Nicht nur Drosten ist optimistisch: sieben Gründe für einen guten Sommer

Der Charité-Virologe Christian Drosten glaubt an einen guten Sommer.

Der Charité-Virologe Christian Drosten glaubt an einen guten Sommer.

Nach Monaten des Ausharrens gibt es in diesen Tagen erstmals wieder optimistischere Aussagen zum weiteren Pandemieverlauf. „Ja, der Sommer kann ganz gut werden in Deutschland“, sagt Christian Drosten, dessen Aussagen als Charité-Virologe und Corona-Kenner schlechthin seit Beginn der Pandemie besonders ins Gewicht fallen. „Ich denke, dass wir zum Juni hin erstmalig wirklich Effekte sehen, die der Impfung zuzuschreiben sind“, erläuterte der Wissenschaftler am Sonntagabend in einem ZDF-Interview des „heute-journals“.

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Ob im Juli und August dann auch mit geöffneten Biergärten, Urlaub und Grillen mit Freunden möglich werden könnte? „Ja, davon gehe ich aus. Also, dass man gerade im Außenbereich natürlich wieder vieles zulassen kann“, so Drosten.

Der Virologe ist nicht allein mit seiner Einschätzung, die Hoffnung auf bessere Zeiten macht. „Wir sind jetzt in der letzten Runde auf der Schlussgeraden. Der Sommer wird gut werden“, schrieb der Epidemiologe und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach vor Kurzem auf Twitter. „Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg“, sagte auch die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek im NDR-Info-Podcast. Inzidenzen von deutlich unter 50 wie im vergangenen Sommer seien wahrscheinlich in den nächsten Wochen zu erreichen, sagte die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Und sinkt die Inzidenz, wird auch der Spielraum für Lockerungen größer, so haben es Bund und Länder per regionaler Verordnungen und verändertem Infektionsschutzgesetz beschlossen.

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Die aktuelle Lage: Es braucht schnell mehr Corona-Impfungen

All diese Aussagen zur wahrscheinlichen Entwicklung der Infektionsdynamik beziehen sich allerdings auf den Sommer. Noch ist aber Mai – und die Ansteckungsrisiken aktuell noch vergleichsweise hoch. 390 von 412 Landkreisen weisen eine hohe Sieben-Tage-Inzidenz von über 50 auf, davon 242 über 100. Auch die Lage in den Kliniken ist angespannt, auch wenn sie sich nicht noch weiter verschlechtert hat: 4586 Patienten ringen auf den Intensivstationen um ihr Leben, 61 Prozent von ihnen werden beatmet (Stand: 10. Mai) Und das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt aufgrund der anhaltend hohen Fallzahlen die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung hierzulande weiterhin als „sehr hoch“ ein.

„Das Gefühl ist im Moment besser als die Lage“, betonte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei einer Pressekonferenz am Montag. „Wir sind immer noch auf einem sehr hohen Niveau.“ Auch der Virologe Christian Drosten machte im Interview deutlich: „Wir müssen jetzt natürlich ein bisschen aufpassen, dass wir nicht zu früh in totale Euphorie verfallen.“ Denn beim Impferfolg, dem viel zitierten „Licht am Ende des Tunnels“, ist Deutschland gegenwärtig noch nicht so weit wie etwa in Großbritannien (51,8 Prozent Erstgeimpfte), USA (45,2) und Israel (62,6).

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Dort wird auch schon vermehrt gelockert. Hierzulande haben aber erst 32,8 Prozent der Gesamtbevölkerung eine erste Impfdosis erhalten (Stand: 10. Mai). 9,4  Prozent der Geimpften wurden zweimal geimpft – und haben damit den sogenannten „vollständigen Impfschutz“, durch den dann neuerdings unter anderem Ausgangsbeschränkungen und Kontaktregeln wegfallen.

Was Mut macht für den Sommer

Anlass für Optimismus gibt es aber trotzdem für die kommenden Wochen. Mehrere Faktoren lassen es zu, davon auszugehen, dass sich die Pandemie stückchenweise in eine Phase mit weniger Schrecken hineinbewegen könnte. Dazu zählen etwa diese sieben Punkte:

