Ansichten aus dem Urlaub: Droht der Postkarte das Aus?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/WPV4CBKEPBDBJF72XW43SGSEII.jpg)
Postkarten mit Berliner Motiven.
© Quelle: imago images/McPHOTO
Es war über viele Jahrzehnte eine Art Urlaubsritual: Penibel suchte man im Souvenirshop Ansichtskarten aus. Der Sonnenuntergang? Geht immer. Die Ansammlung von Höhepunkten der örtlichen Sehenswürdigkeiten, zwölf Bilder auf 176 Quadratzentimetern? Perfekt für die Verwandtschaft, die etwas über das Reiseziel erfahren will. Und die omnipräsente tiefschwarze Karte mit dem Aufdruck „Paris bei Nacht“? Ein Klassiker.
Überzeugte Urlaubsgrußschreiberinnen und -schreiber eilten anschließend zum nächsten Postamt, um nicht irgendeine Briefmarke auf ebenjene Karten zu kleben – es sollte eine besonders schöne sein. Beim Formulieren des Urlaubsgrußes stockte man vielleicht anfangs noch, doch abends an der Bar kam der rettende Einfall: „Sonnige Grüße aus dem Schwarzwald“, „aus Paris“ oder einfach nur „aus dem Paradies“. Briefkasten gesucht, Karte eingeworfen – so ging das Reisen!
Ohne Briefmarke, dafür mit Whatsapp
Heute kommen Urlaubseindrücke nicht selten zeitnah an: als Foto vom Essen, vom Hotelzimmer, vom Strand, von sich selbst. Per Whatsapp, Instagram und Co. sind sie Sekunden später bei Freunden und Verwandten, ohne Briefmarke und ohne Grübeleien über Texte. Ein Selfie sagt mehr als tausend Worte. Oder?
Eine Postkarte ist ein kleines Geschenk, und kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.
Veit Didczuneit, Abteilungsleiter Sammlungen im Museum für Kommunikation in Berlin
„Eine Postkarte ist ein kleines Geschenk“, findet Veit Didczuneit, „und kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.“ Didczuneit ist Abteilungsleiter Sammlungen im Museum für Kommunikation in Berlin und insofern schon von Berufs wegen Experte für das Thema Ansichtskarten. Deswegen ist es nicht überraschend, dass er zu jenen zählt, die nach wie vor Urlaubsgrüße in den Briefkasten werfen. „Die Whatsapp-Nachricht erhält man täglich vielfach“, sagt er. Eine Ansichtskarte aber sei inzwischen etwas Besonderes. Die Sammlung im Berliner Museum enthält zig Beispiele für die lange Geschichte der Postkarten – darunter auch die wahrscheinlich erste, die jemals in Deutschland verschickt wurde.
Der Oldenburger Drucker und Buchhändler August Schwartz schrieb sie am 16. Juli 1870 an einen Verwandten in Magdeburg. Auf der Adressseite war ein Bild eines Kanoniers zu sehen – nichts Ungewöhnliches in jener Zeit. Der Text wurde auf der Rückseite geschrieben.
Die erste Postkarte der Welt war der Verwandtschaftsgruß von Schwartz hingegen nicht. Bereits ein Jahr zuvor wurde die sogenannte Correspondenzkarte in Wien eingeführt. Vorläufer gab es ebenfalls vereinzelt an unterschiedlichen Orten. So wurde 2002 eine handgemalte Karte aus England versteigert, die dort 1840 verschickt worden sein soll – dem Jahr, in dem Großbritannien die Briefmarke einführte.
Persönlicher als ein Telegramm
Ihre Blütezeit erlebte die Postkarte in den Jahren zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg. Allein während der Kriegsjahre wurden rund zehn Milliarden Feldpostkarten verschickt. 1905 legte ein feiner vertikaler Strich die Grundlage für die Ansichtskarte mit Bild, wie wir sie heute kennen: Er trennte das Adressfeld ab und bot somit auf derselben Seite Platz für Text. Die Rückseite konnte fortan anderweitig genutzt werden. Die Postkarte boomte – und sie wurde im Alltag zu so etwas wie der analogen Whatsapp-Nachricht. Weniger aufwendig als ein Brief, aber persönlicher als ein Telegramm.
