Dank „Babylon Berlin“ – die Zwanziger feiern ihr Comeback

Liv Lisa Fries (Mitte) als Charlotte Ritter in einer Szene der historischen Krimiserie „Babylon Berlin“.

Liv Lisa Fries (Mitte) als Charlotte Ritter in einer Szene der historischen Krimiserie „Babylon Berlin“.

Hannover. Und die Welt hebt an zu swingen, triffst du nur das Zauberwort. Der Satz – frei nach dem schlesischen Romantiker Eichendorff – beschreibt die derzeitige Feierstimmung. Deutschland 2018 swingt ausgelassen gen 2019. Findet ein Faschingsball statt, werden dessen Gäste gern um ein Erscheinen in der Garderobe der Weimarer Republik gebeten. Tanzschulen bieten wieder Charleston an, die Bühnen liefern Zwanzigerjahrerevuen.

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Als Höhepunkt jeder Swingparty streamt der DJ den Song „Zu Asche, zu Staub“ der litauischen Schauspielerin und Sängerin Severija Janušauskaite an. Und alle zappeln im knielangen Hängekleidchen mit Stirnband oder im Smoking mit den Händen und Beinen, rennen auf der Stelle, und singen den düstersüßen Text dieses wundersamen Ohrwurms aus der Serie „Babylon Berlin“ mit.

Fast wie beim Lagerfeuerfernsehen der Gassenfegerzeiten

Das Zauberwort getroffen haben unzweifelhaft die Regisseure Tom Tykwer, Hendrik Handloegten und Achim von Borries. Sie lieferten mit „Babylon Berlin“ den Fernsehhit des Jahres 2018, einen detailschön und atemraubend inszenierten, 40 Millionen Euro teuren Rücksturz nach 1927.

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Der Krimi um einen in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs traumatisierten Polizisten, der vom katholischen Köln ins gottlose Berlin geworfen wird, lief vor schmalerem Publikum schon 2017 beim Bezahlsender Sky. Und zog in diesem Herbst in der ARD im Schnitt 5,11 Millionen Zuschauer an die Fernsehapparate, fast zehn Millionen nutzten zur Sichtung per Computer und Laptop die ARD-Mediathek, nicht gezählt sind die Abrufe auf Tablets und Smartphones.

Fast war’s wieder wie beim Lagerfeuerfernsehen der Gassenfegerzeiten – alle sprachen plötzlich wieder über ein und dasselbe TV-Ereignis, das in einer untergegangenen deutschen Moderne spielt, die sich alles traute, die lustvoll frivol war, die in allen Künsten Verwegenes lieferte und die schließlich von politischen Drahtziehern begraben wurde.

Severija Janušauskaite auf der Bühne des Nachtclubs „Moka Efti“ in der Serie „Babylon Berlin“.

Severija Janušauskaite auf der Bühne des Nachtclubs „Moka Efti“ in der Serie „Babylon Berlin“.

Das Moka Efti, auf dessen Bühne „Zu Asche, zu Staub“ gespielt und gesungen wird, gab’s wirklich, der Soziologe Siegfried Kracauer hat es in seiner Studie „Die Angestellten“ von 1930 beschrieben, und es hat sich ihm der Gedanke aufgedrängt, solche „Lokale seien während des Tages überhaupt nicht vorhanden. Abend für Abend erstehen sie neu.“ Andersweltige Illusionsgebäude, in deren elektrischem Licht sich der Mensch badet. „Durch seine (des Lichts) geheimen Kräfte wird der Glanz Gehalt“, schreibt Kracauer, „die Zerstreuung Rausch.“

Und dem Rauschhaften zugeneigt seien eben auch die Leute von heute, betont Borwin Bandelow, Professor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen. „Der Mensch ist an und für sich lebenslustig, schlägt gern über die Stränge.“

Die düstere deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts vor den Sechzigerjahren liefere ihm dafür indes wenig Identifikationspotenzial. „Die bestand aus zwei Weltkriegen und den Folgen, wobei die Nazi-Zeit als Folge des Ersten Weltkriegs angesehen wurde. Und man möchte mit dieser Zeit, die eigentlich nur Schreckliches birgt, nichts zu tun haben“, sagt Bandelow. „Und da entdeckt man nun gerade so eine kurze Periode, wo es nach vorn ging, wo sich die Leute befreit fühlten und die tolerant war. Viele Künstler kamen aus Russland und Frankreich und genossen das liberale Berlin. Die Kunst, die in dieser Zeit entstand, strahlt bis heute. Und die Musik war frei.“

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Fluchtpunkt inmitten deutscher Finsternisse

Das alles sei, so Bandelow, attraktiv genug, um einen positiven Sog zu entwickeln, der jetzt Sehnsüchte freisetzt und Fasnachtskostüme verkauft. Trotz Mord und Totschlag und sozialer Klüfte, die in der Serie „Babylon Berlin“ herrschen, seien die Roaring Twenties, die brüllenden Zwanziger, positiv besetzt. Ein von bengalischem Feuerwerk beleuchteter Fluchtpunkt inmitten deutscher Finsternisse.

