Nach Ende des Gesundheitsnotstands

„Dieses Virus ist hier, um zu bleiben“: Wie geht es mit Corona weiter?

Vor dem Hauptbahnhof in Rostock weist im Oktober 2022 ein großes Virussymbol auf die Corona-Teststation hin.

Vor dem Hauptbahnhof in Rostock weist im Oktober 2022 ein großes Virussymbol auf die Corona-Teststation hin.

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Drei Jahre hat die Welt auf diese Worte gewartet. Am vergangenen Freitag spricht Tedros Adhanom Ghebreyesus sie endlich aus: „Mit großer Hoffnung erkläre ich Covid-19 als globalen Gesundheitsnotstand für beendet.“ Wirklich erleichtert und glücklich wirkt der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht, als er die Entscheidung des eigens für Corona eingerichteten Notfallausschusses überbringt. Im Gegenteil: Sein Blick ist starr und emotionslos. Es sei zwar einerseits ein Moment zum Feiern, sagt er, aber andererseits auch ein Moment zum Nachdenken. Denn die Gefahr des Coronavirus sei noch nicht gebannt. „Dieses Virus ist hier, um zu bleiben.“

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Doch was bedeutet das? Sollten wir in Bussen und Bahnen also weiterhin Masken tragen? Uns sofort das Teststäbchen in die Nase schieben, wenn wir Husten, Schnupfen oder Halsschmerzen haben? Uns regelmäßig eine neue Corona-Impfstoffdosis abholen? Und uns im Herbst und Winter wieder darauf einstellen, dass die Kliniken aus allen Nähten platzen, weil zusätzlich Covid-Patientinnen und -Patienten die Betten belegen?

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Ein „kollektives Achselzucken“ der Länder

Dass der globale Gesundheitsnotstand vorbei ist, bedeutet zumindest ein psychologisches Ende der Pandemie. In der Praxis ändert sich jedoch nicht viel. Die Notstandserklärung war primär eine Alarmglocke, die die WHO 2020 erstmals geläutet hat, um die Länder und Öffentlichkeit aufzurütteln. Sie sollten die Bedrohung des Virus ernst nehmen und sich vorbereiten. Inzwischen hat sich der Erreger jedoch in der Gesellschaft etabliert: Nur sehr wenige Menschen haben sich nicht mit ihm infiziert. In der Folge hat die Bevölkerung eine Immunität aufgebaut, unterstützt durch Impfungen, die dafür sorgt, dass die Infektionszahlen nun weltweit mehrheitlich zurückgehen, ebenso wie die Sterblichkeit.

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Der Pandemiestatus hingegen bleibt – noch. Genauso entscheiden die Länder weiterhin selbst, ob sie Covid-19 als Notfall behandeln wollen – und wenn ja, wie. Die USA haben bereits das Ende des nationalen Notstands erklärt. Das Ende des globalen Gesundheitsnotstands komme zu einem Zeitpunkt, an dem ein Großteil der Länder ohnehin seine Bedenken und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie abbaut, sagte Victoria Fan vom Center for Global Development dem Nachrichtenportal Vox. „Viele Länder sind bereits weitergezogen und haben andere politische Prioritäten wie steigende Schulden, Inflation und alle möglichen anderen Krisen, die in den Vordergrund gerückt sind.“ Das Ende des Gesundheitsnotstands sei also „eine Art kollektives Achselzucken“.

Genau das hat WHO-Generaldirektor Ghebreyesus befürchtet: „Das Schlimmste, was ein Land jetzt tun könnte, ist, diese Nachricht zum Anlass zu nehmen, seine Wachsamkeit zu vernachlässigen, die von ihm aufgebauten Systeme abzubauen oder seiner Bevölkerung die Botschaft zu vermitteln, dass Covid-19 kein Grund zur Sorge ist.“ Stattdessen gehe es nun darum, ein langfristiges Pandemiemanagement zu erarbeiten. Aber wie könnte das aussehen? Wie sollten wir in Zukunft mit Corona leben?

Corona bleibt Sommer- und Wintervirus

„Ich denke, dass wir momentan in einer Art Übergangsphase sind“, sagt Björn Meyer, Virologe vom Universitätsklinikum Magdeburg. Die Infektionswellen scheinen hierzulande geringer zu sein, wenngleich sie nicht saisonal begrenzt sind. Während Krankheitserreger wie die Grippeviren vorwiegend in den kälteren Monaten für Infektionen sorgen, ist vom Coronavirus bekannt, dass es auch im Sommer niedrigschwellig auftreten kann. „Es ist ein wenig offen, ob und wie lange genau es braucht, bis eine Immunität der globalen Bevölkerung die Infektionsdynamik so verändern kann, dass das Virus sich hier primär nur noch in Wintermonaten gut ausbreiten kann“, sagt Meyer. Dieser Prozess werde wohl „schleichend“ erfolgen und könne „noch einige Jahre“ dauern.

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WUHAN, CHINA - OCTOBER 29: (CHINA OUT) People dressed in Halloween-themed costumes participate in a parade event celebrating Halloween at the Happy Valley on October 29, 2020 in Wuhan, Hubei province, China.As there have been no recorded cases of community transmissions since May, life for residents is gradually returning to normal. (Photo by Getty Images)

Die Suche nach dem Corona-Ursprung: Was geschah in Wuhan?

Alles begann mit einer Fledermaus – oder doch mit einem Laborunfall? Wie und wo das Coronavirus entstanden ist, ist noch immer nicht ganz geklärt. Die Spurensuche ist komplex und weist weiterhin einige Lücken auf. Was bisher bekannt ist – und was nicht.

Das heißt, auch im Sommer wird uns das Coronavirus vorerst weiter begleiten. Infektionshochzeit bleiben jedoch Herbst und Winter. Krankenhäuser und Kliniken müssten sich deshalb darauf einstellen, dass es zu diesen Zeiten mehr Patientinnen und Patienten mit akuten Atemwegserkrankungen wie Covid-19 gibt, die sie behandeln müssen, meint Epidemiologe Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin. Doch wie viele? Werden die Krankenhäuser stellenweise wieder mit Engpässen sowohl beim Personal als auch bei den Betten konfrontiert? Oder wird die Behandlungslage zunehmend entspannter?

Das hängt vor allem davon ab, wie schwer das Coronavirus in Zukunft krank machen wird. „Inwieweit die Krankheitslast in der Gesamtbevölkerung weiter abnimmt, ist derzeit schwer zu beurteilen“, sagt Virologe Meyer. Mit Omikron ist eine Virusvariante in Deutschland vorherrschend, die im Vergleich zu ihren Vorgängern weniger schwere Verläufe verursacht. Deshalb wird der Ansturm auf die Kliniken wohl ausbleiben. Dennoch gibt es Menschen, die nach wie vor schwer erkranken können. Das sind Menschen mit Vorerkrankungen, Immungeschwächte und Ältere. Nicht für alle, aber für viele bleibt das Coronavirus also gefährlich. Hinzu kommt noch das Risiko für Long Covid, also die Spätfolgen einer Corona-Erkrankung. Auch das bleibt bestehen.

Corona ist kein Grippevirus 2.0

Risikopersonen müssen sich wohl weiterhin vor dem Coronavirus schützen. Zum Beispiel durch Impfungen. Die Ständige Impfkomission (Stiko) hat vor Kurzem ihren Corona-Impfplan vorgelegt, der beschreibt, wer sich in Zukunft wie oft gegen Covid-19 impfen lassen sollte. Das Expertengremium empfiehlt Risikopersonen eine gute Grundimmunisierung – bestehend aus mindestens zwei Impfungen und einer Infektion oder weiteren Impfung. Außerdem sollten sie sich jährlich mit einem an Omikron angepassten Impfstoff boostern lassen – vorzugsweise im Herbst. Der Impfabstand könne sich im weiteren Verlauf der Pandemie noch einmal ändern, merkte Stiko-Mitglied Christian Bogdan an.

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Für alle anderen sind erst einmal keine weiteren Corona-Impfungen vorgesehen. „Ich denke, dass generell Impfungen weiterhin ein wichtiger Baustein gegen die Krankheitslast, die durch das Virus verursacht wird, sein werden“, ist Meyer überzeugt. Welche genaue Impfstrategie am besten sei, bleibe abzuwarten. Eine Rolle spielt dabei unter anderem die Virusevolution und die Dauer der Immunität. Bisher deutet vieles darauf hin, dass Sars-CoV-2 in Zukunft ähnlich wie die Grippeviren behandelt wird. Das würde bedeuten: Risikopersonen sollten sich in den Herbst- beziehungsweise Wintermonaten impfen, die restliche Bevölkerung würde ihre Immunität durch wiederholte Infektionen auffrischen.

Das Grippevirus 2.0 ist Corona deshalb aber nicht. Dagegen spricht zum Beispiel, dass die Krankheitsschwere und Sterblichkeit höher ist als bei der Grippe. Noch sei es schwer zu sagen, wo sich das Coronavirus in Zukunft einsortiert, sagt Martin Stürmer, Virologe und Leiter des IMD Labor Frankfurts. Also: ob bei den „unauffälligen Alltagsbegleitern“ wie den humanen Coronaviren, die nur einmal für ein bisschen Schnupfen und Halsschmerzen sorgen, oder bei den „anstrengenderen, nervigeren, fordernden“ Kandidaten wie den Grippeviren. Stürmer vermutet eher bei Letzteren.

Keine gefährlichere Virusvariante in Sicht

Ob Corona unauffällig oder doch eher nervig wird, hängt auch davon ab, wie sich das Virus weiter entwickelt. Die Evolution des Erregers ist noch nicht abgeschlossen. Das zeigt sich allein daran, dass weltweit immer wieder neue Varianten entdeckt werden. Zuletzt hatte die WHO die Virusvariante XBB.1.16 auf ihre Beobachtungsliste aufgenommen. Sie hatte zunächst in Indien, später auch in den USA und England für zahlreiche Infektionen gesorgt.

„Die Evolution von Viren ist an sich ein kontinuierlicher Prozess“, sagt Virologe Meyer. Jedes Mal, wenn sich das Virus vermehrt und dabei in den Zellkernen seiner Wirte sein Erbgut kopieren lässt, können Kopierfehler, also Mutationen, auftreten. Sie können dem Virus bei der Verbreitung von Vorteil sein und sich durchsetzen. Dieser Prozess habe sich in den vergangenen Jahren hinreichend beobachten lassen, so Meyer. „An dieser Art der Evolution wird sich auch in Zukunft wenig ändern.“ Nur wenn es weniger Infektionen gibt, kann die Evolution des Virus ausgebremst werden.

„Ein Restrisiko besteht zwar noch, dass eine ganz neue Variante noch einmal pandemisches Potenzial entwickelt“, sagt Ulrichs. „Doch je länger die augenblickliche Situation anhält, desto unwahrscheinlicher wird das.“ Aktuell gibt es keine Virusvariante, von der eine gesteigerte Gefahr für die Bevölkerung ausgeht, zum Beispiel weil sie wieder schwerer krank macht oder das Immunsystem noch stärker überlisten kann.

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Corona läuft unter dem Radar

Um zu überwachen, ob eine neue Corona-Variante im Anmarsch ist, braucht es aus Sicht von Stürmer vor allem ein vernünftiges Monitoring. „Ich bin der Meinung, dass wir bei Sars-CoV-2 ein bisschen zu früh aufgehört haben, uns einen vernünftigen, relevanten Überblick zu bewahren, um zu lernen und Gefahren abzuschätzen“, sagt er. Das Virus läuft jetzt unter dem Radar – auch, weil sich nur noch wenige auf Corona testen oder testen lassen. Derzeit ist das kein Problem, denn der Erreger verursacht seltener schwere Krankheitsverläufe, doch sollte sich schlimmstenfalls wieder eine gefährlichere Variante durchsetzen, riskieren wir, sie zu übersehen. „Wir dürfen das Virus nicht unterschätzen“, sagt Stürmer.

Bei der Kriminalpolizeiinspektion liegen Impfpässe unter einer Lupe, darunter ein aufgeschlagener Impfausweis mit einem Eintrag einer Corona-Impfung Corona-Impfung mit dem Impfstoff Johnson & Johnson. Diese Impfpässe wurden im Rahmen der Ermittlungen gegen einen Arzt sichergestellt, der Patienten Impfpässe mit einem Eintrag einer Corona-Impfung ausstellte, ohne sie geimpft zu haben. (zu dpa "Impfbetrug reißt nicht ab - Ermittler rechnen mit hoher Dunkelziffer")

Post-Vac-Syndrom: Was wir inzwischen wissen – und was immer noch nicht

Nicht nur nach einer Corona-Infektion klagen Menschen über Langzeitschäden, sondern auch nach den Impfungen. Die Rede ist vom sogenannten Post-Vac-Syndrom. Doch welche langfristigen Beschwerden können die Corona-Impfungen auslösen? Und wie entstehen sie? Ein Überblick.

Dem Virologen zufolge müssten jetzt die richtigen Lehren aus der Pandemie gezogen werden. Was hat wo wie gut funktioniert? Keine einfache Frage. Selbst Fachleute sind an ihr in den vergangenen Monaten gescheitert. Grund dafür ist auch, dass sich Maßnahmen teilweise nicht einzeln bewerten lassen, da sie zeitgleich eingeführt worden waren. Einzelne Schutzmaßnahmen per se für die Zukunft ausschließen will Stürmer nicht. „Jede Pandemie, jedes Virus kann andere Eigenschaften haben, die sogar Lockdowns oder Schulschließungen wieder nötig machen könnten.“ Darüber könnte zum Beispiel ein interdisziplinärer Pandemierat entscheiden, schlägt der Experte vor.

Auch einfache Maßnahmen wie das Maskentragen könnten in Zukunft noch von Bedeutung sein. Zum Beispiel im öffentlichen Raum, wenn man Symptome hat, nennt Virologe Meyer als Beispiel. „Ich denke, dass man durchaus von der Pandemie gelernt hat, dass man das persönliche Risiko durch eine Infektion durch einige einfache Maßnahmen reduzieren kann.“ Für den Moment werden die Masken, genauso wie die Tests selbst in sensiblen Bereichen wie Kliniken jedoch zunehmend überflüssig. Die Lage entspannt sich – was auch das Ende des globalen Gesundheitsnotstands verdeutlicht. Auch wenn das Coronavirus bleibt, so bedeutet die aktuelle Entwicklung vor allem eines: Entwarnung.

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