Angeborene Fehlbildungen: Hilfe aus dem 3D-Drucker
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Unter dem 3D-Mikroskop betrachtet Prof. Jörg Wiltfang die Zungenasymmetrie bei einem Kind mit Wiedemann-Beckwith-Syndrom.
© Quelle: UKSH/CAU
Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist nach dem Klumpfuß die häufigste angeborene Fehlbildung überhaupt. Betroffen ist nach Angaben von Prof. Jörg Wiltfang, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel, ungefähr eines von 500 Neugeborenen. Mädchen und Jungen sind praktisch gleich stark vertreten, wobei die Ursachen des Phänomens immer noch nicht ganz klar sind. Ins Auge fällt natürlich die gespaltene Lippe, aber auch der Gaumen kann in der Embryonalzeit im Mutterleib nicht zusammengewachsen sein. Was jedoch vor ein paar Jahrzehnten trotz chirurgischer Korrekturen häufig noch bleibende Entstellungen bedeutete, lässt sich heute in der Regel mit verblüffendem Erfolg zurechtrücken. Hilfreich ist hier seit einigen Jahren ein 3D-Mikroskop, unter dem die Operationen mit feinsten Instrumenten und feinsten Fäden vorgenommen werden können.
Gewöhnlich wird das betro ffene Kind im Alter von drei bis vier Monaten zum ersten Mal operiert, und zwar an der Lippe. Ungefähr ein halbes Jahr später ist dann der Gaumen an der Reihe. "Man könnte auch beide Eingri ffe auf einmal machen, aber das wäre für so kleine Kinder eine starke Belastung", erklärt Oberarzt Dr. Henning Wieker. Zudem verbessert in der Vorbereitung solcher Operationen seit einiger Zeit die Digitalisierung die Ergebnisse. Das gilt besonders für den Gaumen, wo eine sogenannte Trinkplatte eingesetzt wird, um die angeborene Lücke zu schließen. Statt einen Abdruck wie beim Zahnarzt zu fertigen, scannt man am UKSH mit einer kleinen 3D-Kamera in Sekunden diesen Bereich – und erhält bei minimaler Belastung maximal exakte Daten.
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Prof. Jörg Wiltfang ist Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am UKSH.
„Das ist wirklich sehr, sehr genau“, freut sich Dr. Wieker, der dank der kompakten Technik auch zu entfernten Kliniken in Schleswig-Holstein fahren kann, um den Kindern lange Wege oder im Fall weiterer Beeinträchtigungen eine Verlegung zu ersparen. Die Fertigung der Trink- oder Gaumenplatte selbst läuft dann ebenfalls denkbar einfach: Statt der üblichen zahntechnischen Fachkraft übernimmt ein 3D-Drucker diesen Job.
In den allermeisten Fällen ist das Problem nach den beiden Eingri ffen am Gaumen und an der Lippe praktisch ein für allemal erledigt. „Nur im Alter von zehn bis zwölf Jahren muss noch einmal ein Stück vom Hüftknochen entnommen werden, um die durchs Wachstum veränderte Kieferspalte zu verschließen“, sagt Prof. Wiltfang.
Eine weitere, allerdings recht seltene Fehlbildung ist das Wiedemann-Beckwith-Syndrom, das sich durch eine viel zu große Zunge äußert. An der Kieler Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie wird die weltweit größte Gruppe betroffener Kinder behandelt und betreut, aktuell umfasst sie etwa 100 Jungen und Mädchen aus ganz Deutschland und dem Ausland.
Dass diese Fehlbildung so selten vorkommt, bereitet aber auch Schwierigkeiten, denn unter anderem mangels Erfahrungen in ärztlichen Praxen werden die Kinder oft zu spät im UKSH vorgestellt. „Manche sehen wir mit drei oder sechs Jahren zum ersten Mal“, bedauert Prof. Wiltfang. In der Hoffnung, „dass sich das unter logopädischer Therapie schon zurecht wächst“ vergeht dann womöglich so viel Zeit, dass sich im Mund-Kiefer-Bereich Folgeschäden ergeben. Zur Korrektur sind dann für Kind und Eltern aufwendige Operationen erforderlich.
Prof. Wiltfangs Rat: „Früh zu uns kommen, damit wir wirklich noch Gelegenheit haben, das Kind zu beobachten, um herauszufinden, ob eine Operation tatsächlich nötig ist. Hier eignet sich das Alter zwischen sechs und zwölf Monaten am besten.“
Lohnend ist das nach Angaben des Experten allemal, denn der Eingri ff selbst ist bei entsprechender Erfahrung relativ unkompliziert und erhält ein Leben lang die volle Funktionalität der Zunge. „Die Kinder können sich bald gar nicht mehr daran erinnern, dass sie jemals ein solches
Problem gehabt haben“, fasst Prof. Jörg Wiltfang die denkbar segensreichen E ffekte einer solchen Zungenverkleinerung zusammen.
Klinik für Mund-, Kiefer- und
Gesichtschirurgie (MKG)
Campus Kiel – Haus B
KN