Mit Kräutern und Akupunktur gegen Covid? Nordkorea setzt auf Koryo
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Nicht nur mit Kräutern gegen das Virus. Dieses Mitte Mai von der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA zur Verfügung gestellte Bild zeigt Bahnhofspersonal bei der Desinfektion des Bahnhofsgeländes in Pjöngjang im Rahmen von Quarantänemaßnahmen gegen neue Coronavirus-Infektionen.
© Quelle: -/kcna/dpa
Paju. Als Medizinstudent behandelte sich Lee Gwang Jin selbst mit traditioneller Kräutermedizin, wenn er Fieber und andere leichte Erkrankungen hatte. Bei schweren Krankheiten sei das aber keine Hilfe, sagt der 29-jährige Nordkoreaner. Entsprechend skeptisch reagiert er nun auf Berichte der Staatsmedien, wonach die Regierung in Pjöngjang im Kampf gegen Covid-19 auf die traditionelle Koryo-Medizin setzt.
„Das ist kein sicheres Heilmittel“, sagt Lee, der vor seiner Flucht nach Südkorea im Jahr 2018 im Norden Koryo-Medizin studierte. „Sterbende können damit nicht gerettet werden.“ Die Regierung betont indes, dass mit Koryo Corona-Patientinnen und Corona-Patienten geheilt würden.
Aus Sicht von Expertinnen und Experten dient die Heilkunde – wie viele andere Bereiche des Lebens – als politisches Mittel: Die Führung könne so behaupten, im Gegensatz zu anderen Ländern die Pandemie aus eigener Kraft besiegt zu haben.
Milde Corona-Symptome mit Koryo-Medizin behandeln
Gesundheitsexperten, Gesundheitsexpertinnen und Überläufer bezweifeln jedoch, dass Schwerkranke die notwendige Behandlung bekommen. Der Naturheilkundler Yi Junhyeok vermutet, dass Nordkorea auf Koryo zurückgreife, weil es nicht über genug moderne Medizin zur Bekämpfung von Covid-19 verfüge. „Milde Symptome mit Koryo-Medizin zu behandeln, ist keine schlechte Option“, sagt der Forscher am südkoreanischen Korea-Institut für Orientalische Medizin. „Aber für lebensgefährlich Erkrankte und Hochrisiko-Patienten braucht Nordkorea Impfstoffe, Notversorgungssysteme und andere medizinische Ressourcen.“
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Seit das kommunistische Land seinen ersten Corona-Ausbruch bestätigt hat, sind mehr als zwei Monate vergangen. Die durchschnittliche Zahl der Fieberfälle pro Tag ist nach offiziellen Zahlen von etwa 400.000 im Mai auf zuletzt 157 zurückgegangen. Die Behauptung der Regierung, von etwa 4,8 Millionen Fieberpatientinnen und Fieberpatienten seien nur 74 gestorben, wird weithin angezweifelt. Es wäre die niedrigste Todesrate weltweit.
Corona in Nordkorea bald ausgerottet?
Trotz breiter Skepsis an der offiziellen Statistik gibt es keine Hinweise auf einen katastrophalen Verlauf der Pandemie in Nordkorea. Aus Sicht mancher Expertinnen und Experten könnte das Land bald den Sieg über Corona verkünden – und dann auch die Rolle der Koryo-Medizin dabei unterstreichen. Für die Regierung habe die Heilkunst hohe Priorität und gelte als politisches Symbol, erklärt Kim Dongsu, Professor für Koreanische Medizin an der Dongshin-Universität in Südkorea.
Das diktatorisch geführte Land nahm die Koryo-Medizin, die nach einem mittelalterlichen Reich auf der koreanischen Halbinsel benannt ist, in den 1950-er Jahren offiziell in sein öffentliches Gesundheitssystem auf. Seit Mitte der 90-er Jahre ist die Bedeutung der Heilkunst stark gewachsen: Damals kosteten eine Wirtschaftskrise und eine Hungersnot Hunderttausenden Menschen das Leben, moderne Medizin ist seitdem ein extrem knappes Gut.
Was ist Koryo-Medizin?
Die Koryo-Heilkunde umfasst Kräutermischungen, die manchmal auch tierische Inhaltsstoffe enthalten, Akupunktur, Schröpfen, Moxibustion (dem Erwärmen bestimmter Punkte des Körpers) und Massagen. Solche traditionellen Methoden werden zwar in vielen asiatischen und auch westlichen Staaten eingesetzt. Doch während dort traditionelle und moderne Medizin voneinander getrennt sind, werden sie in Nordkorea miteinander kombiniert.
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Medizinstudierende müssen in ihrer Ausbildung unabhängig von ihrem Fachgebiet beides belegen und dürfen später beides praktizieren. Jedes Krankenhaus im Land hat Stationen für Koryo-Medizin, zudem gibt es reine Koryo-Kliniken.
Kim Jong Un wirbt für Koryo-Medizin
Die wichtigste nordkoreanische Tageszeitung „Rodong Sinmun“ lobt kürzlich in einer Reihe von Artikeln den Einsatz von Pflanzenheilkunde und Akupunktur zur Heilung von Fieberpatientinnen und Fieberpatienten. Auch die Folgen von Corona-Infektionen wie Herz- und Nierenprobleme könnten damit gemildert werden, hieß es. Die Zeitung veröffentlichte auch Appelle von Machthaber Kim Jong Un, Koryo-Medizin zu nutzen. Andere Medien berichteten, die Produktion von Koryo-Mitteln habe sich seit dem vergangenen Jahr vervierfacht.
Nach Angaben von Überläufern jedoch liegt das nominell kostenlose Gesundheitssystem in Nordkorea in Scherben. Sie hätten ihre Medikamente früher selbst kaufen und Ärztinnen sowie Ärzten für Operationen und andere Behandlungen bezahlen müssen, sagen sie. Modernere Krankenhäuser gebe es vor allem in Pjöngjang, wo die herrschende Elite und ihre Unterstützerinnen sowie Unterstützer leben.
Wie schlecht steht es um die Krankenhäuser in Nordkorea?
Lee, der in der nordkoreanischen Stadt Hyesan Medizin studierte, erzählt, dass Koryo-Ärztinnen und -Ärzte Akupunktur-Nadeln nach einer Sterilisierung mit Alkohol wiederverwendeten. Krankenhäuser verlangten üblicherweise Geld von Patientinnen und Patienten für die Nutzung von Strom bei Untersuchungen.
Die vor knapp zehn Jahren aus ihrer nordkoreanischen Heimat geflohene Ärztin H.K. Yoon sagt, ihre Klinik im Nordosten habe keine Rettungswagen, keinen Sauerstoffkonzentrator und nur drei oder vier Betten in der Notaufnahme gehabt. Ihr chirurgisches Gerät habe sie mit anderen Ärztinnen und Ärzten teilen müssen, und ihr Monatsgehalt habe dem Wert von 800 Gramm Reis entsprochen. Wegen des Mangels an Instrumenten habe sie dringende Operationen oft nicht so schnell wie gewünscht durchführen können, erzählt Yoon.
Angesichts der Misere im Gesundheitswesen hatten Expertinnen und Experten ursprünglich schwere Folgen der Corona-Pandemie für Nordkorea vorhergesagt. Die meisten der 26 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner sind ungeimpft, etwa 40 Prozent leiden Berichten zufolge an Unterernährung. Die Beobachterinnen und Beobachter vermuten nun, dass die Regierung mit der wahren Zahl an Toten hinter dem Berg hält, um politischen Schaden für Kim Jong Un abzuwenden.
RND/AP