Christo und Jeanne-Claude: Gottorf feiert die Verpackungskünstler
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Christo und Jeanne-Claude 1995 vor dem verhüllten Reichstag in Berlin.
© Quelle: Landesmuseen SH / Christo and Jeanne-Claude Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn, 2022 / Wolfgang Volz
Schleswig. Ein riesiger Stapel Fässer, mal umhüllt, mal bemalt oder auch stahlblank pur versperren im Jahr 1961/62 eine Wohnstraße in Paris. Die künstlerische Provokation mit dem Titel „Eiserner Vorhang“ hat nur wenige Stunden Bestand, wird dann geräumt.
Der aus Bulgarien geflohene Künstler Christo Wladimirow Jawaschew startet als Christo hier seine erste große Installation. Der Bau der Berliner Mauer hat ihn verstört – und zum künstlichen Infarkt einer Straßenflucht inspiriert.
Christo und Jeanne-Claude: Ausstellung des Kunstpalast Düsseldorf auf Schloss Gottorf
Im Kreuzstall und der Reithalle von Schloss Gottorf ist ab 10. März jene Ausstellung zu sehen, die im Düsseldorfer Kunstpalast schon für Aufsehen gesorgt hat. Erstmals nach Christos Tod im Jahr 2020 zeigt damit eine Retrospektive, was vor und hinter den insgesamt 24 Großprojekten steckt, die das Duo Christo und Jeanne-Claude zu den heute wohl weltweit bekanntesten Künstlern gemacht hat.
„Paris. New York. Grenzenlos“ lockt mit 90 Exponaten bis Anfang September Touristen nach Schleswig – und darf tatsächlich auch Kunstsinnige interessieren, die den XXXL-Verpackungswahn bisher wegen seines etwas vordergründig spektakulären Oberflächenglanzes skeptisch gemieden haben.
Christo und Jeanne-Claude. Paris. New York. Grenzenlos
Der Kurator Ingo Borges freut sich gemeinsam mit dem neuen Vorstand der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen, Thorsten Sadowsky, dass es auf Gottorf gelungen sei, die Düsseldorfer Schau noch einmal neuartig zu präsentieren.
Die Exponate stammen zu einem sehr großen Teil aus der Sammlung des Ehepaars Ingrid und Thomas Jochheim, die genauso auskunftsfreudig nach Schleswig gekommen sind wie Mitglieder der Familie aus New York, Paris oder Stockholm.
Nouveau Réalisme: Christos Anfänge in Paris
Spannend ist, wie Ingrid Jochheim und Ingo Borges das frühe Schaffen Christos als Quelle der späteren Aktionen belegen können. Da findet sich der bestens an der bulgarischen Kunstakademie in Sofia ausgebildete Künstler, der sich in Paris als überaus fähiger Porträtmaler Geld verdient. Und der ab 1960 sehr schnell in Kreisen des „Nouveau Réalisme“ auftauchte – neben Weggefährten wie Yves Klein, Arman oder Lucio Fontana. Auch von ihnen sind Arbeiten zu sehen.
Neben den exklusiv autorisierten Großformat-Projektfotos von Wolfgang Volz (ab 1972), die den „Wrapped Reichstag“ oder „The Umbrellas“ in Japan trotz ihrer Flüchtigkeit für die Ewigkeit festhalten, sind es vor allem die großen Zeichnungen, Collagen und Druckgrafiken, die Interesse verdienen. Oder verpackte Objekte, wie Originalfässer, Frauenkörper, Flaschen – und der VW Käfer.
Christo zeichnet, Jeanne-Claude organisiert: Der oft jahrzehntelange Weg als eigentliches Ziel der Projekte
Der Weggefährte und Freund Matthias Koddenberg kann mit Borges und Jochheim auch noch einmal deutlich machen, dass für den Künstler Christo und die Kunstorganisatorin Jeanne-Claude der Weg das Ziel war. Stets betont unabhängig, weil ohne öffentliche Förderung oder Sponsoren. 24 Jahre habe es gedauert, bis der Berliner Reichstag 1995 tatsächlich – gegen massive Widerstände etwa eines Helmut Kohl – für zwei Wochen in Silber glänzte. 40 Jahre waren es gar beim Pariser „L’Arc de Triomphe“ (posthum 2021).
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„Eiserner Vorhang“: Kurator Ingo Borges mit der Fässer-Wand in Paris von 1961/62.
© Quelle: Landesmuseen SH
Einen verheißungsvollen und garantiert hübsch umstrittenen Ausblick bietet die Schau gleich zu Beginn im Kreuzstall. Da türmt sich, flankiert von Vorab-Skizzen, ein großes Modell für das allerletzte, wohl tatsächlich noch Realität werdende Christo-Projekt: „Mastaba“ in der Wüste von Abu Dabhi.
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Die Christo Foundation will dort, wenn der Emir weiter mitspielt, 410 000 Fässer zu einer „Steinbank“, der Vorstufe zu den typischen Stufenpyramiden, auftürmen. Diese größte Skulptur der Welt wird aus dem Weltraum sichtbar sein und bei entsprechendem Sonnenstand vier Kilometer Schatten werfen. Ungewöhnlich für Christos und Jeanne-Claudes Arbeiten wird sein, dass sie dauerhaft im Sand stehen soll. Einen Sinn muss man darin – wie fast immer – nicht unbedingt suchen. Inhalt fehlt. Es gilt aber Christos Motto: Verhüllung ist Verheißung.
Schloss Gottorf: Christo und Jeanne-Claude. Paris. New York. Grenzenlos. Kreuzstall / Reithalle. 10. März bis 3. September. Di-Fr 10 bis 16 Uhr; Sa/So 10 bis 17 Uhr. Katalog Kettler Verlag, 196 Seiten.
KN