Hohe Todeszahlen befürchtet

Corona-Welle in China: Wie gefährlich wird sie für den Rest der Welt?

Passagiere in Schutzkleidung tragen ihr Gepäck im Terminal des Flughafens in Peking.

Passagiere in Schutzkleidung tragen ihr Gepäck im Terminal des Flughafens in Peking.

Peking. Was passiert mit einem Staudamm, der leckschlägt? Richtig: Die Millionen Liter Wasser, die darin eingeschlossen sind, strömen mit gewaltigem Druck aus den Lecks heraus und überschwemmen umliegende Städte, Dörfer und Landschaften. Das gleiche Prinzip lässt sich auf China und die Null-Covid-Strategie anwenden.

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Bis zuletzt hat die Volksrepublik versucht, das Coronavirus einzudämmen – durch tägliche Massentests, regionale Lockdowns, Zwangsquarantänen und Kontaktnachverfolgung. Nach Protesten aus der Bevölkerung folgte nun die radikale Kehrtwende. Keine PCR-Tests mehr, keine Lockdowns, als hätte es die strikten Maßnahmen nie gegeben. Um im Bild zu bleiben: China hat damit seinen Corona-Staudamm eingerissen. Und nun folgt die Sturzflut.

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Krankenhäuser sind am Limit, Medikamente fehlen

Wie viele Menschen sich aktuell mit Corona infizieren, wissen die chinesischen Behörden nicht. Sie haben längst den Überblick über das Infektionsgeschehen verloren. Die täglichen Meldungen zu den Corona-Zahlen wurden zudem zurückgefahren: Neuinfektionen, die symptomfrei verlaufen, würden nicht mehr publik gemacht, hieß es in einer Notiz der nationalen Gesundheitskommission. Nur noch bestätigte Fälle würden gezählt. Schätzungsweise ist allein in Peking zurzeit mehr als jeder Zweite an Covid-19 erkrankt.

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Statistiken der Johns-Hopkins-Universität zufolge sinken die Corona-Fallzahlen in China gerade. Doch die Dunkelziffer bei den Ansteckungen dürfte weitaus höher sein. Dafür spricht auch die Lage in den Kliniken: Sie sind größtenteils überlastet – einerseits wegen eines hohen Patientenaufkommens, andererseits weil das Personal fehlt, das selbst am Coronavirus erkrankt ist. Daher bekommen Patientinnen und Patienten in Wuhan beispielsweise intravenöse Infusionen im geparkten Auto am Straßenrand verabreicht – quasi als Drive-in.

Und auch in den Unternehmen, Geschäften und Restaurants macht sich der hohe Krankenstand bemerkbar. In Chinas Hauptstadt Peking sind sie zum Teil lahmgelegt, weil ein Großteil der Beschäftigten krank ist. Apotheken fehlen wiederum Medikamente gegen Erkältungen und Fieber. Und selbst Corona-Schnelltests sind mittlerweile schwer zu bekommen.

Corona-Impfungen wurden vernachlässigt

Die gerade stattfindenden Öffnungen würden viel zu rasch und unkontrolliert erfolgen, warnt Timo Ulrichs, Epidemiologe von der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin. Auch weil die Bevölkerung durch die Null-Covid-Maßnahmen keine ausreichende Grundimmunität gegen das Virus aufbauen konnte.

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Zwar sind rund 90 Prozent der Menschen in China vollständig gegen Covid-19 geimpft – ein größerer Anteil als in anderen Ländern der Welt, einschließlich Deutschland. Doch bei den Auffrischungsimpfungen gibt es gerade in der älteren Bevölkerung eine große Lücke: Nur etwa 40 Prozent der über 80-Jährigen sind geboostert. Und gleichzeitig sind die verwendeten Impfstoffe – hauptsächlich Sinopharm und Sinovac – nachweislich wenig wirksam gegen die Omikron-Variante.

„Ohne eine gleichzeitige Impfkampagne mit wirksamen Impfstoffen ist die derzeitige Öffnung der chinesischen Population für das Virus gefährlich: Das Gesundheitssystem droht zu überlasten“, sagt Ulrichs. „Eine hochansteckende Virusvariante trifft auf eine nahezu immunnaive Bevölkerung. Das wird hohe Fall- und Opferzahlen zur Folge haben.“ Und womöglich auch Long-Covid-Fälle, also Spätfolgen, nach sich ziehen.

Großstädte sind ideale Brutplätze für das Virus

Die Millionenmetropolen in China sind ideal für das Coronavirus. Dort leben Menschen eng beieinander, was es dem Erreger leichter macht, sich zu verbreiten. Dies könne zu negativen Knock-on-Effekten, also Kettenreaktionen, führen, warnt Björn Meyer. Im schlimmsten Fall würden so bei mangelnder medizinischer Versorgung zusätzliche Todesfälle eintreten, so der Leiter der Arbeitsgruppe Virusevolution am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Magdeburg. „Daher ist das ‚Wie‘ der neuen Öffnungsstrategie in China sehr entscheidend, um dort den Druck von Krankheitsfällen und möglichen Krankenhauspatienten ein wenig zu steuern.“

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Ob es den Verantwortlichen tatsächlich gelingt, die Corona-Lage beizeiten unter Kontrolle zu bringen? Auf diese Frage gibt es zurzeit nur eine Antwort: Man muss abwarten. Es wäre jedoch falsch, zu denken, dass das Chaos am anderen Ende der Welt nur dort von Bedeutung ist. Auch für den Rest der Welt könnte es Folgen haben.

Drohen weitere Mutationen bei Corona?

Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité hatte zuletzt mit Sorge nach China geblickt. Die hohen Infektionszahlen würden es dem Virus ermöglichen, sich weiter zu verändern, zu mutieren, hatte er Ende November in einem Interview mit der „Zeit“ gesagt. Man könne nicht ausschließen, dass Corona bei der Evolution noch einmal einen Sprung mache. „Ich erwarte es aber nicht in nächster Zeit. Und es kann genauso gut sein, dass erst einmal gar nichts mehr passiert.“

„Viren ändern sich ständig durch Mutationen und jede Infektion hat das Potenzial, da einen Beitrag zu leisten“, stellte Virologe Meyer klar. Trotz mangelhafter Immunität in der chinesischen Bevölkerung bestehe kurz- und mittelfristig kein großer Selektionsdruck, der neue Immunfluchtvarianten zur Folge haben könnte. Langfristig werde sich diese Dynamik aber durchaus noch einmal verändern und Immunfluchtmutationen, basierend auf der aufgebauten Immunität, seien möglich.

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„Inwieweit das Immunitätsprofil und somit die zukünftigen Mutationen in China anders sein könnten als bei uns, ist erst einmal offen und wir müssen abwarten, wie es sich entwickelt“, sagte Meyer. Ein wichtiger Faktor seien auch hier die Millionenstädte. Dort seien genomische Überwachungen des Virus wichtig, „damit man sehr zeitnah eine gute Einschätzung der zirkulierenden Viren durchführen kann“.

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Neujahrsfest könnte wieder Superspreader-Event werden

Noch bestehen zudem Reisebeschränkungen nach und aus China. „Das könnte sich derzeit noch günstig auswirken, wenn sich Mutationen entwickeln“, sagte Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. „Aber es besteht aus meiner Sicht schon eine gewisse Gefahr, dass erneut eine pandemische Ausbreitung zum Problem wird, sofern sich Mutationen durchsetzen sollten.“

2019/2020 war es das chinesische Neujahrsfest, das dazu beitrug, dass sich Corona rasch in der Welt verbreiten konnte. Chinesinnen und Chinesen besuchen an diesen Feiertagen ihre Familien, was bisher jedes Jahr eine Reisewelle ausgelöst hatte. Auch dieses Mal könnte das Fest zu einem klassischen Superspreader-Event werden.

Doch China ist nicht das einzige Land, von dem eine Corona-Gefahr für die Welt ausgeht. Auch in anderen Ländern, zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent, ist die Immunität gegen den Erreger unzureichend, das Mutationsrisiko also groß. Epidemiologe Ulrichs forderte deshalb, dass Deutschland die Covax-Initiative, die sich für einen gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen weltweit einsetzt, deutlich stärker unterstützt. „Die Pandemie ist weltweit erst vorbei, wenn sie überall durch erhöhte Grundimmunität der Bevölkerungen kontrollierbar ist.“

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