Man wusste um die Attraktivität von Spät-Weimar ja eigentlich schon immer. Ob die Jazzcombo von Borwin Bandelow bei Konzerten Django-Reinhardt-Stücke spielte, man den Film „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ mit David Bowie sah oder eine Inszenierung von John Kanders „Cabaret“ besuchte. Wie die Lieder in dem Weimar-Musical war auch die Filmmusik von „Babylon Berlin“ neu, nur dem Klang von damals nachempfunden.

Ein wiederkehrendes Instrumentalstück aus der Serie, mit näselnden Saxofonen und wattiertem Grammofonsound ist in Wahrheit der Wavediscohit „Dance Away“ der Band Roxy Music von 1979, den deren Sänger Bryan Ferry mit seinem Orchester in muckeligen Swing verwandelt hat. Der Brite, der auch in einer Episode von „Babylon Berlin“ auftaucht, hat Ende November gleich ein ganzes Liederbuch mit solchen Liedverzauberungen veröffentlicht. Das Album „Bitter Sweet“ ist ein Muss für jede Twenties-Sause dieser Tage, es klingt von „Alphaville“ bis „Zamba“, als sei es von einem der Comedian Harmonists produziert worden.

„Metropolis“ von Fritz Lang, 1926

„Metropolis“ von Fritz Lang, 1926

Wohingegen das neu komponierte „Zu Asche, zu Staub“ wie eine zeitlich kaum zuordenbare Traumtanzmusik klingt, ein Lied aus vielen Liedern, eine Neue-Weimarer-Welle-Suite, deren von der Litauerin Severija mit sinnlich-hartem baltischen Akzent vorgetragene Todesahnung und Lebenshunger die Ohnmacht des Individuums im Dritten Reich vorausahnen.

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Die maschinenartigen Bewegungen der als Mann verkleideten Sängerin zu dem nervösen Beat lassen an die Maschinenfrau aus Fritz Langs Science-Fiction-Stummfilm „Metropolis“ (1927) denken. Das Schlagzeugsolo klingt nach Rockkonzert. „Leg deine Hand in mein’ / und lass uns ewig sein“, singt Severija, und die wie in einem Musical durchchoreografierte Szene wirkt tatsächlich, als könne die von ihr eingeforderte „Unsterblichkeit“ erreicht werden, als sei nicht alle Moka-Efti-Euphorie nur eine Endzeit am Abgrund, der Tanz auf dem Vulkan.

Sechs Jahre später fegten die Nazis allen Spaß und Glitzer in die Gosse. Und die Synkopen in Heinz Rühmanns Ufa-Filmliedern wurden teutonisch kurz, um den artig-keuschen Nazi-Swing von der „entarteten Negermusik“ zu unterscheiden.

„Demokratie ist stärker, als man denkt“

Auch Politiker zogen 2018 immer wieder den Vergleich mit Weimar, zuletzt Anfang November der französische Staatspräsident Emmanuel Macron. In einem Europa, in dem Populisten Nationalismus predigen, forderte er auf zur „Verteidigung der Demokratie“. Liegt der Erfolg von „Babylon Berlin“ etwa auch darin, dass man seine Gegenwartsängste in der Serie gespiegelt sieht?

Borwin Bandelow bezweifelt, dass sich die Zuschauer Gedanken über Parallelen zur Weimarer Zeit machen, und sieht dafür auch keine Notwendigkeit. „Das Land war arm. Heute können wir uns alles leisten. Es wird keinen Aufstand der Arbeiterklasse geben. Man kann durchaus aus der Serie Schlüsse ziehen, was man heute alles nicht falsch machen darf. Aber die Demokratie ist viel stabiler als zu Weimarer Zeiten“, ist er sich sicher. „Demokratie ist stärker, als man denkt.“

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Geschichte wiederholt sich nicht, Fasching schon. Also nichts wie rein in die swingende Saison, ihr Neo-Flapper! Und wenn die Trompeten quäken, feste die Beine zum Charleston werfen! Um beim Ball authentischer rüberzukommen, könnte man sich vielleicht davor noch mal in zeitgenössische Kultur vertiefen, Döblins hupende Großstadtmontage „Berlin Alexanderplatz“ (1929) böte sich als Lesestoff an oder Falladas brüchige Berlinidylle „Kleiner Mann, was nun?“ (1932).

Man könnte über den Aschermittwoch hinaus eins der zahlreichen Konzerte von Max Raabe mit seinem Palastorchester besuchen oder die Veranstaltungen zum Bauhaus-Jubiläum abklappern. Bis Ende nächsten Jahres dann die dritte Staffel von „Babylon Berlin“ läuft. Erst mal bei Sky.

Die Welt hat gerade erst wieder angehoben zu swingen. Passt gut, die nächsten Zwanzigerjahre stehen quasi vor der Tür.

Von Matthias Halbig/RND

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