Echte Diva, harte Arbeiterin: Ehrenbär für Isabelle Huppert
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Die französische Schauspielerin Isabelle Huppert.
© Quelle: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
Sie ist das, was man eine Diva nennt: Als Isabelle Huppert vor einigen Jahren beim Braunschweiger Filmfest einen Preis entgegennahm, kam sie den Veranstaltern zwischendurch abhanden. Zu ihrer eigenen Pressekonferenz erschien sie dann viel zu spät und untersagte in letzter Minute auch noch Fotos. Und dann die Anekdote von der Berlinale, auch schon ein Weilchen her: Bevor sie im Cinema Paris am Kurfürstendamm dem Kinovolk kurz ihren Gruß entbot, verlangte sie nach einem Ruheraum.
Ohne Hupperts Starallüren muss die Berlinale dagegen in diesem Jahr auskommen: Wenn sie an diesem Dienstag den Goldenen Bären für ihr Lebenswerk erhält, wird die Französin lediglich per Video zugeschaltet. Grund ist eine Corona-Infektion, wie die Veranstalter am Montagabend kurzfristig mitteilten. Mit Starallüren hat das nichts zu tun.
Nach mehr als einem halben Jahrhundert vor der Kamera kann sich Huppert etwas Divenhaftes leisten – zumal die 68-Jährige härter arbeitet als die meisten Kolleginnen und Kollegen. Sie weiß das selbst: In der französischen Serie „Call My Agent“ spielte sie 2018 in der ihr gewidmeten Episode mit viel Humor mehr oder weniger sich selbst – und nimmt so viele Angebote an, dass sie an einem Tag zwei Filme gleichzeitig drehen muss. Auf dem Weg von einem zum anderen Set gibt sie dann auch noch Interviews.
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In Hupperts Blick will der Regisseur Patrice Chéreau (mit ihm drehte sie 2005 „Gabrielle“) etwas Gewalttätiges erkannt haben – so wie bei antiken Gottheiten, denen man besser nicht in die Augen sehen sollte. Jedenfalls wird sie für ihre Kompromisslosigkeit und Strenge geachtet.
Huppert gehört zu den wenigen Schauspielerinnen, die mit zunehmendem Alter immer mehr spielen und nicht weniger. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat sie mal gesagt: „Was mich betrifft, hatte ich Glück. Aber das würde vermutlich nicht jede Kollegin so sagen. Ich habe Freundinnen, die sich bitter beklagen, dass es nicht genügend gute Rollen für Frauen gibt.“
Das Alter? Spielt bei Huppert keine Rolle
Wobei das Alter für sie sowieso keine Rolle zu spielen scheint. Mit ihrer durchscheinenden Haut, den Sommersprossen und den feuerroten Haaren wandelt sie geradezu jugendlich durch ihre Filme. Geboren wurde Huppert 1953 in Paris, die Mutter war Englischlehrerin, der Vater Ingenieur. Die Kunst war wichtig im Elternhaus.
Zum Star stieg sie schon in jungen Jahren, spätestens mit „Die Spitzenklöpplerin“ (1977), auf. Dem französischen Kino ist sie bis heute treu geblieben.
Einen spektakulären Ausflug nach Hollywood unternahm sie aber auch: 1980 war sie in Michael Ciminos US-Spätwestern „Heaven’s Gate“ an einem der größten Flops der US-Filmgeschichte beteiligt, der das Studio MGM ins Unglück stürzte. Inzwischen genießt der Film Kultstatus. In Hupperts langer Filmografie mit rund 150 Werken finden sich viele bedeutende europäische Autorenfilmer, angefangen von Andrzey Wajda („Die Dämonen“) über die Taviani-Brüder („Wahlverwandtschaften“) bis hin zum aktuellen Berlinale-Eröffnungsregisseur François Ozon („Acht Frauen“).
Ikone des französischen Kinos
Die Berlinale zeigt Huppert zu Ehren am Dienstag ihren aktuellen Film „A Propos de Joan“. Da verwandelt sie sich in eine erfolgreiche Verlegerin, die mit einem ihrer Autoren, gespielt von Lars Eidinger, eine Beziehung eingeht. Sonst ist es selbstverständlich, wenn Männer jüngere Partnerinnen haben. Hier ist es mal umgekehrt. Immerhin 23 Jahre liegen zwischen den beiden im wirklichen Leben.
Der Berlinale-Film ist typisch für Huppert: Sie spielt eine schwer ausrechenbare Frau, die sich im eigenen Leben fremd vorkommt. Mit solchen Rollen ist Huppert zur Ikone des französischen Autorenfilms avanciert.
Eingekapselte Gefühle
Ihre Spezialität sind komplexe Figuren mit eingekapselten Gefühlen. Deren Sinnlichkeit wirkt oftmals wie in Kälte erstarrt. Zerbrechlichkeit und Willensstärke führt Huppert mühelos zusammen. Hinter dem Spröden und dem Kühlen lauern versteckte Begierden.
Eine ihrer imposantesten Rollen hatte sie als Michael Hanekes „Klavierspielerin“ (2001), die sich auf eine verhängnisvolle Affäre mit einem Schüler einlässt. Der Auftritt brachte ihr die Goldene Palme in Cannes ein, die sie schon einmal als Elternmörderin in Chabrols „Voilette Nozière“ (1978) gewonnen hatte. Überhaupt, Chabrol: Mit ihm drehte sie sieben Filme.
Zuletzt löste Huppert 2016 Kontroversen in Paul Verhoevens Psychothriller „Elle“ aus. Da spielte sie ein Vergewaltigungsopfer, das mit ihrem Vergewaltiger ein lustvolles Katz- und Mausspiel beginnt. Huppert ist alles andere als ein Opfer in diesem Film. Opfer ist sie sowieso selten.
Das alles heißt aber nicht, dass sie sich nicht auch auf leichtere Rollen versteht. Jüngst zog sie in „Eine Frau mit berauschenden Talenten“ (2020) als arabische Drogendiva durch Paris und versorgte die halbe französische Hauptstadt mit Haschisch.
Für sie selbst haben Genres wenig Bedeutung, wie sie dem RND sagte: „In der Bilanz habe ich sicher mehr Dramen als Komödien gedreht. Aber diese Unterscheidung interessiert mich nicht besonders. Ich mache Filme, und ich versuche, gute Filme zu machen. Manchmal sind sie witzig und manchmal nicht.“
Dass sie nun für ihr Lebenswerk geehrt wird, hat durchaus etwas Ironisches. Einen Preis für ein Lebenszwischenfazit hatten sie bei der Berlinale nicht im Angebot.