Das Spektakel, das keines sein darf: Die 72. Berlinale beginnt auf Distanz

Der Berlinale-Bär liegt vor dem Haus der Kulturen der Welt bereit: Die 72. Internationalen Filmfestspiele finden trotz steigender Corona-Infektionszahlen vom 10. bis zum 20. Februar 2022 statt.

Der Berlinale-Bär liegt vor dem Haus der Kulturen der Welt bereit: Die 72. Internationalen Filmfestspiele finden trotz steigender Corona-Infektionszahlen vom 10. bis zum 20. Februar 2022 statt.

Es gibt einen roten Teppich bei dieser Berlinale – aber Publikum soll sich drum herum besser nicht drängen: Dieses Dilemma charakterisiert die am Donnerstag beginnenden 72. Internationalen Filmfestspiele. Eine Veranstaltung, deren größter Trumpf in normalen Zeiten Hunderttausende Zuschauerinnen und Zuschauer sind, muss diese auf Distanz halten. Denn die Zeiten sind nicht normal.

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Der rote Teppich im Jahr 2022 ist vorrangig für Filmteams und Fernsehkameras da, nicht für knipsende und schreiende Fans. Die Kameras werden Bilder von einem Potemkinschen Dorf in die Welt senden – vorausgesetzt, es laufen genügend Prominente darüber.

Die Ehrenpreisträgerin Isabelle Huppert ist fest gebucht. Erwartet werden mit ihren Filmen ebenso Juliette Binoche, Emma Thompson, Valeria Bruni Tedeschi, Charlotte Gainsbourg, Isabelle Adjani, Hanna Schygulla, Lars Eidinger, Alexander Scheer und Asia Argento.

Sigourney Weaver hat abgesagt

Wer tatsächlich kommt? Da kann sich die Festivalleitung vor allem bei den aus dem Ausland anreisenden Gästen bis zur letzten Minute nicht sicher sein. Die US-Gäste Sigourney Weaver und Elizabeth Banks und auch der Musiker Nick Cave haben bereits abgesagt.

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Und doch hat das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian auf einer Präsenz­veranstaltung bestanden. Auch bei nur 50 Prozent Auslastung nehmen im Berlinale-Palast immer noch rund 800 Zuschauerinnen und Zuschauer Platz. Eine Online­alternative, wie sie etwa das Sundance-Festival in den USA mitgeplant und bei steigenden Infektionszahlen dann auch umgesetzt hatte, war nie eine Option. Irgendwann war es dann wohl auch zu spät, das Ruder herumzureißen.

Gleichzeitig haben die Festivalmacher den angeschlossenen Europäischen Filmmarkt ins Internet verbannt. Auch Begegnungen des Nachwuchses bei den Berlinale-Talents sind minimiert worden. Mal hü und mal hott: Die Berlinale-Verantwortlichen wissen auch nicht, ob sie womöglich einen Corona-Hotspot heraufbeschwören. Die Grüne Woche und die Reisemesse ITB in Berlin hatten vor dem Virus kapituliert.

Wie sicher ist das Hygienekonzept?

Die Verkürzung des Festivals auf eine knappe Woche dürfte zumindest sicherstellen, dass mögliche Infektionen erst nach der Heimkehr der Gäste ausbrechen. Dafür dürfen sich die Berlinerinnen und Berliner über vier statt über den bislang üblichen einen „Publikumstag“ freuen.

Wie sicher ist das Hygienekonzept mit nur halb vollen Kinos, Maske am Platz und täglichen Corona-Tests auch für Geboosterte (seltsamerweise nicht in Vorstellungen mit offenem Publikumszugang) wirklich? Schon die Anfahrt in Bussen und Bahnen birgt Risiken, erst recht das wohl unvermeidbare Festivalgeschiebe an Nadelöhren. Allein mehr als 1600 Journalistinnen und Journalisten sind akkreditiert (sonst sind es mehr als doppelt so viele).

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Carlo Chatrian ist der künstlerische Leiter der Internationalen Filmfestspiele Berlin.

Carlo Chatrian ist der künstlerische Leiter der Internationalen Filmfestspiele Berlin.

Kinobesuch statt Homeoffice

Die deutsche Bevölkerung soll inmitten der Omikron-Welle im Homeoffice verweilen, die Berlinale lädt zu neuen Filmen von Nicolette Krebitz oder Ulrich Seidl ein. Sicherheit bei Großveranstaltungen kann es aber nicht geben, siehe die positiven Tests bei den Olympischen Spielen.

Ist Kino – oder sagen wir: Kultur – solche Risiken wert? Für die Berlinale schon: Sie setzt alles daran, auf dem hart umkämpften Festivalmarkt mitzuhalten – und war, zumindest was Glanz und Glamour betrifft, schon vor Corona gegen Cannes und Venedig ins Hintertreffen geraten.

Hollywood hat sich aus Berlin weitgehend verabschiedet und läuft lieber unter südfranzösischen Palmen oder am venezianischen Lido auf. Der einzig nennenswerte US-Beitrag im Wettbewerb: „Call Jane“ mit Elizabeth Banks und Sigourney Weaver. Aber der feierte bereits Ende Januar beim Sundance Film Festival seine Weltpremiere.

Zumindest nach der Papierform muss der künstlerische Leiter Chatrian mit einem eher bescheidenen Programm klarkommen. Was keinesfalls heißt, dass man sich nicht auf Werke von Andreas Dresen oder Claire Denis freuen kann.

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Es gibt auch Hoffnungsvolles inmitten der Pandemie zu vermelden: Außergewöhnlich viele Geschichten über die Liebe seien gemeldet, so Chatrian. Nur zwei schilderten das Leben in der Pandemie. Und: Sieben Frauen sind im Wettbewerb am Start (neben elf Männern), das ist deutlich mehr, als Cannes oder Venedig gewöhnlich zu bieten haben.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat noch einmal eine Lanze für die Berlinale gebrochen: Das Festival sei ein wichtiges Zeichen des Optimismus, der Hoffnung und der Ermutigung. „Wir lassen sie uns nicht wegnehmen. Ganz im Gegenteil, wir setzen ein Zeichen für die Kultur, für das Kino, für den Film und für all diejenigen, die in diesem Bereich arbeiten, die Kreativen und all die Menschen hinter den Kulissen“, so Roth.

Ja, es ist wichtig, dass das kulturelle Leben in der Pandemie nicht zum Erliegen kommt. Die politisch Verantwortlichen haben das nach zwei Pandemiejahren mühsam gelernt. Doch trifft das in erster Linie auf den alltäglichen Betrieb von Theatern, Museen und auch Kinos zu. Gilt es auch für ein Spektakel wie die Berlinale, wenn es gar keines sein darf?

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