Zum Weltfrauentag: Es gibt zu wenig Daten über Frauen
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Der Mann gilt als Standard, die Frau als Ausnahme: In Medizin, Wissenschaft und Big Data liegen nur wenige weibliche Daten vor.
© Quelle: Pawel Szvmanski/Unspalsh
An manche Dinge hat man sich als Frau schlicht gewöhnt. An die Schlange vor dem Klo zum Beispiel. Ob im Bahnhof, im Museum oder im Shoppingcenter: Das Schlangestehen gehört für Frauen zum Ausgehen wie das Popcorn zum Kino. Doch warum ist das eigentlich so? Die Schlangen vor der Toilette sind so allgegenwärtig, so offensichtlich sichtbar – und trotzdem scheint sich niemand ernsthaft zu fragen, ob sie wirklich sein müssen. Statt Lösungsvorschläge hört man bloß Beschwerden, dass Frauen „immer so lange brauchen“. Als sei das eine Art Naturgesetz.
Tatsächlich aber, das zeigt das Buch “Unsichtbare Frauen” von Caroline Criado-Perez, ist die Schlange vor der Frauentoilette nur ein Symptom eines größeren Problems: Obwohl sie die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, gelten Frauen immer noch als Ausnahme von der Norm. Denn die Norm, das ist der durchschnittliche Mann. Das zeigt sich an vielen alltäglichen Beispielen: High-End-Smartphones sind für Frauenhände zu groß; die Symptome, die allgemein als Anzeichen für einen Herzinfarkt gelten, treffen auf Frauen nicht zu; Crashtest-Dummys orientierten sich jahrzehntelang am durchschnittlichen Mann, was Autofahren für Frauen tödlicher macht.
Der durchschnittliche Mann als Repräsentant der gesamten Gesellschaft
Das sind keine neuen Erkenntnisse. Was das Buch von Criado-Perez aber so lesenswert macht, ist ihre grundlegende Analyse der Ursachen und Folgen. Erstere lassen sich einfach zusammenfassen: Es gibt viel zu wenig Daten über Frauen. Weil man es entweder nicht für nötig gehalten hat, geschlechterspezifische Daten auszuwerten oder gar sie zu erheben. Stattdessen glaubte man – und glaubt auch heute noch oftmals – der durchschnittliche Mann sei auch ein guter Repräsentant für die andere Hälfte der Bevölkerung.
Der Großteil der Menschheitsgeschichte ist eine einzige Datenlücke.
Caroline Criado-Perez
Das Ergebnis ist eine Gender Data Gap, oder wie Criado-Perez ganz zu Beginn ihres Buchs schreibt: “Der Großteil der Menschheitsgeschichte ist eine einzige Datenlücke.” Im Folgenden zeigt die Journalistin, Autorin und Aktivistin, wie viele verschiedene Lebensbereiche von Frauen diese Leere betrifft: Medikamente etwa wurden und werden vor allem an Männern getestet. Bushaltestellen oder öffentliche Parks sind so konstruiert, dass Frauen Opfer von Gewalt werden können. Fällt Schnee, werden zuerst die großen Kreuzungen freigeräumt, damit die Männer mit dem Auto zur Arbeit kommen, während sich die Frauen auf dem Weg zum Bus die Knochen brechen.
Algorithmen reproduzieren Vorurteile
In “Unsichtbare Frauen” wird so schnell klar: Diese geschlechtsspezifischen Datenlücken sind nicht nur ein Problem der Vergangenheit, sondern auch eine massive Herausforderung für die Zukunft. In Zeiten von künstlicher Intelligenz und Algorithmen basiert unser Alltag immer mehr auf vermeintlich unvoreingenommene Daten. Algorithmen sind allerdings immer nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert werden. Das bedeutet in der Praxis zum Beispiel: Frauen haben häufiger ein Problem, Spracherkennungssoftware zu steuern, weil diese hauptsächlich mit männlichen Stimmen trainiert wird.
Datensätze würden Frauen aber nicht nur unterrepräsentieren, sondern auch falsch darstellen, schreibt Craido-Perez. Auf diese Weise reproduzierten sie kulturelle Stereotype. Beispiele dafür gibt es bereits: Ein Algorithmus etwa, der für Amazon Bewerber bewerten sollte, entpuppte sich als Sexist, berichtete Reuters 2018. Das lag daran, dass er anhand von Lebensläufen, die Amazon in den vergangenen zehn Jahren vorgelegt worden waren, trainiert wurde und so zu dem Ergebnis kam, dass er anscheinend Männer zu bevorzugen habe.
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Caroline Criado-Perez: Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. Deutsche Erstausgabe, Klappenbroschur 15,- €, ISBN 978-3-442-71887-0
© Quelle: btb
Frauen vergessen Frauen nicht
Dabei wären die Datenlücken oft gar nicht schwer zu schließen, findet Criado-Perez. Überraschend häufig laute die Lösung auch einfach nur: Fragt die Frauen! Doch damit das passiert, ist oft erst eine Frau im Raum nötig. Criado-Perez’ Buch ist damit vor allem auch ein eindringlicher Aufruf für mehr Repräsentation von Frauen in allen Lebenslagen. Denn: “Frauen vergessen nicht so leicht wie Männer, dass Frauen existieren.”