  • Die dritte Infektionswelle scheint vorerst gebrochen: Die Infektionszahlen sinken langsam, die Zahl der Intensivpatienten steigt nicht weiter an, der R-Wert befindet sich unterhalb der kritischen Marke von eins.
  • Mehr Impfstoff kommt: Die Bundesregierung rechnet für die kommenden Wochen mit weitaus mehr Impfstofflieferungen als im ersten Jahresviertel. Ab Juni soll die Priorisierung für alle Impfstoffe fallen. Dann soll sich jeder um einen Impftermin bemühen können. Auch die Betriebsärzte sollen ins Boot geholt werden. Laufe alles nach Plan, könne bis Ende Mai jeder Dritte in Deutschland zumindest einmal geimpft sein, prognostizierte Spahn.
  • Die Temperaturen steigen: Sars-CoV-2 an sich wird durch den saisonalen Effekt etwas zurückgedrängt. Aber auch das persönliche Verhalten ändert sich – die Menschen zieht es wieder nach draußen.
  • Durch die Bundesnotbremse und weitere regionale Bestimmungen ist von einer veränderten Kontaktrate und Mobilität in Regionen mit hohen Infektionszahlen auszugehen.
  • Alle Impfstoffe verhindern nicht nur schwere Covid-19-Verläufe, sondern auch Infektionen bei Nicht-Geimpften: Die Reduktion bei den Ansteckungen liege nach vollständiger Impfung in den bisher vorliegenden Studien zwischen 80 und 90 Prozent, so das RKI.
  • Die inzwischen dominante Virusvariante B.1.1.7. ist zwar ansteckender, gefährdet aber bislang den Impferfolg nicht. Alle in Deutschland zugelassenen Impfstoffe schützen nach derzeitigen Erkenntnissen sehr gut vor einer Covid-19-Erkrankung. Sie schützen einer RKI-Analyse zufolge auch vor schweren Erkrankungen durch die anderen Varianten.
  • Impfung für Zwölf- bis 16-Jährige sind in Aussicht gestellt. Im Juni will die Europäische Arzneimittelagentur entscheiden, ob das Vakzin von Biontech/Pfizer für Jüngere zugelassen werden kann. Kanada und die USA sind diesen Schritt bereits gegangen.

Die großen Fragen für den Herbst: Kinder, Herdenimmunität, Mutationen

Im Herbst ist dann wahrscheinlich ein großer Teil der Erwachsenen in Deutschland geimpft – und vorerst vor einem schweren Covid-19-Verlauf geschützt. Aber: Unklar ist bislang, wie lange der Impfschutz anhält und ob sich in Europa weitere Virusvarianten durchsetzen könnten, die den Immunschutz per Impfung oder nach einer Ansteckung aufheben. Es wird sich dann zeigen, inwiefern sich der Effekt einer sogenannten Herdenimmunität einstellt. Das bedeutet laut Drosten im ZDF-Gespräch: „Eine Herdenimmunität heißt ja nur, dass dieses unkontrollierte Verbreiten nicht mehr zustande kommt. Also, wenn man nichts tut, dann explodiert es. Das wird dann nicht mehr passieren.“

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Wann genau der Moment erreicht ist, dass das pandemische Infektionsgeschehen gestoppt ist, ist noch unklar. Bislang gibt es von Modellierern, Epidemiologen und Virologen nur Schätzungen dazu. Mathematische Modelle gehen davon aus, dass erst bei einer Immunität von rund 70 Prozent in der Bevölkerung die Übertragungen von Sars-CoV-2 so weit limitiert sind, dass diese Pandemie vorübergeht. Bewiesen ist das aber noch nicht und wird sich erst in der Praxis zeigen.

Corona-Infektionen könnten im Herbst auch erneut zunehmen. Denn noch nicht Geimpfte können sich weiter anstecken – also vor allem die Kinder, für die noch kein Impfstoff zugelassen ist. Und wird es kälter, helfen die Temperaturen nicht mehr bei der Eindämmung des Virus, wie bereits im vergangenen Jahr beobachtet. Für den Herbst könne schon eine Saisonalität von rund 20 Prozent eine weitere Infektionswelle bringen, der R-Wert könne wieder auf rund 1,2 steigen – was die Zahlen wieder steigen lassen würde, sagte die Modelliererin Viola Priesemann vor Kurzem dem Science Media Center.

Dass das Virus einfach verschwindet und ausgerottet wird, erachten Corona-Experten inzwischen als sehr unwahrscheinlich. Ähnlich wie sich Sars-CoV-2 schleichend in der Welt verbreitet hat, wird es sich wahrscheinlich auch mittelfristig stückchenweise weniger bemerkbar machen und schließlich – nach dem Aufbau ausreichender Herdenimmunität durch Impfungen und natürliche Infektionen – nur noch vereinzelt zu Ansteckungen und regionalen Eindämmungsmaßnahmen führen. Fachleute sprechen in dieser Phase davon, dass das Coronavirus endemisch wird. Ansteckungen gibt es dann primär bei Kindern und Nicht-Geimpften, die noch keine schützende Immunität erworben haben.

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