Wann kommt die Corona-Impfung für unter Zwölfjährige – und wie riskant wird der Herbst?
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Eine Schülerin der Klasse 5a an der Gesamtschule in Münster macht am ersten Schultag nach den Ferien einen Corona-Schnelltest im Klassenzimmer.
© Quelle: Guido Kirchner/dpa
Die Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen steigen an. Gleichzeitig nimmt die Diskussion um Schutzmaßnahmen in den Schulen und sinnvolle Quarantäneregeln seit Wochen kein Ende. Bundeseinheitliche Regeln fehlen weiterhin. Dabei ist damit zu rechnen, dass sich ein Großteil der Ungeimpften im Herbst und Winter ansteckt. Also insbesondere die Kinder und Jugendlichen.
Kommt womöglich im Herbst noch eine Impfung für unter Zwölfjährige? Was muss beim Erkrankungsrisiko alles berücksichtigt werden? Und für welche Schutzmaßnahmen spricht sich die Fachwelt aus? Fünf Fragen und Antworten:
1) Können bald auch unter Zwölfjährige gegen Covid-19 geimpft werden?
Für unter Zwölfjährige ist bislang kein Impfstoff zugelassen. Das könnte sich aber noch in diesem Jahr ändern. Der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer hat sich nach eigenen Angaben des Pharmakonzerns bei Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren als gut verträglich erwiesen und ruft eine stabile Immunantwort hervor. Die Daten der klinischen Studie sollen so bald wie möglich der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA vorgelegt werden, teilte der Hersteller am 20. September mit.
„Wir sind froh, dass wir vor dem Beginn der Wintersaison den Zulassungsbehörden die Daten für die Gruppe von Kindern im Schulalter vorlegen können“, sagte Biontech-Chef Ugur Sahin laut Mitteilung. Anders als in der Altersgruppe der über 12-Jährigen wurde den Kindern von fünf bis elf Jahren für die klinische Studie der Phase 2/3 nur ein Drittel der Dosis verabreicht. Die beiden Impfungen lagen drei Wochen auseinander.
Die Ergebnisse der Zulassungsstudie werden dann von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) geprüft. Spricht die EMA eine Empfehlung für die Europäischen Mitgliedsstaaten aus, liegt es in Deutschland wieder an der Ständigen Impfkommission (Stiko) zu entscheiden, ob der individuelle Nutzen die Risiken überwiegt. Heißt also: Bis es nach erfolgreich abgeschlossener Studie eine Impfung für unter Zwölfjährige gibt, wird noch einige Wochen bis Monate Zeit benötigt.
Für Kinder mit bestimmten Risikofaktoren wäre bereits jetzt eine Off-Label-Impfung eine Option. Heißt: Im Einzelfall können Ärztinnen und Ärzte nach individuellem Abwägen von Nutzen und Risiken auch Jüngere gegen Covid-19 impfen. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin Prof. Jörg Dötsch spricht sich aber auch bei stark gefährdeten Kindern nicht für dieses Verfahren aus. „Wir sollten jetzt noch auf die Zulassungsdaten warten“, sagte er dem Science Media Center (SMC). Im Zweifel sollte das Gespräch mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin gesucht werden.
2) Welche Kinder haben ein erhöhtes Risiko für schweres Covid-19?
Wie auch bei Erwachsenen führen chronische Erkrankungen bei Kindern häufiger zu einem schweren Covid-19-Verlauf, sagt Dötsch. Dazu zählten insbesondere Multisystemerkrankungen, die verschiedene Körperregionen betreffen, beispielsweise Trisomie 21. Diabetes und Nierenerkrankungen hätten laut Datenlage bislang hingegen nicht das gleiche Gefährdungspotenzial wie bei den Erwachsenen. Auch Kinder mit Adipositas zählten zur Gruppe mit einem stark erhöhtem Risiko. Das sei beispielsweise eine von mehreren möglichen Erklärungen, wieso es in den USA gegenwärtig mehr schwer an Covid-19 erkrankte Kinder als in Deutschland gebe, erklärt Dötsch.
3) Wie hoch ist das Risiko, dass Kinder auf der Intensivstation landen?
„Das Risiko, als Kind mit einer Covid-19-Erkrankung intensivpflichtig zu werden und zu versterben, ist sehr gering, zumindest in Deutschland“, sagte Berit Lange, Leiterin der Klinischen Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Die Daten zeigten, dass das bislang ein bis drei Kinder pro 100.000 treffe, was ein deutlich niedrigeres Risiko als bei den Erwachsenen sei.
