Trost ist Pflicht

Schmerz, der nicht vergeht: Til Schweigers Kinofilm „Lieber Kurt“

Quatsch muss sein: Til Schweiger (l.) als Kurt und Levi Wolter als kleiner Kurt in einer Szene des Films „Lieber Kurt“.

Quatsch muss sein: Til Schweiger (l.) als Kurt und Levi Wolter als kleiner Kurt in einer Szene des Films „Lieber Kurt“.

Til Schweiger und eine lupenreine Tragödie? Das will nicht recht passen. Ein Schweiger-Film verspricht gute Laune im Kino. Den Regisseur zieht es unaufhaltsam zur Komödie. Oder stimmt das bei genauerer Betrachtung gar nicht?

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Schweiger – oft Regisseur, Produzent, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in einer Person – hat mehr bedrückende Themen angefasst, als man glaubt. Sie bleiben nur nicht unbedingt als traurige Angelegenheit im Gedächtnis haften. Und manchmal fragt man sich, ob nun die nicht zu unterschätzende Kunst eines Filmemachers dahinter steht, Schweres leicht zu nehmen, oder doch die Feigheit, es dem Publikum auch mal unbequem zu machen.

In „Honig im Kopf“ (2014) mit Dieter Hallervorden erzählte Schweiger von der hinterhältigen Krankheit Alzheimer (und schenkte Dieter Hallervorden damit eine große Altersrolle). Jüngst handelte „Die Rettung der uns bekannten Welt“ (2021) von der bipolaren Störung eines jungen Mannes. Und dann war da noch „Knockin’ on Heaven’s Door“ (1997) über zwei krebskranke junge Männer (Schweiger und Jan Josef Liefers, Regie führte Thomas Jahn), die vor dem Sterben unbedingt noch das Meer sehen wollen.

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Bedrückendes hält Schweiger nur bedingt aus. Trost ist das Mindeste, worauf Zuschauerinnen und Zuschauer hoffen dürfen. Niemand soll deprimiert das Kino verlassen.

Erstickende Trauer

Aber funktioniert dieses Konzept auch bei einem Film über den Tod eines Kindes? In „Lieber Kurt“ erzählt er von einem Sechsjährigen, der unglücklich von einem Klettergerüst in der Schule stürzt und stirbt. Von nun an kämpfen die Erwachsenen darum, nicht an ihrer Trauer zu ersticken und einen Weg zum Weiterleben zu finden – wenn möglich gemeinsam. Genauso kämpft aber auch jeder für sich allein.

Schweiger hat den Roman von Sarah Kuttner („Kurt“) verfilmt, also erstmals keinen eigenen Stoff entwickelt. Kurt (Schweiger) zieht mit seiner neuen Freundin Lena (Franziska Machens) aus Berlin aufs Land. Sie wollen in der Nähe von Kurts Ex-Frau Jana (Jasmin Gerat) wohnen. Dort lebt auch Kurts Sohn, der ebenfalls Kurt (Levi Wolter) heißt und zumeist Kurti gerufen wird. Das Verwechslungsspiel mit den Namen ist hier Programm.

Der Film lässt sich an wie eine Romanze über frisch verliebte Teenager: Lena und Kurt necken sich mit Pinselstrichen auf der Nase beim Renovieren ihres gerade erstandenen Hauses. Sie haben Sex zu jeder Tageszeit und in jedem Raum – wenn Kurti nicht gerade genauso verschmitzt wie überraschend um die Ecke lugt und alle erotischen Unternehmungen verhindert.

Harter Kontrast

Derweil streichelt die Sonne reife Getreidefelder, und auch die Zeitlupe ist ein probates Mittel, um die perfekte Patchworkfamilie abzubilden. Kein Moment schlechte Laune, keine Szene ohne Scherz und Situationskomik. Alles gut.

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Umso härter fällt der Kontrast aus, als das Unglück über das Paar hereinbricht. Den Todessturz Kurtis sehen wir nicht. Wir sehen nur, wie Vater Kurt zu Hause bei der Nachricht das Handy aus der Hand gleitet. Das ist eine kluge Zurückhaltung, von der man sich später mehr in diesem Film gewünscht hätte.

Jetzt regiert erst einmal der Schmerz in diesem Film. Kurt zieht sich in sich selbst zurück, er kapselt sich ab. Lena lässt er allein in der neuen Umgebung zurück. Sie vergräbt sich im Garten beinahe zwischen ihren Blumen. Die Beziehung der beiden droht zu zerbrechen.

Aber Lena kämpft um den großen Kurt. Sie wartet darauf, dass er zu ihr zurückkehrt. Irgendwann. Die Frage ist nur, ob sie so lange durchhält.

„Überleben ist was Egoistisches“, sagt ihr lebenskluger Schwiegervater Wolfgang (Peter Simonischek) bei der Trauerfeier. Und sie antwortet beinahe trotzig: „Bei uns nicht. Wir überleben zusammen.“ In solchen Momenten tut „Lieber Kurt“ weh. Es sind die besten Momente des Films.

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Doch der Regisseur Schweiger erträgt die sprachlose Traurigkeit nicht, wenn sein Vater Kurt allein an dem Baum lehnt, unter dem die Urne seines Sohnes ruht. Und deshalb tut der Regisseur etwas, wovor die Romanautorin sich hütet: Er baut Rückblenden ein aus der glücklichen Zeit mit dem kleinen Kurti.

Immer wieder sehen wir das herzallerliebste Kerlchen, das mit seinen altklugen Scherzen in der Schule vor allem den Lehrer zum Lachen bringt oder bei voller Fahrt mal eben die Handbremse zieht. Immer wieder zwingt Schweiger damit auch sein Publikum zu einer schwer zu ertragenden Achterbahnfahrt der Gefühle. Es wirkt, als würde sich Schweiger wieder und wieder am Unglück delektieren, wenn er in die filmische Gegenwart nach dem Tod Kurts zurückkehrt.

Und dann beginnt die große Tröstung. Das nimmt den Zuschauerinnen und Zuschauern im Kinosessel tatsächlich die Last von den Schultern. Und doch bleibt der schwer zu widerlegende Verdacht, zwei Stunden lang emotional manipuliert worden zu sein.

„Lieber Kurt“, Regie: Til Schweiger, mit Til Schweiger, Franziska Machens, Peter Simonischek, Levi Wolter, 136 Minuten, FSK 12

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