Soziale Netzwerke in der Krise: Wo führt das alles hin?
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Bei Twitter regiert das Chaos.
© Quelle: 2022 Anadolu Agency/Anadolu Agency
Hannover. Wird dieser Tage über soziale Netzwerke gesprochen, dann geht es meistens um Twitter. Der einst so beliebte Kurznachrichtendienst versinkt unter seinem neuen Chef Elon Musk im Chaos. Die Zukunft der Plattform: völlig ungewiss.
Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatte Musk in den vergangenen Wochen entlassen, unzählige Werbekunden vergrault, neue Geschäftsmodelle umgehend zerstört. Am Freitag dann der bisher größte Schlag des Techmilliardärs: Mehrere renommierte Journalisten, unter anderem von CNN und der „New York Times“ wurden von Twitter gebannt – veranlasst hatte dies offenbar Musk höchstpersönlich.
Doch es ist bei Weitem nicht nur der Kurznachrichtendienst, der strauchelt. Die gesamte Branche steht vor Problemen, die ihre Zukunft so ungewiss machen wie selten zuvor. Wo hapert es? Und wie könnte es weitergehen? Ein Überblick.
Twitter: Willkür und finanzielle Probleme
Unübersehbar sind die Probleme bei Twitter. Elon Musk hatte das Netzwerk im Oktober für absurd überteuerte 44 Milliarden Dollar gekauft – und veranstaltet dort seither einen für alle sichtbaren Kahlschlag.
Zunächst musste die Führungsetage, kurz darauf Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen. So viele, dass neue Funktionen für das Netzwerk gar nicht mehr programmiert werden konnten – und Musk einige um Rückkehr bat.
Um die Moderation der Inhalte kümmert sich auf Twitter inzwischen offenbar kaum noch jemand, was längst die EU‑Behörden auf den Plan gerufen hat– ein Twitter-Verbot ist längst in der Diskussion. Gleichzeitig holte Musk im Sinne seiner „Free Speech“-Ideale zahlreiche fragwürdige Persönlichkeiten auf die Plattform zurück, darunter auch den früheren US‑Präsidenten Donald Trump.
Musk legte sich auch mit großen Werbekunden an, von denen zahlreiche ihre Aktivitäten auf der Plattform schließlich einstellten. Auch das geplante Bezahlsystem Twitter Blue scheiterte auf ganzer Linie: Nutzerinnen und Nutzer veranstalteten mit den kaufbaren blauen Haken so viel Schabernack, dass das Projekt schnell wieder auf Eis gelegt wurde.
All das bedeutet auch, dass Twitter finanziell mehr als schlecht dasteht: Werbekunden fehlen ebenso wie nachhaltige Geschäftsmodelle. Im November hatte sich Musk selbst über den Rückzug der Werbetreibenden beklagt und erklärt, der Dienst verdiene aktuell 4 Millionen US‑Dollar am Tag verliere. Zudem hat das Unternehmen einen hohen Berg an Schulden angehäuft.
Sollte Twitter nicht an seinen Finanzen scheitern, dann vielleicht an seinen fliehenden Nutzerinnen und Nutzern. Viele haben sich bereits von der Plattform verabschiedet und sind zum dezentralen Netzwerk Mastodon gewechselt. Andere wurden von Musk selbst aus dem Weg geräumt.
Geht das so weiter, könnte Twitter dasselbe Schicksal ereilen wie es schon Plattformen wie My Space erlebt haben. Sind erst einmal alle relevanten Persönlichkeiten abgewandert, gibt es auch für die breite Masse keinen Grund mehr, das Netzwerk zu nutzen. Aktuell scheint der neue Twitter-Chef alles dafür zu tun, dass es so kommt.
Facebook: Das Metaverse wird zum Reinfall
Das Problem: Der Twitter-Konkurrenz geht es nicht zwangsläufig besser. Beim Meta-Konzern, der früher einmal Facebook hieß, tun sich gleich mehrere Baustellen auf. Das Unternehmen steckt in einer tiefen Sinnkrise, während Konkurrenzprodukte dem Konzern reihenweise Nutzerinnen und Nutzer abgrasen.
Zu spüren ist das insbesondere beim hauseigenen Dienst Instagram. Die chinesische Kurzvideoplattform Tiktok hat sich insbesondere bei der jungen Zielgruppe zu einem waschechten Zeitfresser gemausert und Instagram bei der Nutzung längst überholt.
Meta reagierte, wie es meistens reagiert: Es baute die beliebte Tiktok-Videofunktion als „Reels“ nach, um Jugendliche weiter auf der Plattform zu halten. Das funktioniert bislang mittelmäßig: Die Aufrufzahlen steigen zwar, aber kaum ein erfolgreicher Tiktok-Creator publiziert seine Videos exklusiv für Instagram. Die „Reels“ bleiben eine Ramsch-Rubrik für zweitverwertete Tiktok-Clips, Koch- und Pannenvideos sowie zwielichtige Marketingcoaches.
Die wohl beliebteste Meta-App, der Messenger Whatsapp, wirft für das Unternehmen bislang kaum Geld ab. Der Messenger ist werbefrei und kostenlos. Mutterschiff Facebook ist allenfalls noch für die ältere Zielgruppe relevant – Jüngere bewegen sich kaum noch auf dem einst so erfolgreichen Netzwerk.
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© Quelle: dpa
Zugleich fehlt es dem Konzern an erfolgreichen Alternativen. Das Metaverse, das Chef Mark Zuckerberg als die „Zukunft des Internets“ bezeichnet, entwickelt sich zur Lachnummer. Hier sollen Menschen über virtuelle Welten miteinander in Verbindung treten – bislang will da aber offenbar kaum jemand mitmachen.
15 Millionen Dollar hatte der Konzern zuletzt in das Projekt gesteckt. Horizon Worlds, Metas wichtigste Metaverse-App, hat laut einem Bericht des „Wall Street Journal“ aber nur 200.000 monatlich aktive Nutzerinnen und Nutzer – während die traditionellen Apps des Konzerns zuletzt spürbar vernachlässigt wurden. Die Folge war mitunter ein Aktieneinbruch von über 60 Prozent in diesem Jahr.
All das lässt lässt insbesondere Investoren aufschrecken. Der Analyst Neil Campling sagte dem „Business Insider“, diese seien angesichts der aktuellen Lage bei Meta geradezu „verzweifelt“. Erst im November hatte Meta rund 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Zuckerberg begründete dies mit der schwächelnden Konjunktur und verstärkten Konkurrenz bei den Erlösen.
Gänzlich in die Knie zwingen dürfte die Lage den Konzern vermutlich nicht. Gut möglich aber, dass die Konkurrenz den bisherigen Social-Media-Platzhirsch bald ablösen könnte.
Tiktok könnte verboten werden
Vielleicht kommt es aber auch ganz anders – denn auch das aufstrebende Videonetzwerk Tiktok steht vor Problemen. In diesem Fall haben sie jedoch etwas mit Politik zu tun.
Immer wieder steht die Plattform wegen Datenschutzbedenken in der Kritik. Jetzt haben gleich mehrere US‑Abgeordnete beider Parteien eine Initiative in den Kongresskammern eingebracht, die Tiktok langfristig in den USA verbieten könnte.
Konkret sollen ausländische soziale Netzwerke verboten werden, die aus als feindlich eingestuften Staaten wie China oder Russland stammen oder unter deren Einfluss stehen. Tiktok, dessen Mutterfirma das chinesische Techunternehmen Bytedance ist, würde darunter fallen – und ist sogar namentlich aufgeführt.
Die Video-App würde die Daten von zig Millionen Amerikanern sammeln und auf unbekannte Weise verarbeiten, so die Kritik. Dies hätte das Potenzial, Feeds zu manipulieren und damit letztendlich auch Wahlen in den Vereinigten Staaten. Im September war bekannt geworden, dass bei Tiktok und Bytedance Hunderte Mitarbeitende aktiv sind, die auch für die chinesischen Staatsmedien arbeiten oder gearbeitet haben.
Einen ersten Versuch, Tiktok vom US‑Markt zu verbannen, hatte bereits vor Jahren der ehemalige US‑Präsident Donald Trump unternommen – und war schließlich gescheitert. Jetzt bekommt die Idee sogar Rückendeckung von den Demokraten.
Der Republikaner Mike Gallagher verglich ein Agieren Tiktoks in den USA mit einer Erlaubnis für die Sowjetunion im Kalten Krieg, die Zeitungen „New York Times“ und „Washington Post“ sowie große TV‑Sender aufzukaufen. Der Generalstaatsanwalt des Bundesstaats Indiana, Todd Rokita, bezeichnete Tiktok als „Trojanisches Pferd Chinas“.
Aus der EU sind Forderungen nach einem Tiktok-Verbot bislang nur vereinzelt zu hören. Digitalminister Volker Wissing (FDP) hatte noch im Juni ein spezielles Gesetz zur Regulierung der App abgelehnt.
Trotzdem wäre ein US‑Ban für das Netzwerk ein herber Schlag – und möglicherweise ihr Ende. Viele Inhalte in dem Videonetzwerk stammen aus den Staaten und verteilen sich weltweit, werden zu millionenfach geklickten viralen Hits. Fehlen diese Inhalte, könnten sich Creator aber auch Nutzerinnen und Nutzer langfristig doch nach Alternativen umschauen. Die gibt es ja bekanntlich genug.
Die Gewinner der Krise: Linkedin und Youtube
Zwei große Netzwerke bleiben von größeren Krisen bislang verschont. Alphabet (vormals Google), der Mutterkonzern des Videonetzwerks Youtube war der einzige, der zuletzt keinen umfangreichen Stellenabbau vorgenommen hatte – ganz im Gegensatz zu Meta, Twitter aber auch Amazon. Gerüchte, dass das noch folgen könnte, gibt es aber: Dem Magazin „Forbes“ zufolge sollen in den kommenden Monaten rund 10.000 „leistungsschwache“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Kündigung erhalten.
Der Videodienst Youtube scheint dabei vergleichsweise stabil dazustehen. Die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer steigt, zugleich implementiert die Plattform immer wieder neue Funktionen – zuletzt etwa das „Shorts“-Format, das Tiktok und Instagram Konkurrenz machen soll.
In den vergangenen Jahren hatte die Plattform zudem größere Anstrengungen unternommen, schädliche Inhalte, wie etwa Verschwörungsideologien, von der Plattform zu verbannen – was zu einer Qualitätssteigerung der Inhalte führte. Zudem ist Youtube bislang die einzige Plattform, die Videomacherinnen und Videomacher direkt an den Werbeumsätzen beteiligt – ab dem kommenden Jahr soll das auch für „Shorts“ gelten. Damit könnte die Alphabet-Tochter einen Vorsprung zu Tiktok und Instagram gewinnen.
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© Quelle: dpa
Linkedin, das lange vor allem als reines Berufenetzwerk galt, könnte sich derweil als echte Alternative zum Chaosnetzwerk Twitter etablieren. Die Plattform, die seit 2016 zu Microsoft gehört, scheint sich inhaltlich weiterzuentwickeln: Statt reinem Jobgeprotze finden in dem stets weiterentwickelten Newsfeed inzwischen auch spannende Gespräche über alles Mögliche statt.
Anonyme Accounts sind hier genauso selten wie all die Entrüstungsstürme und Wutmobs, die bei Twitter toben. Der professionelle Hintergrund, nämlich der des Berufenetzwerks, ermöglichen seriösere Diskussionen.
Dass Plattformen gänzlich sterben werden, ist in allen Fällen eher unwahrscheinlich. Größere Nutzerwanderungen allerdings dürften in den kommenden Monaten durchaus zu beobachten sein.