Dass diese Form der Kommunikation in Deutschland so beliebt war, habe auch mit dem Fortschritt der Druckindustrie zu tun gehabt, sagt Kartenexperte Didczuneit. Deutschland sei damals bereits in der Lage gewesen, vierfarbig in hoher Qualität zu drucken. Bis zum Ersten Weltkrieg seien deswegen zahlreiche Karten auch für den ausländischen Markt hierzulande produziert worden.
Wissenschaftlich gesehen ist die Postkarte mehr als nur ein schnöder Urlaubsgruß. Sie ist eine Art Spiegel ihrer Zeit. Bei Forscherinnen und Forschern spielt sie immer wieder eine Rolle, wenn es um das Verstehen vergangener Zeiten geht. Die Inhalte der handgeschriebenen Texte verraten manche Gegebenheit. Und auch die Motive zeigen Krieg und Frieden. Sie sind mal frivol, mal witzig. Fast immer aber sagen sie auch etwas über den Versender oder die Versenderin aus. Während der NS-Zeit nutzen die Nazis sie für Propagandazwecke. Nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich an ihnen unter anderem das Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik ablesen. Und nicht nur hier: Auch in der damals noch jungen DDR setzte sich die Ansichtskarte mit leichter Verzögerung wieder durch. „Vor allem die Farben waren unterschiedlich zur Bundesrepublik“, sagt Didczuneit, und auch in der Papierstärke habe es Unterschiede gegeben.
Gegner der Postkarte
Wo Neuerungen entstehen, ist Kritik nie fern: Wie bei sozialen Medien gab es anfangs auch Gegner der Postkarte. Sie bemängelten, dass der Datenschutz mangels Umschlag nicht gewahrt werden könne. Und mancher hegte – wie heute bei Onlinekurznachrichtendiensten – die Befürchtung, dass durch die platzbedingt kurze Form der Nachrichten die Fähigkeit des ordentlich formulierten Schreibens verloren gehen könne.
Ist das Ende der Postkarte inzwischen absehbar? Eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom gab im vergangenen Jahr leichte Entwarnung. Zwar lag die Zahl der digitalen Urlaubsgrüße via Messenger mit 64 Prozent vorn – doch wollten 2021 immerhin 43 Prozent der befragten Urlauberinnen und Urlauber auch eine Karte oder einen Brief schreiben. Im Jahr zuvor waren es noch 45 Prozent. Damit liegt die Zahl über der jener, die einen Anruf über das Internet planen (36 Prozent) oder eine Urlaubsnachricht auf Facebook, Instagram oder Twitter posten wollten (35 Prozent).
Rettungsversuch für die Postkarte
Die Deutsche Post registrierte im letzten Vor-Corona-Jahr 2019 insgesamt 147 Millionen verschickte Postkarten. Während der Pandemie nahm diese Zahl auch mangels Reisen ab (2021: 116,5 Millionen). Dies jedoch verändere sich nun wieder, erläutert Jessica Balleer von der Deutsche Post DHL Group. Die Zahl der aus dem Ausland verschickten Karten sei im vergangenen Jahr wieder um rund 7 Prozent gestiegen.
Der Portugiese Paulo Magalhães startete bereits im Jahr 2005 einen Rettungsversuch für die Postkarte. Damals gründete er das Internetportal Postcrossing, auf dem Nutzerinnen und Nutzer eine Postkarte an eine zufällig ausgewählte andere Person aus der Datenbank irgendwo auf der Welt verschicken können. Im Gegenzug erhalten sie dann selbst eine aus einem anderen Land. Mehr als 67 Millionen Karten seien auf diese Weise bereits verschickt worden, erklärt Postcrossing in seiner Nutzerstatistik. „Postcrosser sind Menschen jeden Alters und jeder Herkunft, verbunden durch ihre Liebe zu Postkarten“, betont das Internetportal. Wer mangelndes Interesse nachfolgender Generationen für die Postkarte befürchtet, wird beim Blick auf die Altersstruktur des Portals beruhigt: Das Durchschnittsalter der Postcrosser beträgt 26 Jahre.
Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter