Auf Delta folgt Omikron: Was der Machtwechsel für Deutschland bedeutet
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/TU2Y7P4SJZA7XAKHJSJXJUWUG4.jpg)
Die bevorstehende Omikron-Welle könnte zu noch schärferen Kontaktbeschränkungen führen.
© Quelle: imago images/NurPhoto
Die Virusvariante Omikron facht das Infektionsgeschehen in Deutschland wieder an: Die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt, ebenso wie die Sieben-Tage-Inzidenz. Am Montagmorgen meldete das Robert Koch-Institut (RKI) 25.255 neue Fälle, also rund 6700 Infektionen mehr als in der Vorwoche. Schon Ende vergangenen Jahres hatte der Anteil der Virusvariante an den bundesweiten positiven Corona-Proben bei 44,3 Prozent gelegen, wie aus dem aktuellen Wochenbericht der Behörde hervorgeht.
Omikron ist auf dem besten Weg, zur vorherrschenden Virusvariante in Deutschland zu werden und ihren Vorgänger Delta zu verdrängen. Da die Zahl der Omikron-Fälle derzeit exponentiell steigt, könnte sich die Mutante mittlerweile bereits durchgesetzt haben. Noch fehlen aber aktuelle Daten zur Verbreitung der Virusvariante, die dies bestätigen.
„Man muss konstatieren, dass Omikron vermutlich schon in großen Teilen der Republik die vorherrschende Rolle eingenommen hat“, fasst Martin Stürmer, Virologe und Laborleiter am IMD-Labor für interdisziplinäre Medizin und Diagnostik in Frankfurt, die aktuelle Lage zusammen.
Doch was bedeutet es eigentlich für das weitere Infektionsgeschehen, wenn Omikron nun zur dominierenden Virusvariante wird?
Omikron ist leichter übertragbar als Delta
Omikron unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von Delta. Die erstmals in Südafrika nachgewiesene Virusvariante ist etwa deutlich ansteckender, sodass sie sich schneller verbreiten kann. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass sich die Infektionen mit der Omikron-Variante etwa alle zwei bis vier Tage verdoppeln. Bei Delta war die Verdopplungszeit noch kürzer.
Hinzu kommt, dass bei Omikron nicht nur Ungeimpfte, sondern auch Genesene und doppelt Geimpfte ein hohes Infektionsrisiko haben. Denn die Virusvariante ist in der Lage, die aufgebauten Immunantworten teilweise zu umgehen. Selbst nach einer Boosterimpfung besteht kein hundertprozentiger Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus.
„Früher oder später wird sich jeder mit Omikron infizieren“, machte vor wenigen Tagen Ralf Bartenschlager, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Virologie, gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) deutlich. Es ist also damit zu rechnen, dass die Infektionszahlen in den kommenden Wochen noch einmal deutlich steigen werden, wenn sich Omikron in Deutschland weiterhin so rasch ausbreitet.
Maßnahmen haben Omikron-Welle gebremst
Eigentlich hatten Expertinnen und Experten wie etwa die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek geschätzt, dass Omikron schon rund um Weihnachten vergangenen Jahres dominant sein könnte. Diese Prognose trat jedoch nicht ein.
„Es gab sehr viele Appelle, die Politik hat entsprechende Maßnahmen ergriffen, beides hat sicherlich die Omikron-Welle etwas gebremst“, sagte Virologe Stürmer. Auch hätten viele Menschen Weihnachten in diesem Jahr womöglich etwas zurückhaltender gefeiert, was sich ebenfalls positiv auf das Infektionsgeschehen ausgewirkt haben könnte, so seine Vermutung. „Ich bin mir sicher, wenn wir gar nichts getan hätten, oder weniger, wäre die Welle früher gekommen.“
Stephan Ludwig, Virologe von der Universität Münster, erklärt sich die nicht eingetretene Weihnachtsprognose wie folgt: „Für die Modellierungen hat man vermutlich Anstiegsraten aus anderen Ländern, wie zum Beispiel England herangezogen, wo kaum noch Schutzmaßnahmen gegen das Virus bestehen. In Deutschland haben uns Abstandsregeln und Maskentragen wahrscheinlich ein wenig Zeit verschafft.“
Überlastung der kritischen Infrastruktur möglich
Diese gewonnene Zeit war wichtig, um mit den Impfungen voranzukommen. Zwar ist der Schutz der Vakzine vor einer Omikron-Infektion reduziert, sie können aber nach wie vor schwere Krankheitsverläufe vorbeugen. Deshalb hatte der Expertenrat der Bundesregierung in einer ersten Stellungnahme von Mitte Dezember vor allem Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen dazu aufgerufen, sich impfen zu lassen. Gleichzeitig hatte das Gremium empfohlen, Vorbereitungen für den Fall zu treffen, dass es zu einer Überlastung der kritischen Infrastruktur – beispielsweise der Krankenhäuser, Telekommunikationsunternehmen oder Strom- und Wasserversorger – während der Omikron-Welle kommt.
