Elektrisch auf Langstrecke unterwegs: Das Laden klappt noch längst nicht reibungslos
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Großstationen wie der Schnellladepark in Kamen (NRW) sind noch nicht flächendeckend verbreitet.
© Quelle: EnBw
Es ist ein ganz gewöhnlicher Donnerstag. Vor uns liegt ein 700-Kilometer-Trip über die Nord-Süd-Achse A7 und A5 mit einem vollelektrischen Pkw. Der Skoda iV80X, angegeben mit einer Normreichweite von 521 Kilometern, zeigt zum Start mit 100 Prozent Batteriekapazität allerdings nur 404 Kilometer an. Um sicherzugehen, bereiten wir uns auf zwei Ladestopps vor, suchen geeignete Schnelllader am Handy aus. Die lassen sich mit Apps wie Chargemap, ENBW-Mobility+ oder Smoov leicht aufspüren. Liveinformationen zeigen zudem an, ob der Anschluss auch frei ist. Sofern nicht ein rücksichtsloser Parker den Zugang blockiert – was allerdings in Innenstädten häufiger passiert als auf Autobahnraststätten und Autohöfen.
Und bei überwiegend normalem Verkehr, gefühlten 100 Baustellen und stockendem Verkehr lediglich am Elbtunnel und rund um Hamburg klappt tatsächlich alles problemlos. Zwei 40 und 38 Minuten lange Ladestopps an einem 300-kW-Allego-HPC-Lader und einer 225-kW-EnBW-Säule lassen sich perfekt mit zwei Snackpausen verbinden. Dabei sind die „High Performance Charger“ – so heißen die Ladesäulen mit einer Ladeleistung von 150 bis 350 kW – in diesem Fall nicht unbedingt notwendig, da der Skoda den Gleichstrom nur bis maximal 125 kW zu inhalieren vermag.
Der Skoda Enyaq an der Allego-AC-Ladesäule.
© Quelle: Michael Lennartz
Mit einem Reisetempo, das sich an der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h orientiert, liegt die Gesamtreisezeit von achteinhalb Stunden fast auf dem gleichen Niveau, wie wir die Distanz schon x-fach mit dem Verbrenner absolviert haben. Na also. Geht doch. Langstrecke ist mit dem Elektroauto gar kein Problem. Oder doch?
Mit der positiven Erfahrung im Hinterkopf starten wir sonntags auf die noch längere Rückfahrt. Diesmal am Steuer eines E-Autos mit 800-Volt-Technik und der Aussicht auf halbierte Ladezeiten. Die gibt es nämlich nicht nur im Sportwagen Porsche Taycan oder dessen Audi-Klons e-tron GT, sondern auch als Midsize-SUV im Ioniq5 aus dem Hause Hyundai oder in diesem Fall als sein technisch eng verwandter Konzernbruder Kia EV6 etwa zum halben Preis. Er lädt in der Spitze mit bis zu 240 kW und braucht bestenfalls nur 18 Minuten für den Ladeprozess von 10 auf 80 Prozent.
Den ersten Halt an der Raststätte Ostetal Nord zwischen Hamburg und Bremen steuern wir noch mit 26 Prozent Restladung an, weil die vier Ionity-Lader dort einen kurzen Stopp verheißen. Ionity, ein von den deutschen Herstellern Ford, BMW, Daimler und VW mit den Marken Audi und Porsche gegründetes Unternehmen, hat ein Netz von ultraschnellen 350-kW-Ladern entlang der Autobahn aufgebaut, die mit Abstand den teuersten Strom anbieten.
79 Cent pro Kilowattstunde (kWh) beim sogenannten Ad-hoc-Laden ohne Ladekarte oder -vertrag, was beim 80-Prozent-Aufladen der 77-kWh-Batterie des Kias rund 50 Euro bedeuten würde – in etwa ausreichend für reale 300 Kilometer Reichweite. Da der Hyundai-Konzern allerdings ebenfalls dem Ionity-Konsortium beigetreten ist, lädt der EV6 mit 0,29 Euro/kWh hier ausgesprochen günstig.
Wenn Ladesäulen nicht laden
Wenn er denn laden würde. Zwar sind zwei der vier Ladesäulen an der Raststätte nicht besetzt. Eine verheißt aber bereits mit rotem Licht, dass sie defekt ist. Die andere erkennt zwar die Ladekarte, die man zur Registrierung vorhalten muss, schaltet aber sofort wieder ab, wenn das CCS-Kabel am Fahrzeug eingesteckt wird. Das verändert sich auch nach den nächsten beiden Versuchen nicht. Erst jetzt erkennen wir, dass auch an den zwei belegten Säulen die Leute ratlos das Display anstarren beziehungsweise der Hyundai-Kona-Fahrer sich fluchend ans Steuer setzt und davonbraust. Erst ein Anruf bei der Hotline – immerhin gerät man sofort an einen Menschen aus Fleisch und Blut – klärt auf, dass leider alle Ladesäulen nicht funktionieren. Ärgerliche 20 Minuten Aufenthalt für nichts.
Gott sei Dank haben wir den Ladepunkt nicht auf den letzten Drücker angesteuert, finden nach nur wenigen Kilometern HPC-Lader an einer Aral-Tankstelle. Der letzte von vier CCS-Ladepunkten, die BP Europe betreibt, ist frei. Und alles klappt wie am Schnürchen. Ladekarte anhalten, Kabel einstecken, nach 13 Minuten sind 80 Prozent erreicht, Stopptaste drücken, noch mal Ladekarte vorhalten, der Stecker am Fahrzeug wird entriegelt, zurückhängen, und weiter geht’s.
Es ist Sonntag. Ferienzeit. Der Verkehr nimmt zu. Selbst die E-Nummernschilder werden häufiger. Da wird es auch beim Stromtanken enger. Wenn zudem die Dichte an Ultraschnellladern eher dünn ist wie an der A1 um Münster, ist ein intensives Studium der Ladesäulen-App ratsam. Autohof Ladbergen – alle sechs Ladepunkte belegt. Raststätte Münstertal – ebenfalls nichts frei. Raststätte Eichengrund dito. Doch da, am Kamener Kreuz werden tatsächlich 52 Ladepunkte angezeigt, von denen zwar neun belegt, aber eben immer noch 43 frei sind. Wir haben eher zufällig den größten öffentlichen Ladepark Europas entdeckt.
Energieversorger EnBW, selbst eine treibende Kraft beim Ausbau der Infrastruktur, hat den Flagship-Ladestandort vor einem guten halben Jahr eingeweiht. Alle Ladepunkte mit bis zu 300 kW Leistung. Modern, beleuchtet und zudem überdacht mit einer Fotovoltaikanlage, die den Standort zusätzlich mit einer Leistung bis zu 120 Kilowatt versorgt. Eine Toilette, die dem Ausstattungsniveau der Anlage allerdings nicht standhalten kann, gehört auch dazu. Restaurants und Fast-Food-Läden sind fußläufig zu erreichen, was bei einer angezeigten Ladezeit von nur 13 Minuten (23 bis 80 Prozent) aber nicht lohnt.
Kia-Durchschnitt für den gesamten Ladeprozess: 206 kW
An den großen Säulendisplays lässt sich sogar die Ladekurve ablesen, die belegt, dass der Kia das Maximum von 232 kW schnell erreicht und bis zu 70 Prozent der Akkukapazität die Ladeleistung über 200 kW hält, eher er sukzessive auf unter 150 kW reduziert und bei 80 Prozent auf fast Null abfällt. Der Durchschnitt für den gesamten Ladeprozess: 206 kW. Er würde freilich ohne Unterbrechung weiter laden, fährt die Ladeleistung aber nur noch auf Werte zwischen 50 und 100 kW hoch. Ineffizient. Muss nicht sein.
Leider holte uns schon der nächste Ladestopp auf den Boden der Realitäten zurück. Eine Eon-Ladesäule am Königsforster Rastplatz meldet zwar „Terminal bereit“, aber wir arbeiten uns erfolglos an den diversen Möglichkeiten ab, den Strom fließen zu lassen. Zwei unterschiedliche Ladekarten, die bisher überall funktionierten, nimmt der Lader nicht an. Das Anmelden via Kreditkarte klappt ebenfalls nicht. Und der gescannte QR-Code in Verbindung mit der eigens heruntergeladenen Eon-App bringt gleichfalls kein positives Ergebnis. Wieder eine halbe Stunde verplempert.
Und selbst der letzte Ladevorgang auf der 850-Kilometer-Tour geht nicht ohne Panne ab. Zu der diesmal Strom spendenden Ionity-Säule auf dem Autohof bei Bad Honnef kehren wir nach einer kurzen Kaffeepause zurück und wollen den Ladevorgang bei einem Füllstand von 83 Prozent beenden – über die Stopptaste am Ionity-Touch. Geht aber nicht. Der Strom fließt munter weiter. Zwei Ladenachbarn versuchen zu helfen, aber der Bildschirm reagiert auch bei ihnen nicht.
Nach einigem Hin und Her wähle ich wieder die Hotline an, bei der sich auch zu später Stunde kurz vor Mitternacht gleich eine Gesprächspartnerin meldet und schließlich die Säule fernentriegelt – bei mittlerweile 98 Prozent. Insgesamt hat das wieder über 20 unnütze Minuten gekostet.
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Der KIA EV 6 an einer HPC-Säule von Ionity.
© Quelle: Kia
Fazit: E-Autos, die real Etappen von 200, 250 oder gar 300 Kilometern schaffen, sind absolut langstreckentauglich. Schließlich gebietet die Vernunft nach gut zwei Stunden eh eine längere Pause. Und besonders mit 800-Volt-Technik sind an HPC-Ladern 80 Prozent der Akkukapazität oft schneller erreicht, als die Bockwurst verzehrt ist. Bei Ladezeiten von 12 bis 15 Minuten wird das langsam sogar für geschäftliche Vielfahrerinnen und Vielfahrer interessant, die vielleicht irgendwann einmal ihren Diesel einmotten möchten.
Ladeinfrastruktur ist nach wie vor die Schwachstelle
Noch reichlich Luft nach oben ist dagegen bei der Infrastruktur. Weitere Schnellladeparks wie das Projekt in Kamen werden in etwas kleineren Dimensionen hinzukommen, auch vom holländischen Unternehmen Fastned. EnBW etwa will die aktuell über 350 Standorte bis 2025 auf 2500 Schnellladestandorte ausbauen, das sind mehr als es bei Deutschlands führenden Mineralölunternehmen Tankstellen gibt. Entlang der Autobahnen scheint das Ladenetz aber nicht in dem gleichen Tempo zu wachsen wie der E-Auto-Bestand. An verkehrsreichen Wochenenden, wenn viele Privat-Pkws unterwegs sind, können zu viele belegte Ladepunkte die eigene Planung durchkreuzen. Und zu häufig defekte Ladesäulen zeugen auch nicht gerade von hoher Service- und Wartungsqualität.
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