„Wir sehen auch einen leichten Anstieg der Hospitalisierungen – in geringem Maße auch bei den Kindern“, berichtete Lange Anfang September im Gespräch mit dem SMC. Für das einzelne Kind sei es aber relativ unwahrscheinlich, wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden zu müssen. Bei den Null- bis Vierjährigen habe das bislang rund 2 bis 4 Prozent der Kinder, bei den Fünf- bis 14-Jährigen etwa 0,5 Prozent betroffen.
Der leichte Anstieg bedeutet aber nicht unbedingt, dass mehr Kinder schwerer an Covid-19 erkranken. Denn neun von zehn Kindern würden wegen anderer Krankheiten im Krankenhaus aufgenommen – etwa einer Blinddarmentzündung oder einem gebrochenen Arm, berichtet Dötsch. Die Infektionen werden im Krankenhaus also nur per Zufallstestung entdeckt. „Deshalb können wir im Moment glücklicherweise davon ausgehen, nicht mehr schwer kranke Kinder aufnehmen zu müssen“, betont der Kindermediziner.
4) Ist mit einer größeren Gefahr im Herbst und Winter zu rechnen?
Vermutlich werden sich in der vierten Welle viele, aber nicht alle Kinder anstecken. Das hängt vom Infektionsgeschehen und der Impfquote ab. „Es könnte schon sein, dass der Anteil der Kinder, die versterben, im zwei- bis dreistelligen Bereich liegt, wenn sich ganz viele infizieren“, erklärte Expertin Lange den Zusammenhang. Deshalb sei es wichtig, die Infektionen so gering wie möglich zu halten – nicht nur in den Schulen, sondern auch unter Erwachsenen.
Fachleute fürchten, dass künftig mehr Kinder von Long Covid betroffen sein könnten, wenn sich das Virus unkontrolliert ausbreitet. „Wir wissen eigentlich gar nicht genau, was bei Kindern nach einer mild verlaufenen Coronavirus-Infektion im Körper passiert und wie hoch das Risiko für Long Covid ist“, erläuterte die Lungenfachärztin Jördis Frommhold von der Median Klinik in Heiligendamm dem RND. Es habe sich aber bereits gezeigt, dass sich das immunologische Gedächtnis bei Kindern nach der Infektion verändert. Es sei „noch nicht klar, wie weitreichend das ist und welche gesundheitlichen Folgen Long Covid bei Kindern auslöst“, so die Medizinerin. Dass die Kliniken durch akutes Covid-19 bei Kindern an die Belastungsgrenze kommen, erwarten Kindermediziner jedoch nicht.
5) Was braucht es, um die Kinder zu schützen?
Epidemiologin Lange verweist auf eine politische Baustelle: In Schulen und Kitas müssten die Hygieneleitlinien der Fachgesellschaften endlich in Gänze ernst genommen werden. Auch die gemeinsame S3-Leitlinie betont, dass es mehrere Maßnahmen auf einmal brauche. Bei hoher Inzidenz zählt dazu neben dem Impfen beispielsweise das Maske tragen in Innenräumen und auch die Aufteilung der Gruppen in Kohorten. Die nationale Teststrategie empfiehlt präventiv Lolli-PCR-Pooltestungen. Werde die Zahl der Infektionen zu hoch, könnten aber auch Teststrategien und Hygienevorschriften den Anstieg nicht mehr verhindern, erklärte Epidemiologin Lange.
Schulen sollte man hingegen nicht noch einmal schließen. Darin sind sich Politik, Wissenschaft und Medizin einig. Wenn man aber Schulschließungen vermeiden möchte, um Belastungen in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen für Erwachsene zu reduzieren, müsse man einem Anstieg der Fallzahlen nicht nur unter Kindern entgegenwirken, sondern auch unter ungeimpften Erwachsenen, sagen Corona-Experten und Expertinnen
„Am Ende läuft es auf eine Art von Kontaktreduktion hinaus. Das allein über die Schule zu machen, kann nur begrenzt funktionieren“, sagt Lange. Im Haushalt liege für ein Kind die Wahrscheinlichkeit, sich bei anderen mit der Delta-Variante anzustecken, bei 25 bis 40 Prozent. In der Schule seien es hingegen laut bisheriger Daten rund 3 Prozent. Deshalb seien möglichst wenig Infektionen auch unter Erwachsenen entscheidend.
Auch Dötsch spricht sich dafür aus, Kontakte im gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich vor Schulschließungen zu reduzieren. „Es kann jetzt nicht sein, dass wir Erwachsenen alle Freiheiten für uns beanspruchen und glauben, dass die Kinder uns wieder retten.“ Die ungeimpften Erwachsenen – das sei im Moment das größere Problem.