Schreckensszenario Sonnensturm: Wie belastbar ist unser Internet?

Heftige Sonnenstürme wie auf dieser Aufnahme könnten für monatelange Internet­ausfälle auf der ganzen Welt sorgen.

Heftige Sonnenstürme wie auf dieser Aufnahme könnten für monatelange Internet­ausfälle auf der ganzen Welt sorgen.

Es ist ein düsteres Szenario, das Wissenschaftlerin Sangeetha Abdu Jyothi in ihrem kürzlich veröffentlichten Paper prognostiziert: Ein schwerer Sonnensturm könnte für monatelange Internet­ausfälle auf der ganzen Welt sorgen. Ganze Kontinente könnten voneinander abgeschnitten sein, Millionen Menschen würden ihre Existenzgrundlage verlieren.

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Besonders gefährdet seien lange Seekabel und Nationen wie die USA oder Großbritannien. Kurz gesagt: Das globale Internet ist nicht resilient genug, um dem Weltraumwetter zu trotzen.

Die Kosten eines Internetausfalls

Laut Sangeetha Abdu Jyothi, Assistenz­professorin für Computer­wissenschaft an der University of California in Irvine, sind die ökonomischen Folgen eines Internet­ausfalls enorm. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines einzigen Tages werden in den USA bereits auf mehr als 7 Milliarden US-Dollar geschätzt, so Abdu Jyothi. „Unsere Infrastruktur ist nicht auf ein Solargroßereignis vorbereitet. Wir haben nur sehr begrenzte Kenntnisse über das Ausmaß des Schadens“, sagte sie dem Magazin „Wired“.

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Diese Erkenntnis ist recht neu für die Wissenschafts­welt. Während die Auswirkungen der Sonnenstürme auf die globale Stromversorgung gut erforscht sind, hinkt die Wissenschaft bei den Folgen für das Internet hinterher. Der Grund: Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Sonnensturms ist eher gering. Dabei ist die Frage nach Resilienz seit Beginn der kommerziellen Nutzung des Internets grundlegend. Aber was macht das Netz belastbar, und wogegen muss es sich schützen?

Durch das Netz der Netze

Die Widerstands­fähigkeit des Internets habe insbesondere mit seiner Struktur zu tun, heißt es von Experten des Bundesamts für Sicherheit in der Informations­technik (BSI) gegenüber dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). Das Internet sei letztlich ein Netz aus anderen Netzen, sogenannten autonomen Systemen. Ein autonomes System ist typischerweise mit mehreren anderen autonomen Systemen verbunden. Das könne über einen Internet­knotenpunkt wie in Berlin passieren, durch selbst eingekaufte oder direkte Anschlüsse der Provider, also Anbieter, untereinander.

Zentral für ein ausfallsicheres Internet sei, dass Datenströme ihren Weg durch dieses Netzwerk finden. Das werde laut BSI größtenteils vom Border Gateway Protocol (BGP) übernommen, das es seit den Achtzigerjahren gibt. Fällt ein Pfad aus, suche es automatisch nach anderen Wegen – und sorgt so für eine stabile Verbindung, wenn Teile des Netzes wegbrechen.

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Back-ups sind wichtig

Je mehr Back-up-Strukturen es gibt, desto ausfallsicherer ist das Internet. Deswegen ist es laut BSI ein zentrales Anliegen von Cybersicherheits­expertinnen und ‑experten, für möglichst viel Redundanz, also alternative Wegstrecken, zu sorgen, digital wie physisch. Wenn eine Strecke ausfällt, weil ein Kabel defekt oder ein Server überlastet ist, wird eben eine andere genutzt. Es gilt also: Je weniger Redundanz, desto fragiler ist das Netz. Das kann man gut sehen an der physischen Infrastruktur, die über weniger alternative Wegstrecken verfügt und direkt ihrer Umgebung ausgesetzt ist. Häufig entstehen Ausfälle durch Kabelschäden bei Bauarbeiten, aber auch Umwelt­katastrophen wie das Hochwasser im Ahrtal können die Internet­verbindung zeitweise zum Erliegen bringen.