Dieses Worst-Case-Szenario ist etwa in Großbritannien eingetreten. Dort sind etliche Menschen mit Omikron infiziert, darunter auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die – statt zur Arbeit zu gehen – in Isolation ausharren müssen. Die vielen krankheitsbedingten Personalausfälle setzen das britische Gesundheitssystem unter Druck. Zum Teil muss nun die britische die Armee in den Krankenhäusern aushelfen.
Omikron-Welle trifft vor allem Normalstationen
Vor solchen Zuständen warnt auch der Expertenrat der Bundesregierung. Die Zahl der Covid-19-Patientinnen und -Patienten in den Krankenhäusern bleibt aktuell auf einem hohen Niveau, auch auf den Intensivstationen. „Ein hohes Patientenaufkommen kombiniert mit akutem Personalmangel kann innerhalb von kurzer Zeit die allgemeine medizinische Versorgung in Deutschland gefährden“, heißt es in der zweiten Stellungnahme des Gremiums, die Anfang Januar folgte.
Anders als bei Delta dürften bei der kommenden Infektionswelle mit Omikron weniger die Intensivstationen betroffen sein, sondern eher die Normalstationen. Daten aus Großbritannien und Südafrika legen nahe, dass Omikron eher für milde Krankheitsverläufe sorgt. Dies lässt sich nach Einschätzung des Expertenrats nur zum Teil dadurch erklären, dass die Virusvariante harmloser geworden ist. Vielmehr dürften viele Menschen in den beiden Ländern schon eine Grundimmunität besitzen – entweder durch eine Impfung oder eine durchgemachte Infektion mit einer vorherigen Virusvariante.
Auch Omikron-Infizierte können schwer erkranken
„Diese Daten aus anderen Ländern lassen sich jedoch nicht 1:1 auf Deutschland übertragen, insbesondere da wir noch eine große Anzahl an Menschen in Deutschland haben, die weder genesen noch geimpft sind“, stellte Virologe Ludwig klar. „Es besteht die Gefahr, dass dieser Personenkreis für schwerere Verläufe empfänglicher ist.“
Es ist also nicht auszuschließen, dass auch bei Omikron wieder Menschen schwer erkranken und schlimmstenfalls auf den Intensivstationen behandelt werden müssen. Davon ist auch Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing, überzeugt: „Gerade für Ungeimpfte kann Omikron individuell betrachtet auch zu sehr schweren Verläufen führen, die uns auf Intensivstation belasten werden“, sagte er vergangene Woche im Gespräch mit dem Science Media Center. Er geht zudem davon aus, dass in den kommenden Wochen noch einmal vermehrt planbare Operationen verschoben werden müssen.
„Wir rechnen schon bald mit vielen Omikron-Patienten, die einen höheren Aufwand in den Krankenhäusern erfordern“, sagte auch Susanne Johna, Vorsitzende des Ärzteverbands Marburger Bund, im RND-Interview. „Wir werden sehr schnell erhebliche Einschränkungen bei planbaren Eingriffen im Krankenhaus vornehmen müssen, weil das Personal zur Betreuung der Covid-Patienten auf Normalstationen gebraucht wird.“
Delta wird vermutlich vollständig verdrängt
Der Expertenrat der Bundesregierung empfiehlt, die Entwicklung der Omikron-Welle genau zu beobachten. „Sollte absehbar in den kommenden Wochen die Belastung durch hohe Infektionszahlen und Personalausfälle zu hoch werden, ist kurzfristig eine weitere Intensivierung der Kontaktbeschränkungen erforderlich“, schreibt das Gremium in seiner zweiten Stellungnahme.
Und was wird am Ende aus Delta, der Virusvariante, die bislang das Infektionsgeschehen in Deutschland dominiert hat?
„Es ist davon auszugehen, dass Omikron wegen der besseren Übertragbarkeit die Delta-Variante so gut wie vollständig verdrängt“, sagte Virologe Ludwig. Fachleute hatten zum Teil vermutet, dass Delta und Omikron koexistieren, also beide Virusvariante gleichzeitig zum Infektionsgeschehen beitragen könnten. Es könne durchaus zwischenzeitlich eine gewisse Koexistenz geben, glaubt der Frankfurter Virologe Stürmer. Er hält es jedoch für wahrscheinlicher, dass Omikron Delta vollständig verdrängen wird. „Es kann sogar passieren, dass wir eine Omikron-Dominanz von 100 Prozent sehen werden“, sagte er.
In der ursprünglichen Version des Artikels hieß es, dass am Montag rund 18.500 Corona-Infektionen mehr als in der Vorwoche gemeldet wurden. Tatsächlich waren es aber nur rund 6700 Fälle mehr; stattdessen betrug die Zahl der Neuinfektionen am vergangenen Montag rund 18.500. Wir haben dies korrigiert.