Leonard Cohen: Unsterblich und unendlich gut

Leonard Cohen im Jahr 2006.

Leonard Cohen im Jahr 2006.

Als 1967 Leonard Cohens Roman „Beautiful Losers“ erschien, schrieb ein Kritiker: „James Joyce ist nicht tot, er lebt unter dem Namen Leonard Cohen in Montreal.“ Künstlerinnen und Künstler gehören zu den wenigen Menschen, die es schaffen können, wirklich unsterblich zu sein und unendlich zu strahlen. Aber was soll das eigentlich bedeuten, wenn Unsterblichkeit nicht bloß heißt, dass mit den Namen dieser Künstlerinnen und Künstler (wie heute so oft) nur möglichst lange weiterhin Profit gemacht werden soll?

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Musiker und Musikerinnen etwa werden eben nicht dadurch unsterblich, dass ihre Werke auch nach ihrem Tod bis aufs Letzte ausgequetscht werden. Nicht dadurch, dass irgendwo auf dem Dachboden oder in einer Computerdatei noch zwei, drei Songideen gefunden und zu einem letzten und danach noch allerletzten Album hochproduziert werden. Unsterblich werden Musikerinnen und Musiker, wenn sich andere Künstler mit ihnen beschäftigen, wenn Nachfolger, Bewunderer wie Kritiker, ihre Ideen, ihre Kompositionen, ihre Stimmen und ihre Texte weiterleben lassen.

Bezugspunkt für Denkende und Dichtende

Leonard Cohen ist einer dieser Musiker, deren Leben und Wirken auch nach seinem Tod bei Weitem nicht auserzählt ist. Schon zu Lebzeiten war der Kanadier Bezugspunkt für Dichterinnen und Musiker, für Denkende und Dichtende, für Melancholische und Depressive. So sang Kurt Cobain, Sänger der Band Nirvana, 1993 in „Pennyroyal Tea“ die Zeilen „Give me a Leonard Cohen afterworld / So I can sigh eternally“ („Gib mir eine Leonard-Cohen-Nachwelt / So kann ich ewig seufzen“). Kurze Zeit später erschoss sich Cobain, und Cohen sagte, er wünschte, er hätte mit Cobain vor dessen Tod sprechen können.

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Cohen wiederum starb 2016, das Interesse der Öffentlichkeit an ihm aber erlosch nicht, es stieg sogar noch. So kam 2019, drei Jahre nach Cohens Tod, der zugleich erschreckende wie auch zu Tränen rührende Dokumentarfilm „Marianne & Leonard: Words of Love“ in die Kinos, in dem seine lebenslange Liebesgeschichte zur Norwegerin Marianne Ihlen erzählt wird.

Tribute-Album von First Aid Kit

Nun ist mit dem Tribute-Album des schwedischen Indie-Pop-Duos First Aid Kit eine weitere Verbeugung vor dem dunklen Dichter erschienen. Die Schwestern Johanna und Klara Söderberg hatten im März 2017 in Stockholm zu einem Konzert mit Songs und Gedichten des Songwriters eingeladen. An zwei Abenden hatten sie in schneeweißer (und damit Cohens stetiges schwarzes Outfit kontrapunktierender) Kleidung auf der Bühne des Dramaten-Theaters gestanden und Hits wie „Suzanne“, „Hallelujah“ und „Sisters of Mercy“ mit ihrem glockenklaren Harmoniegesang in eine neue Gesangswelt getragen.

Diese Liebeserklärung an Cohen ist nun, genau vier Jahre nach dem Auftritt in Stockholm, auf dem Livealbum „Who By Fire“ nachzuhören. Die einzelnen Songs gehen dabei oft nahtlos ineinander über, es bleibt kaum Zeit für Applaus. Gemeinsam mit einem Chor, Gastmusikerinnen und Gastmusikern und einer Band schaffen First Aid Kit so eine ganz eigene Dramaturgie auf diesem 20 Songs umfassenden Album. Dabei fasziniert, wie den beiden Frauen vollkommen uneitel gelingt, mit zuweilen nur minimalistischer Begleitung der Musiker die Schönheit der Texte – und zugleich ihres Gesangs – in den Vordergrund zu stellen. Dazu tragen sie Gedichte und auch den allerletzten Brief Cohens an Marianne Ihlen vor, der die Norwegerin auf dem Sterbebett erreichte.

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Cohens Songs haben sich in unser musikalisches Gedächtnis eingeprägt, wir erinnern uns an seine dunkle, melancholische Stimme. Wobei es der Begriff „Songs“ oft gar nicht trifft, es sind eher gesungene Gedichte und Gebete. Die hellen Frauenstimmen von First Aid Kit, die mit Liedern wie „My Silver Lining“ und „Emmylou“ bekannt geworden sind, rücken Zeilen wie „A million candles burning / for the love that never came / You want it darker / We killed the ­flame“ nun in ein ganz neues Licht. Dass Cohens Songs, die häufig die Liebe, die Sehnsucht, die Enttäuschung und das Verlangen des Sängers nach Frauen besingen, von Frauen gesungen werden, ist eine ganz besondere Form der Aneignung.

Janis Joplin hatte aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl gemacht, dass sie die Liebesnacht im Chelsea Hotel nicht mit Kris Kristofferson, sondern mit Leonard Cohen verbringen sollte. Cohen sang später über dieses kurze Verhältnis mit der Sängerin in „Chelsea Hotel #2“: „I remember you well in Chelsea Hotel / You were famous, your heart was a legend / You told me again you preferred handsome men / But for me you would make an exception.“ Sätze wie „Du hast mir wieder gesagt, dass du gut aussehende Männer bevorzugst / Aber für mich würdest du eine Ausnahme machen“ bekommen durch die Stimmen der Söderberg-Schwestern einen ganz neuen, augenzwinkernden ­Drive.

Cohen, der Meister der melancholischen Musik

Dabei machen sie sich keineswegs lustig oder erheben sich über das Werk des Meisters der melancholischen Musik. Aus jeder Zeile und jedem Ton ist die Liebe zu und der Respekt vor Cohen von First Aid Kit zu hören. Der Konzertabend soll, so sagen es Johanna und Klara Söderberg, nach dem Ende aller Corona-Beschränkungen unbedingt live auf den Bühnen dieser Welt wiederholt werden.

Natürlich singen die beiden schwedischen Schwestern auch Cohens Superhit „So Long, Marianne“, in dem dieser den schweren Abschied von seiner großen Liebe Marianne Ihlen beschreibt. Kennengelernt hatte Cohen die Norwegerin auf der griechischen Insel Hydra, auf der in den Sechzigerjahren immer mehr Aussteiger, Künstler und Sehnsüchtige ankamen, die dieses Eiland zu einem bis heute ikonischen Ort machten. Genau in dieser Zeit und auf dieser Insel spielt Polly Samsons gerade erschienener, sonnenlichtdurchfluteter Roman „Sommer der Träumer“. Im Mittelpunkt steht die 18-jährige Erica Hart, die nach dem Tod ihrer Mutter mit Bruder und Freund nach Griechenland flieht.

Ein sonnenlichtdurchfluteter Roman über Cohen

Die fiktive junge Reisegruppe mischt sich in dem Roman mit realen Figuren der Zeit. Die australische Schriftstellerin Charmain Clift, die gemeinsam mit ihrem Ehemann George Johnston das intellektuelle Zentrum Hydras in den Sechzigern bildete, ist in dem Roman eine Freundin von Ericas Mutter. Sie hilft Erica, auf der Insel anzukommen.

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Aber es gibt noch mehr berühmtes Personal: Auch Cohen und Marianne Ihlen sowie deren erster Ehemann Axel Jensen sind wichtiger Bestandteil des Romans, vor allem Marianne und Leonard flankieren die Handlung. Samson gerät es zum Vorteil, dass sie die Musikwelt gut kennt, ist sie doch selbst Sängerin und Songwriterin. Zudem hat sie mit ihrem Ehemann, dem Pink-Floyd-Sänger David Gilmour, ein berühmtes Beispiel vor Augen.

Cohen war zu der Zeit, in der der Roman spielt, noch nicht berühmt. Er saß in der Sonne, pumpte sich mit Amphetaminen zu und schrieb unter Drogeneinfluss seinen zweiten Roman „Beautiful Losers“. Er habe dieses Buch „im Wesentlichen unter Einfluss eines Sonnenstichs geschrieben“, sagte er 1991 im Gespräch mit Christian Fevret. „Ich schrieb im Freien, in zwei intensiven Phasen von ungefähr acht Monaten.“

Erst Ende der Sechziger begann seine Karriere als Sänger, 1967 schrieb er mit „Suzanne“ eines der schönsten und rätselhaftesten Werke der Musikgeschichte. „And the sun pours down like honey on our lady of the harbour“ – „Und die Sonne ergießt sich wie Honig auf unsere Lady des Hafens“. Es ist die Sonne über Hydra, die bis heute zu uns durchscheint. Wir können sie gerade gut gebrauchen. Unendlich gut.

First Aid Kit: „Who By Fire: Live Tribute to Leonard Cohen“ (Sony).

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Polly Samson: „Sommer der Träumer“. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Ullstein. 382 Seiten, 20 Euro.

Leonard Cohen: „So Long. Ein Leben in Gesprächen“. Aus dem Französischen und Englischen von Thomas Bodmer und Cornelius Reiber. Kampa-Verlag. 188 Seiten, 22 Euro.

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