Lage und Knotenpunkte

Auch die geografische Lage hat Auswirkungen auf die Robustheit des Internets. Die ist für Deutschland recht gut: Durch die zentrale Lage mitten in Europa gebe es viele Leitungs­verbindungen zu Nachbarländern, von denen auch Seekabel abgehen. Das heißt: Es gibt viele alternative Routen. Der Ausfall eines großen Kabels würde laut BSI voraussichtlich zu erhöhten Latenzen, jedoch nicht zu großflächigen Ausfällen führen. Sind allerdings wenige Alternativ­routen verfügbar, wie in spärlich besiedelten Regionen oder auf Inseln, ist die Internetverbindung anfälliger.

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Dezentralität. In Deutschland verteilen sich die Kabel über das ganze Land. Anders sieht es in Frankreich aus: Es gibt zwar mehrere Knotenpunkte, aber die meisten Kabel laufen über Paris. Ein großer physischer Schaden hätte dort deutlich größere Auswirkungen auf das nationale Netz, als wenn in Deutschland der Berliner Internetknotenpunkt beschädigt werden würde.

Content-Caches gegen Isolation

Ein weiterer Resilienzfaktor ist die Abrufbarkeit von Daten. Viele beliebte Dienste wie Cloud- oder Streaminganbieter nutzen – teilweise eigene – Content Delivery Networks (CDN). Das heißt, sie duplizieren ihren Inhalt mit Content-Caches. Die Inhalte liegen dann nicht mehr nur bei den Anbietern, sondern auf Servern, die entweder direkt bei den lokalen Providern oder an Internetknoten­punkten stehen.

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Wer eine Serie von Amazon Prime oder Netflix streamt, greift in der Regel auf europäische Server zu – obwohl die Anbieterserver in den USA sind. Für den Anbieter ist das interessant, weil die Ladezeiten so deutlich kürzer sind, als wenn die Anfrage erst den Atlantik überqueren müsste. Sollten also im Falle eines Internet­desasters nach der Prognose von Abdu Jyothi Kontinente voneinander abgeschnitten werden, hätte das in Bereichen, in denen CDN genutzt wird, zunächst wenig Auswirkungen.

Die Gefahr von DDoS-Attacken

Störungen im digitalen Bereich werden laut BSI häufig von Distributed-Denial-of-Service-Angriffen, sogenannten DDoS-Attacken, verursacht. Die richten sich meist entweder gegen einen Webserver direkt, die Internet­verbindung oder eine Webanwendung. Dabei wird der Server mit so vielen Anfragen überschüttet, dass er mit der Beantwortung nicht mehr hinterherkommt. Ziel ist es, die Leitungen mit einer Datenflut so zu überlasten, dass ein Dienst, in der Regel das World Wide Web, nur noch beeinträchtigt verfügbar ist.

Dem bisher größten bekannten DDoS-Angriff war Amazons Cloudsparte AWS laut eigenen Angaben im vergangenen Jahr ausgesetzt. In der Spitze soll der Datenstrom auf 2,3 Terabit pro Sekunde angewachsen sein, schreibt das Magazin „T3N“. Das ist laut BBC fast die Hälfte der gesamten Bandbreite, die das britische Telekommunikations­unternehmen BT an einem normalen Arbeitstag verzeichnet.

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Fokus auf das Thema gelenkt

Eine Internet­apokalypse hätte dramatische Folgen. Ein Großteil des gesellschaftlichen Lebens basiert mittlerweile auf dem Internet oder greift darauf zu. In anderen europäischen Ländern ist es schon dazu gekommen, dass Zahlungs­dienstleister keine Autorisierung durchführen und dementsprechend kein Geld herausgeben konnten, weil das Internet ausgefallen war.

Dass es einen globalen Zusammenbruch des Netzes geben könnte, halten Fachleute des BSI dennoch für unwahrscheinlich. Denkbar wäre aber, dass bestimmte Bereiche oder Dienste eine Zeit lang nicht funktionieren. Fest steht: Das Thema war noch keines, bevor Abdu Jyothi den Fokus darauf gelenkt hat.

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