Sind die Corona-Impfstoffe schädlich für das kindliche Immunsystem?
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Ein Mädchen wird gegen Covid-19 geimpft.
© Quelle: Heng Sinith/AP/dpa
Markus Lanz und Richard David Precht sind keine Wissenschaftler. Und doch sprechen die beiden in der neuesten Folge ihres Podcasts „Lanz & Precht“ unter anderem über die Wirksamkeit und Sicherheit der Corona-Impfstoffe für Kinder. So sagte Philosoph und Schriftsteller Precht etwa: „Ich würde Kinder sowieso niemals impfen, weil ein im Aufbau begriffenes Immunsystem mit diesem Impfstoff zu bearbeiten, also das würde ich niemals tun.“ Der Staat habe auch keine rechtliche Basis, dies einzufordern. Die Entscheidung, sich impfen zu lassen, müsse jeder selbst frei entscheiden dürfen, ohne dass ein gesellschaftlicher Druck aufgebaut werde.
Eine Impfpflicht gibt es in Deutschland nicht – auch nicht für Kinder. Sie können mit ihren Eltern individuell entscheiden, ob sie sich gegen Covid-19 impfen lassen möchten oder nicht. Besonders Kindern mit Vorerkrankungen wie Adipositas, Trisomie 21 oder Asthma und Kindern, die Kontakt zu Risikopersonen haben, empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) eine Corona-Impfung. Bislang können sich jedoch nur Zwölf- bis 17-Jährige impfen lassen; eine Impfstoffzulassung für Kinder unter zwölf Jahren gibt es noch nicht.
Sowohl die Impfstoffzulassungsstudien als auch die bisherigen Impfungen von Kindern zwischen zwölf und 17 Jahren in Israel, den USA und Deutschland haben gezeigt, dass der Nutzen der Vakzine die Risiken überwiegt. Dass die kindlichen Immunsysteme die Wirkstoffe nicht vertragen oder diese langfristige Schäden bei ihnen anrichten – was Precht suggeriert –, ist nicht bekannt. Schwere Nebenwirkungen der Corona-Impfungen bleiben weiterhin sehr selten.
PEI verzeichnet 1809 Berichte über Impfreaktionen bei Kindern
Dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI), welches in seinem Sicherheitsbericht Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen listet, sind seit Beginn der Impfkampagne im Dezember 2020 insgesamt 1809 Fälle gemeldet worden, in denen Kinder und Jugendliche mindestens über eine Impfreaktion berichteten. Am häufigsten traten bei ihnen Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen, Ermüdung und Fieber auf. Diese Symptome sind keinesfalls ungewöhnlich, sondern ähneln denen, die von den Impfungen der Erwachsenen bekannt sind.
Allerdings litten die Kinder und Jugendlichen zum Teil auch unter einer Myokarditis (Herzmuskelentzündung) oder Perikarditis (Herzbeutelentzündung) nach der zweiten Impfung. Bis zum 30. September 2021 verzeichnete das PEI 98 Meldungen – dabei waren vor allem Jungen betroffen. Die Behörde gab die Melderate bei Jungen mit einem Fall einer Myokarditis beziehungsweise Perikarditis auf 13.812 Zweitimpfungen mit dem Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer an. Bei den Mädchen ergab sich hingegen eine Melderate von einem Fall einer Myokarditis beziehungsweise Perikarditis pro 210.000 bis 250.000 Biontech-Zweitimpfungen.
„Es gibt zwar Nebenwirkungen der Impfungen“, sagte Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „aber das Risiko dafür bleibt weiterhin gering“. Die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna, mit denen die Kinder und Jugendlichen geimpft werden können, hätten grundsätzlich ein gutes Sicherheitsprofil. Bei den beschriebenen Myokarditisfällen zeige sich zumeist ein leichter Krankheitsverlauf, der keine Langzeitfolgen nach sich ziehe.
Kindliches Immunsystem ist auch für Impfstoffe gerüstet
Laut Rodeck ist zudem die Argumentation, die Kinder nicht zu impfen, weil ihr Immunsystem noch im Aufbau ist, falsch. Das kindliche Immunsystem komme schon früh mit Tausenden von Keimen und Viren in Kontakt. Es erlerne innerhalb kurzer Zeit, wie sich diese effektiv bekämpfen lassen, „sodass man nicht von einem Immunsystem sprechen kann, welches nicht belastet werden darf“. Im Gegenteil: „Das Immunsystem braucht diese Auseinandersetzung und Lernphase, um später stabil funktionieren zu können.“ Die multiplen Krankheitserreger trainieren das Immunsystem so, dass es auch für eine Impfung gerüstet ist.
So werden etwa Impfungen wie Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Poliomyelitis, Pneumokokken oder Hepatitis B bereits Kindern im Säuglingsalter verabreicht, deren Immunsystem darauf in der Regel gut reagiert. „Diese Impfungen sind gerade für Kinder wichtig, um Infektionen mit Krankheitserregern zu vermeiden“, sagte Rodeck. „Die Corona-Impfung ist dabei grundsätzlich keine Ausnahme.“
Kinderarzt: Kinder sind keine „kleinen Erwachsenen“
Dass die Kinder effektive Immunantworten im Zuge der Impfungen entwickeln, beobachtet auch Tim Niehues, Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Helios Klinikum Krefeld und Sprecher des Arbeitskreises Pädiatrische Immunologie: „Kinder reagieren auf Impfstoffe mindestens genauso gut wie Erwachsene, wenn nicht sogar besser“, sagte er dem RND. Dies bedeute allerdings nicht, dass Kinder „kleine Erwachsene“ seien. Sie können etwa andere Impfreaktionen haben oder benötigen niedrigere Dosen der Impfstoffe.
Während Erwachsene 30 Mikrogramm des Biontech-Impfstoffs erhalten, brauchen Kinder unter zwölf Jahren nur zehn Mikrogramm, wie sich in den klinischen Studien herausgestellt hat. Für Letztere könnte bald ein Corona-Impfstoff in Europa zugelassen werden. Die Europäische Arzneimittel-Agentur plant, noch vor Weihnachten eine Empfehlung zu Impfungen mit dem Biontech-Vakzin abzugeben. Ob die Ständige Impfkommission den Impfstoff dann gleich für alle unter Zwölfjährigen empfiehlt, ist allerdings fraglich.
Der Vorsitzende der Stiko, Prof. Thomas Mertens, sagte Ende Oktober gegenüber dem SWR-Fernsehen, dass die Zulassungsstudien nicht dafür geeignet seien, zuverlässige Aussagen zu seltenen Nebenwirkungen zu treffen. Die Anzahl der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer sei dafür einfach zu klein. Weil Organe wie das Herz bei Kindern noch im Wachstum seien, müsse man ganz sicher sein, dass durch die Corona-Impfungen keinerlei Schädigungen entstehen, betonte er.
Aufmerksam wird die Stiko daher wohl auch die Impfkampagne in den USA verfolgen. Vergangenen Freitag hatte dort die zuständige Arzneimittelbehörde FDA dem Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer eine Notfallzulassung für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren erteilt. Nun muss nur noch die Gesundheitsbehörde CDC grünes Licht für das Vakzin geben, dann kann mit den Impfungen von 28 Millionen unter Zwölfjährigen begonnen werden.
Allerdings deutet sich im Vorfeld an, dass die Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder gegen Covid-19 impfen zu lassen, nicht allzu groß ist. Eine Ende Oktober veröffentlichte Befragung der US-amerikanischen Kaiser Family Foundation zeigt, dass nur etwa 27 Prozent der Eltern einer Impfung „sofort“ zustimmen. 33 Prozent der Befragten wollen abwarten, wie der Impfstoff wirkt, rund 30 Prozent sprechen sich gegen eine Impfung aus.
Impfungen von Kindern beeinflussen Infektionsgeschehen kaum
Wie hoch die Impfbereitschaft genau sein wird, ist daher noch nicht zu sagen. Das gilt auch für Deutschland: Auch hierzulande lässt sich die Impfbereitschaft der Eltern nur bedingt abschätzen. Die jüngste Cosmo-Studie der Uni Erfurt, die regelmäßig Menschen zu ihrer Impfakzeptanz befragt, kommt etwa zu dem Ergebnis, dass sich in der Altersgruppe der Kinder ab zwölf Jahren eine Impfquote von circa 67 Prozent erreichen lasse. Dabei heißt es weiter: „Bei Kindern unter zwölf, für die noch keine Impfung zugelassen ist, ist die Impfbereitschaft niedriger.“
Die Impfquote in den jüngeren Altersgruppen dürfte ohnehin nur einen mäßigen Einfluss auf die Ausbreitung des Coronavirus nehmen. Darauf weißt auch Stiko-Chef Mertens hin: „Da gibt es mathematische Modellierungen, die zeigen, dass der Einfluss dieser Altersgruppe für den Gesamtverlauf nicht entscheidend ist.“ Zwar können auch Kinder sich mit dem Coronavirus infizieren und infektiös sein, allerdings ist ihr Anteil an der Bevölkerung und am Infektionsgeschehen deutlich geringer als etwa der der 18- bis 59-Jährigen.
DGKJ-Generalsekretärs Rodeck machte deshalb deutlich: „In erster Linie sollten sich die Erwachsenen gegen Covid-19 impfen lassen. Damit schaffen wir einen schützenden Kokon für die jungen Kinder. Wir sind ihnen das schuldig.“ Wie aus den Daten des offiziellen Impfdashboards hervorgeht, sind bei den über 18-Jährigen rund 23 Prozent ungeimpft.