Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

„Silla“ von Graun: Königliches Sängerfest á la preußischer Hof

Bejun Mehta (Silla) und Eleonora Bellocci (Ottavia).

Bejun Mehta (Silla) und Eleonora Bellocci (Ottavia).

Innsbruck. Eine Oper von Friedrich dem Großen? Dem durch seine Schlachten im Siebenjährigen Krieg berühmt gewordenen Preußenkönig? Ja, die gibt es, wenn auch nur als Libretto in französischer Sprache. Er war ja nicht nur ein bedeutender Staatsmann und erfolgreicher Feldherr, sondern auch ein leidenschaftlicher Liebhaber der schönen Künste, besonders der Musik.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Er war ein begeisterter Flötenspieler, hat für das Instrument sogar selbst komponiert, und galt als Freund der Oper, die er auch gerne als Mittel der Selbstdarstellung nutzte. Als er 1740 den Thron bestieg, begann er nicht nur die Schlesischen Kriege mit Maria Theresia, sondern legte auch den Grundstein für sein Opernhaus „Unter den Linden“, das am 7. Dezember 1742 mit der Oper „Cleopatra e Cesare“ von seinem Hofcompositeur Carl Heinrich Graun eingeweiht wurde.

Grauns Oper „Silla“ bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

Spätestens seit der Wiedereröffnung der Lindenoper mit diesem Dramma per musica genau 275 Jahre nach der Uraufführung (2017) weiß man, dass bei Graun noch manch unentdeckte Schätze zu heben sind, und so hat sich Georg Quander, der schon bei „Montezuma“ und „Cleopatra e Cesare“ Regie führte, gerne bereit erklärt, Grauns seit 1783 nicht mehr gespielte Oper „Silla“ im Rahmen der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik zu inszenieren.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wie aber ist es möglich, dass sich der preußische König, der für viele ein Sinnbild des aufgeklärten Herrschers ist, für den Despoten Sulla (italienisch Silla) interessiert und in ihm sogar – in gewisser Hinsicht – ein Vorbild sieht? Friedrich erwähnt durchaus die Gräueltaten des Sulla, den grausam geführten Krieg gegen Mithridates und die brutale Niederschlagung der innerpolitischen Feinde mitsamt den schaurigen Proskriptionen.

Zum Opernhelden aber machte er Sulla, weil dieser sich auf dem Höhepunkt seiner Macht entschloss, seine Herrschaft niederzulegen und Privatmann zu werden, zur Überraschung aller Römer. Zweifellos wollte der König mit dieser Oper seine Wertevorstellungen und Herrschertugenden dem Opernpublikum vermitteln und setzte voll auf die Kraft der Musik, um, wie er meint, in die Herzen der Menschen vorzudringen.

Friedrich der Große, Graun und Königin Sophie Dorothea

Friedrich hat den größten Wert darauf gelegt, die Uraufführung von „Silla“ auf den 27. März 1753 zu legen. Das war der Geburtstag seiner von ihm außerordentlich geliebten Mutter, der Königin Sophie Dorothea, bei der er stets Trost und Verständnis selbst in schwierigsten Zeiten fand, auch als sein Freund Katte von König Friedrich Wilhelm I. hingerichtet wurde. Die preußische Königin war übrigens die Schwester des britischen Königs Georg II.

Georg Quander hat für seine Inszenierung des „Silla“ am Tiroler Landestheater in Julia Dietrich eine Bühnenbildnerin gefunden, die dieser außergewöhnlichen Oper mit viel Kunstverstand und Liebe zum Detail gerecht geworden ist. Die von ihr entworfenen Bühnenbilder stellen eine perfekte Mischung dar aus Friderizianischem Rokoko und römischer Architektur aus dem 1. vorchristlichen Jahrhundert.

Lesen Sie auch

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auch bei den Kostümen, für die sie ebenfalls zuständig ist, verbindet sie Altrömisches mit dem Barock. Silla erscheint in einem dunkelroten, eng anliegenden Kostüm mit allerlei goldenen Verzierungen und sitzt bei wichtigen politischen und persönlichen Entscheidungen an einem zierlichen Tischchen – welch schöner Kontrast, auch zu seinem Charakter! Auch das Gebäude der Oper Unter den Linden dürfte ihr als Inspirationsquelle gedient haben. Quander ist es gelungen, den manchmal etwas spröden Stoff der Oper mit Leben zu füllen, nicht zuletzt auch wegen der von Friedrich hinzugefügten Liebesgeschichte.

Mit dieser Lovestory beginnt die Oper. Ottavia, die Tochter eines römischen Patriziers, berichtet ihrer Mutter Fulvia in einem erregten Gespräch, dass sie auf keinen Fall bereit ist, den Werbungen des Silla nachzugeben, da sie Postumius liebt. Die Sopranistin Eleonora Bellocci vertritt ihre Gefühle Fulvia gegenüber mit einer solchen Vehemenz, dass man sofort mitten drin ist im Geschehen und in den Gefühlskonflikten.

Vehement: Eleonora Bellocci als Ottavia

Kann sich eine junge Frau dem Begehren eines so mächtigen Potentaten wie Silla widersetzen, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen? Roberta Invernizzi als Fulvia rät ihrer Tochter, auf Sillas Wünsche einzugehen, da er keinen Widerstand dulden wird. Die aus Mailand gebürtige Sopranistin läuft bereits bei ihrer ersten Arie „Per più sublimo oggetto“ zu einer gesangstechnischen Höchstform auf, wenn sie ihrer Tochter empfiehlt, der Ehre zu folgen und nicht der Liebe. Sie geht sogar so weit, Silla zu versichern, dass Ottavia schon noch Vernunft annehmen wird und gewiss lernen kann, ihn zu lieben: „Se l’augellin si vede“. Bellocci ist eine hinreißende Ottavia, die sich im Übermaß ihren Gefühlen hingibt und im zarten Liebesduett mit Postumius ihren Emotionen freien Lauf lässt.

Ihre Vision von dem im eigenen Blute liegenden Geliebten ist von großer Eindringlichkeit: „Parmi...ah no!...purtroppo oh Dio!...“ Die ganze Bühne ist während ihrer Arie in tiefes Rot getaucht. Unmittelbar danach tritt Silla auf und gewährt uns in einem langen Monolog einen tiefen Einblick in seine Seele: „Ah, Metello ha ragion...che feci?...“ Er ist durch die Vorhaltungen seines Freundes geläutert, verdammt sein Tun und fühlt sich nur noch der Stimme des Vaterlandes verpflichtet. Wahre Wunder an Geschmeidigkeit, Wohlklang und tief empfundenen Emotionen vermag Bejun Mehta in dieser für die „Botschaft“ Friedrichs so zentralen Szene seinem makellosen Countertenor abzuverlangen. Bei der Uraufführung sang der sagenumwobene Kastrat Giovanni Carestini die Titelrolle.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Um diese Oper gut zu besetzen, bedarf es aber weiterer hoher Männerstimmen. Was für ein Glück für jeden Stimmfetischisten, dass in Innsbruck gleich drei weitere Countertenöre zur Verfügung standen, die den allerhöchsten Ansprüchen genügten. Allen voran der aus Venezuela gebürtige Sopranist Samuel Mariño als Postumio, der immer wieder dank seines natürlichen Charmes und seiner hohen und allerhöchsten Töne für frappierende Momente sorgt. Er ist als unbeugsamer Lover der Ottavia ebenso liebenswert wie tapfer in seinem Auftreten.

Valer Sabadus als Metello

Der biegsame und samten schöne Countertenor der Valer Sabadus ist ideal für die Rolle des Metello, der zwar lange Zeit als Mitläufer Sillas gesehen werden kann, dann aber angesichts der Missetaten des Diktators vor diesen hintritt und ihn an die alten römischen Tugenden erinnert: „Signor, tu sai come fidele“ Sabadus macht daraus eine grandiose Szene, die einem das Blut in den Adern stocken lässt. Die Partie des römischen Ratsherren Lentulo ist zwar weniger spektakulär, verlangt dem Countertenor Hagen Matzeit aber auch eine biegsame Kehle und Stimmakrobatik ab.

Üblicherweise treten Tenöre in charakterlich positiven Rollen auf, hier aber ist der einzige „normale“ Tenor ein ausgesprochen bösartiger Intrigant: Der in Istanbul geborene Mert Süngü macht aus Crisogono, einem Freigelassenen, einen fiesen Ratgeber des Silla. In hündischer Ergebenheit redet er ihm nach dem Munde und schlägt ihm in „Dirò, che tu l’adori“ vor, Ottavia mit Gewalt zu nehmen. Es wird vermutet, dass diese Arie von Friedrich selbst komponiert worden ist. Am Schluss der Oper muss natürlich eine durch Silla gegebene Gerechtigkeit herrschen, Postumio und Ottavia werden in Liebe vereint, und Crisogono wird auf eine Insel verbannt.

Alessandro De Marchi am Pult

Alessandro De Marchi führt das von ihm 2018 gegründete Innsbrucker Festwochenorchester mit feinem Gespür für dramatische Wirkungen durch Grauns farbige Partitur. Trotz ihrer enormen Länge von über vier Stunden gelingt es ihm dank seines lebendigen Dirigats, dass sie regelrecht kurzweilig auf das Publikum wirkt. Einhelliger Jubel für eine wundervoll gelungene Produktion.

KN

Mehr aus Kultur regional

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken