„Ich habe nicht an Hollywood gedacht“

Oscarfavorit Berger: „Deutsche Regisseure haben einen Minderwertigkeits-Komplex“

„Auf unseren Schultern lastet die Übermacht dieser Geschichte“: Der deutsche Regisseur Edward Berger in den Cinecittà-Filmstudios in Rom.

„Auf unseren Schultern lastet die Übermacht dieser Geschichte“: Der deutsche Regisseur Edward Berger in den Cinecittà-Filmstudios in Rom.

Für sagenhafte neun Oscars nominierte die Academy of Motion Picture Arts and Sciences Edward Bergers Literaturverfilmung „Im Westen nichts Neues“. Bis dahin hielt Wolfgang Petersens „Das Boot“ den deutschen Rekord mit sechs Nennungen. Doch Berger schaffte es mit seiner Erich-Maria-Remarque-Adaption auch in der Königskategorie „Bester Film“ in die Endrunde. Der 1970 in Wolfsburg geborene Filmemacher suchte früh den internationalen Rahmen: Seinen Regieabschluss erlangte er an der New Yorker Universität. Zunächst arbeitete er an Filmen von Ang Lee und Todd Haynes mit, dann verdiente er sich mit deutschen Krimis erste Sporen („Bloch“, „Tatort“). Sein Kinodrama „Jack“ (2014) über einen vernachlässigten Jungen lief im Berlinale-Wettbewerb. Zu den Serien „Deutschland 83″ und „The Terror“ steuerte er Folgen bei, „Patrick Melrose“ mit Benedict Cumberbatch inszenierte er komplett.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Herr Berger, Sie haben die denkwürdigen Oscarnominierungen im Januar in Rom erlebt. Dort drehen Sie den Thriller „Konklave“ nach einem Roman von Robert Harris. Wo genau erwische ich Sie telefonisch so früh am Morgen?

Ich werde in einigen Minuten abgeholt, um zum Dreh nach Eur zu fahren, einer von Mussolini im monumental-faschistischen Stil entworfenen Vorstadt. Wir haben mit Ralph Fiennes und Stanley Tucci aber auch viel in den Filmstudios in Cinecittà gearbeitet.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Bekommen Sie auf Anhieb alle neun Oscarkategorien für Ihren Film „Im Westen nichts Neues“ zusammen?

Oh, ich glaube schon, weil mich die Nennung für jedes einzelne Teammitglied so gefreut hat.

Dann machen wir doch mal die Probe aufs Exempel.

Gern. Nominierungen gab‘s für die visuellen Effekte, die Filmmusik, die Kamera, das adaptierte Drehbuch, Szenenbild, Make-up, bester fremdsprachiger Film, bester Film ... Warten Sie, eine Kategorie fehlt ...

Acht von neun Punkten haben Sie schon mal sicher.

Ah, bester Ton.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Haben Sie am Verkündungstag sofort verstanden, welche Sensation sich da ereignet?

Bei der emotionalen Aufnahme solcher Dinge hat mein Gehirn leider ein kleines Defizit. Deshalb bleibe ich eher ruhig. Und ist es wirklich eine Sensation? Wenn ja, freut mich das sehr. Ich bin aber schon wieder einen Film weiter.

Nie zuvor ist ein deutscher Film in der Königskategorie nominiert worden. Sie konkurrieren mit Steven Spielbergs „The Fabelmans“ und mit James Camerons „Avatar“-Film. Zittern Ihnen ein wenig die Knie?

Das ist verrückt, ganz klar, aber ich glaube auch, dass wir als deutsche Regisseure dazu neigen, uns selbst sehr klein zu machen.

Wie kommen Sie darauf?

Wir haben einen Minderwertigkeitskomplex. Also ich zumindest. Ich kann zwar nur von mir selbst reden, aber ich glaube, dass es vielen anderen genauso geht. Ich ertappe mich immer wieder, dass ich im Vergleich mit anderen Ländern denke: Mensch, die können das besser. Die haben diese großen Filme, die Stars, das Publikum. Ich denke, das hat auch mit unserer Geschichte zu tun.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Sie haben doch viel international gedreht: Was setzen Sie dagegen?

Vor sieben, acht Jahren habe ich mir gesagt: Ich will diese gläserne Decke dicht über meinem Kopf aufstoßen. Diese Entscheidung hat mir unheimlich gutgetan. Das zeigt ja auch das Team von „Im Westen nichts Neues“, das zum Großteil aus Deutschland und aus Tschechien stammt. Make-up, Production Design, Kostüm, Sound … warum sollten wir das nicht genauso gut können wie die Amerikaner? Wir sollten mutiger sein. Für mich gibt es keinen Grund, warum ein so großartiger Film wie etwa Sofia Coppolas „Lost in Translation“ nicht auch von einer Deutschen oder einem Deutschen gedreht werden könnte, egal ob in Tokio oder in Berlin.

Verändert sich da gerade etwas? Ich denke etwa an Maria Schrader und ihren #MeToo-Film „She Said“. Eine deutsche Regisseurin hat ein ureigenes Hollywoodthema angeboten bekommen.

Ob sich etwas verändert oder nicht, kann ich nicht genau beurteilen. In jedem Fall macht es Spaß, in diesem weiten Feld internationaler Geschichten zu stöbern. Wir sind nicht nur reduziert auf unser Land und auch nicht nur auf deutsche Autorinnen und Autoren. Dennoch: Nach „Im Westen nichts Neues“ hatte ich gar nicht gesucht, ich wollte keine deutsche Geschichte drehen. Der Film hat mich gefunden.

Warum haben Sie dann zugesagt?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Weil der Film sozusagen „unabsagbar“ war. Ich wusste sofort, dass er etwas in mir berührt, dass ich um diese Geschichte nicht herumkomme. Er erzählt davon, wo wir herkommen. Und genau darum geht es: Ich kann nicht plötzlich einen Film machen, der von zwei Rednecks in Tennessee erzählt. Die Geschichte muss mit mir zu tun haben. Ich muss etwas erzählen, was in mir steckt.

Was steckt denn von Ihnen in Ihrem neuen Film „Konklave“, einem Thriller über eine Papstwahl?

Die Zweifel der Hauptfigur an ihrer Berufung. Solche Zweifel kennen viele. Da spielt es keine Rolle, ob es um einen Kardinal in Rom, einen Filmemacher aus Wolfsburg oder einen Koch in Berlin geht. Für mich ist „Konklave“ die Reise eines zweifelnden Menschen. Ich kann mich mit der Figur identifizieren.

Die Günter-Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel“, die Exilgeschichte „Nirgendwo in Afrika“, der Stasi-Thriller „Das Leben der Anderen“: Es waren allesamt historische Stoffe aus Deutschland, die bei den Oscars Furore gemacht haben. Woher rührt die Begeisterung in Hollywood?

Ich kann ihnen zumindest sagen, warum wir Deutsche von der Historie erzählen: Auf unseren Schultern lastet die Übermacht dieser Geschichte. Deshalb war es mir ein großes Bedürfnis, diesen Film zu machen. Ich würde auch lieber „La Dolce Vita“ drehen, da hätte ich mehr Spaß und müsste nicht mit der Kamera im Schlamm stecken. Aber das süße Leben verfilmen kann ein Italiener leider besser.

Es gab schon zwei Verfilmungen des Romans von Erich Maria Remarque aus den USA. Was war Ihr Ansatz für eine dritte?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wir wollten aus einem deutschen Roman einen Film in seiner ursprünglichen Sprache drehen. Beim Schreiben hatte ich mir noch einmal die erste US-Verfilmung von 1930 angeschaut – ein wirklich großer, sehr moderner Film. Aber das hat mich eher gehemmt. Es hat bestimmt zwei Wochen gedauert, mich von den Bildern zu befreien. Ich musste mir erst einmal wieder Mut antrainieren, um dann meinen eigenen Weg zu finden.

Wie sah dieser Weg aus?

Drei Dinge waren für mich wichtig. Zunächst einmal der lakonische und beobachtende Ton des Schriftstellers Remarque. Der Roman hat etwas Reportagehaftes und zieht die Leser in die Schützengräben hinein. Dieses Grauen wollten wir mit unserem Film nachempfinden und geradezu physisch erfahrbar machen. Das Publikum sollte in die Stiefel des jungen Paul Bäumer schlüpfen und mit ihm den Krieg erleben. Und dennoch wollten wir die Zuschauer nicht manipulieren, sondern ihnen die Chance zur Beobachtung lassen. Ein echter Spagat. Der zweite Punkt war: Wir wollten von unserem kollektiven Gefühl der Schuld und der Scham erzählen. Das Publikum sollte das in jedem Moment spüren.

Fehlt noch der dritte Beweggrund.

Wir wollten unser Privileg der Perspektive auf die Historie nutzen und uns Freiheiten gegenüber der Vorlage nehmen: Der Erste Weltkrieg liegt mehr als hundert Jahre zurück, Remarques Buch erschien 1928. Das ist keine Zeitgeschichte mehr. Wir wissen heute, dass die Historie nicht mit dem Ersten Weltkrieg endete, auch wenn damals 17 Millionen Menschen starben. Gut zwei Jahrzehnte später begann der Zweite Weltkrieg. Und deshalb haben wir die Waffenstillstandsverhandlungen von Com­piègne in einem Eisenbahnsalonwagen eingebaut. Die manipulierte Interpretation dieses Kriegsendes spielte eine Rolle bei der Entstehung des nächsten Weltkriegs. Wir werfen ein Schlaglicht auf unsere düstere Zukunft.

Im Roman heißt es über die Hauptfigur Paul Bäumer: „Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.“ Sie haben in Ihrer Verfilmung der Beiläufigkeit des Sterbens die Dramatik des schon terminierten Kriegsendes entgegengesetzt: eine Konzession an Hollywood?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nein, überhaupt nicht. Ich habe nicht an Hollywood gedacht. Ich mache bei einem Film auch keine Konzessionen. Ich habe aber an ein internationales Publikum gedacht, weil ich glaube, dass wir Deutschen etwas vom Krieg zu erzählen haben. Auch die nachfolgenden Generationen tragen dieses Thema noch immer mit sich herum, auch meine Kinder. Wir alle tragen diese Kriege in uns. Und das ist richtig so.

Gilt das nur für Deutsche?

Wir haben nun mal zwei Weltkriege begonnen. Wir haben die Verantwortung, darüber zu sprechen. In Verbindung mit dem Erzählstrang der Waffenstillstandsverhandlungen ist unser Filmende eine logische Konsequenz. Im Übrigen ist das damals wirklich passiert: Stunden vor Kriegsende wurden Menschen in letzte Schlachten geschickt, um sich doch noch einen Orden zu verdienen. Es war mir wichtig, von diesem Wahnsinn zu erzählen.

Welche Rolle spielt bei der Wahrnehmung Ihres Films der Ukraine-Krieg?

Wir wollten diesen Krieg nicht kommentieren – und hätten das auch nicht gekonnt, da unser Film bereits lange vor Kriegsausbruch abgedreht war. Ich fände dieses Ziel auch anmaßend, schließlich ist „Im Westen nichts Neues“ am Ende nur ein Film. Wir können nicht von der Realität erzählen, diese ist mit Sicherheit viel schlimmer. Aber leider verliert das Thema niemals an Relevanz, und das wird den Menschen beim Schauen unseres Films vielleicht wieder bewusst.

Würden Sie sich wünschen, dass mehr Menschen „Im Westen nichts Neues“ im Kino sehen und nicht auf dem kleinen Bildschirm?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wir hatten das Glück der besten aller Kombinationen. Der Film läuft momentan auf Netflix und kann binnen Tagen Millionen Zuschauer erreichen. Er wird in allen möglichen Sprachen in alle möglichen Länder getragen. Das ist ein Traum. Zuvor hatten wir die Chance, ihn wochenlang in Deutschland, den USA, England und vielen, vielen anderen Ländern auf der großen Leinwand zu zeigen. Dieses Glück wird nicht vielen deutschen Filmen zuteil. Am Ende ergeht es heute fast allen von uns so: Die Menschen schauen unsere Filme, wo sie möchten.

Wie verändert sich Ihr Leben gerade durch die Oscarnominierungen?

Nichts hat sich verändert. Da wird sich auch nichts ändern.

Flattern Ihnen nicht schon neue, tolle Angebote auf den Tisch?

Gute Drehbücher liegen nicht einfach so auf der Straße herum. Die müssen entwickelt werden – und das tue ich seit rund acht Jahren mit immer denselben Menschen. So war es auch bei „Konklave“.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Können Sie auf größere Etats setzen?

Das werden wir sehen. Aber ich werde für einen komplett unkommerziellen Film mit Sicherheit nicht plötzlich 20 Millionen bekommen. Das investierte Geld wollen die Menschen immer wiederhaben.

Wie groß ist die Reisegruppe, mit der Sie nach Hollywood aufbrechen?

Die wird groß sein, vielleicht 40 bis 50 Leute. Es sind ja aus allen Bereichen Teammitglieder nominiert. Auf dem Weg werde ich noch einen Stopp in New York machen, wo ich den Film in einem großartigen Programmkino, dem Metrograph, zeigen werde. In Los Angeles wollen wir dann vor allem feiern. Es gibt auch einen Empfang im ehemaligen Exil des Schriftstellers Lion Feuchtwanger, der Villa Aurora, heute eine Künstlerresidenz. Ich habe dort die Zeit eines Stipendiums verbracht. Damit verbinde ich einmalige Erinnerungen. Es schließt sich ein Kreis.

Wie viele Zettel werden Sie bei der Oscarshow in Ihrer Smokingtasche für Dankesreden parat halten?

Da habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber ich nehme an, ich werde mich vorbereiten. Man muss sich immer vorbereiten. Auf alles.

Mehr aus Kultur

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken