Selfiewahn: Immer mehr junge Frauen leiden unter Essstörungen

Eine Frau schaut auf ein Smartphone.

Selfies im Netz vermitteln oft ein perfektes Körperbild. Das kann junge Menschen verunsichern.

Hannover. Sie ist eine weit verbreitete Essstörung und kann tödlich enden: Magersucht. Aktuelle Daten der KKH Kaufmännische Krankenkasse zeigen, dass ärztlich diagnostizierte Essstörungen wie Anorexie, Bulimie und Binge-Eating weiter zunehmen. Laut Auswertung sind vor allem junge Frauen betroffen – bei den 18- bis 29-Jährigen ist deren Anteil mit rund 88 Prozent am höchsten.

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„Essstörungen beginnen oft in der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter und damit in einer besonders sensiblen Lebensphase“, sagt Psychologin Franziska Klemm. Der Analyse zufolge ist die Zahl der betroffenen Frauen bei den Zwölf- bis 17-Jährigen zwischen 2008 und 2018 um 22 Prozent gestiegen, bei den 18- bis 24-Jährigen um gut elf Prozent. Mittlerweile leiden 17 von 1000 Frauen im Alter von zwölf bis 17 Jahren an einer diagnostizierten Essstörung, bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 20 von 1000.

Jugendliche vergleichen sich mit perfekten Insta-Selfies

"Sie erzeugen einen starken Druck, dem propagierten Körperbild zu entsprechen. Das kann die Entwicklung eines gestörten Essverhaltens begünstigen.“

Psychologin Franziska Klemm

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Mitverantwortlich für die steigenden Zahlen sind laut Krankenkassen-Report auch Stars, die ihre Körper in sozialen Medien wie Instagram und Youtube präsentieren. Der Boom vermeintlich perfekter Selfies zeichne ein unerreichbares und gefährliches Körperideal. „Solche Vorbilder können Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und auch dem eigenen Körper forcieren", sagt Psychologin Franziska Klemm. "Sie erzeugen einen starken Druck, dem propagierten Körperbild zu entsprechen. Das kann die Entwicklung eines gestörten Essverhaltens begünstigen.“

Dass dieser gesellschaftliche Druck bereits Jugendlichen zu schaffen macht, zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag für die KKH: Demnach fühlt sich jeder sechste 13- bis 18-jährige Schüler häufig bis sehr häufig von Medien, Idolen und Influencern unter Stress gesetzt.

Die Dunkelziffer bei den an einer Essstörung Erkrankten ist hoch. 2017 starben laut Statistischem Bundesamt 78 Menschen in Deutschland aufgrund von krankhaften Essstörungen. Das ist ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Hinter Essstörungen verbergen sich meist tiefer liegende seelische Probleme. Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben dem Selfie-Wahn im Netz können beispielsweise traumatische Erlebnisse wie Missbrauch, familiäre Konflikte sowie Leistungsdruck und Mobbing zur Erkrankung führen.

Wo holen sich Betroffene Hilfe bei einer Esstörung?

Haben Betroffene erst einmal eine Essstörung entwickelt, ist es mit einfachen Ratschlägen nicht getan. Denn Bulimie und Magersucht sind schwere psychische Erkrankungen, die häufig mit Angststörungen, Depressionen, selbstverletzendem Verhalten oder Suchterkrankungen einhergehen. „Den Betroffenen fällt es oft schwer, sich einzugestehen, dass sie Hilfe benötigen. Dies ist aber ein ganz wichtiger Schritt für die Genesung“, betont die Psychologin.

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Eine erste Anlaufstelle kann beispielsweise die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sein. Geschulte Berater stehen anderen Personen für Fragen rund um Essstörungen zur Verfügung (Telefonnummer: 02 21/ 89 20 31). Oft falle es aber auch leichter, sich gegenüber anderen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zu öffnen, sagt Psychologin Klemm. Ein Ort für Austausch könne auch der Blog InCogito sein. Ein junges Redaktionsteam von 16- bis 24-Jährigen schreibt im Netz über Essstörungen. Die Blog-Besucher können das Redaktionsteam kontaktieren. Zusätzlich gibt InCogito eine Übersicht über Unterstützungsangebote und bietet direkten Zugang zu einer Beratung von Betroffenen für Betroffene. Auch Selbsttests gibt es dort zu folgenden Frage-Komplexen: Habe ich eine Essstörung? Wie selbstsicher bin ich? Wie kannst du dir helfen?

Psychologen unterscheiden zwischen drei Hauptformen von Essstörungen:

  • die Magersucht (Anorexia nervosa), bei der Menschen bis hin zu einem lebensbedrohlichen Untergewicht hungern ‒ getrieben von der Angst vor einem zu dicken Körper,
  • die Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa), bei der Betroffene einen starken Zwang verspüren, ihr Körpergewicht zu kontrollieren und nach Essattacken erbrechen oder Abführmittel missbrauchen, um nicht zuzunehmen,
  • die Binge-Eating-Störung, die mit wiederkehrenden, unkontrollierbaren Essattacken einhergeht und zu starkem Übergewicht oder gar Adipositas führt.

Worauf Freunde und Familie achten sollten

Angehörige und Freunde sollten bei einem Verdacht auf typische Symptome achten. Das können beispielsweise eine allgemein gereizte oder gedrückte Stimmung, sozialer Rückzug und Gewichtsveränderungen sowie auffälliges Essverhalten sein. Alarmzeichen sind etwa eine Diät als Dauerzustand, eine eingeschränkte Nahrungsauswahl oder auch der Verzehr großer Mengen. Auch Erbrechen, die Einnahme von Abführmitteln und exzessiver Sport gelten als Hinweise für das Krankheitsbild. Aber auch, wenn Kinder und Jugendliche unverhältnismäßig viel Aufwand für das eigene Aussehen betreiben, geliebte Hobbys plötzlich aufgeben - und sich nur noch mit Selfies in Szene setzen.

sbu/RND

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