.“

In Deutschland würden immer mehr und immer größere Wohnungen gebaut, heißt es auch beim Umweltbundesamt. Da die meisten Wohnungen in Neubauten entstünden, die zu einem erheblichen Teil in neu ausgewiesenen Baugebieten errichtet werden, zeige sich das Wohnen als ein „bedeutender Treiber der Flächen-Neuinanspruchnahme in Deutschland“. Zudem zehre die steigende Wohnfläche pro Kopf Energieeffizienzfortschritte im Gebäudebestand auf.

Dass er sich für mehr Nachhaltigkeit einschränken müsse, werde dem Verbraucher von der Politik generell nur ungern gesagt, erklärt Stephan. Aber jeder müsse sich einer Sache bewusst sein: „Es ließen sich eine Menge Einsparungen hinbekommen allein mit kleineren Wohnungen.“

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RND/dpa

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