Nordische Filmtage Lübeck mit dänischen Jazzern und isländischem Kultkino
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/J2KJJXEDWESQTFMAIJUZS32RZY.jpg)
Der Dokumentarfilm „Radji“ erzählt vom Kampf der Sami um ihre Rentierweiden im norwegisch-schwedischen Grenzland.
© Quelle: Off World
Lübeck. Nachdem im vergangenen November zur Eröffnung der Nordischen Filmtage zwei rasante Cops im Action-Modus durch Reykjavik jagten, geht es diesmal überraschend zurückhaltend zu. „Music for Black Pigeons“ heißt der Dokumentarfilm, der das Lübecker Filmfest am 2. November eröffnet. Eine Jazz-Doku, für die die dänischen Filmemacher Jorgen Leth und Andreas Koefoed 14 Jahre lang dem Komponisten Jakob Bro durch die Jazzwelt folgten und Jazzer wie Bill Frisell, Lee Konitz oder Midori Takada mit existenziellen Fragen konfrontiert haben.
„Das ist ein herzwärmender Film, der in extremer Weise das Leben feiert, ohne naiv zu sein. Und der zeigt, wie stark wir die Kunst brauchen, gerade jetzt“, sagt Thomas Hailer, Künstlerischer Direktor dazu. Das Überraschungsmoment gehört für ihn ohnehin zum Filmfestival dazu: „Das Publikum der Nordischen Filmtage kommt doch, um überraschende Filme zu sehen.“
Nordische Filmtage mit 173 Filmen in neun Sparten
173 Filme und 212 Veranstaltungen stehen bis 6. November auf dem Programm, verteilt auf neun Sparten von neuen skandinavischen Serien über das Schleswig-Holstein-Schaufenster „Filmforum“ bis zum „immersiven Film“, das den Zuschauer etwa im Full-Dome-Kino unmittelbar ins virtuelle Erleben hineinzieht.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/3JZTXSY4X6LO3IFUUTXK57YQGM.jpg)
Künstlerischer Leiter Thomas Hailer, hier bei der Filmtage-Eröffnung 2021.
© Quelle: Agentur 54°
14 Spielfilme laufen im Wettbewerb um den mit 12.500 dotierten Hauptpreis. Die Dänin Annette K. Olesen, 2021 Laudatorin für Trine Dyrholm, die den erstmals verliehenen Ehrenpreis der Nordischen Filmtage erhielt, verstrickt im Episodenfilm „A Matter of Trust“ die Schicksale von fünf Menschen mit ihren Lügen und enttäuschtem Vertrauen.
Der finnische Debütfilm „The Woodcutter Story“ dreht sich um seltsame Geschehnisse in einer finnischen Sägemühle und den jungen Holzfäller Pepe, der sie mit stoischer Ruhe durchlebt. Und der schwedische Beitrag „The Store“ von Filmemacherin Ami-Ro Sköld erzählt vom Leistungsdruck im Supermarkt – halb Schauspiel, halb Puppenanimation.
Fridrik Thor Fridriksson erhält Ehrenpreis der Nordischen Filmtage
„Viele der Filme erzählen von Leuten, die in der Klemme stecken“, sagt Hailer, „ohne dass da ein depressiver Grundton herrscht. Im Gegenteil: Wir sehen, wie sich die Leute aufrappeln, Dinge nicht hinnehmen, weitermachen. Das ist sehr zeitgemäß.“
Ein roter Faden, der sich auch in den anderen Sektionen fortsetzt. Im Dokumentarfilm reicht die Bandbreite von der samischen Hirtengemeinschaft im norwegisch-schwedischen Grenzland, die um ihre Weiden fürchtet, bis zur Entdeckung Finnlands als Mekka des Karaoke. Und dazwischen haben die Lebenserinnerungen von Leinwandstar Liv Ullmann Platz, die Abgründe der modernen (schwedischen) Arbeitswelt oder ein junger Somali, der als Flüchtling nach Finnland kam und nun in Afrika die neue alte Heimat sucht.
Lesen Sie auch
- Wie Kieler Hobbyfilmer die Segelolympiade 1972 erlebten
- Die etwas andere Kreuzfahrt: "Triangle of Sadness" im Kino
Dazu passt auch der diesjährige Ehrengast, der isländische Kult-Regisseur Fridrik Thor Fridriksson, dessen Filme allesamt in Lübeck liefen und drei Preise gewannen. „Er ist in die DNA des Festivals eingewoben“, sagt Thomas Hailer und hat sie noch einmal ins Programm genommen – vom 1992 Oscar-nominierten „Children of Nature“ bis zu „Mamma Gogo“ (2010), in dem sich Fridriksson mit dem Verlust der eigenen Mutter auseinandersetzt.
Gut zwei Drittel der Nordischen Filmtage auch als Stream im Angebot
Die Retrospektive erzählt von Crossdressing und Geschlechteridentitäten; und im mit 29 Filmen stark besetzten Kinderkino steht eine Reihe ungewöhnlicher Dokumentarfilme für junge Zuschauer auf dem Programm.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DVXCFVJAGWBAX7NM3MIIR3RCQU.jpg)
Mit ungebrochenem Stoizismus arbeitet sich Waldarbeiter Pepe durch den finnischen Film „The Woodcutter Story“.
© Quelle: Tero Ahonen
Bei all dem können die Nordischen Filmtage auf die sichere Unterstützung von Stadt und Land sowie zahlreicher Förderer setzen. 63 000 Euro verteilen sich auf insgesamt zwölf Jury- und Publikumspreise, darunter der neue Kurzfilmpreis, der die ohnehin beliebte Gattung zusätzlich aufwertet.
Gut zwei Drittel der Filme sind auch als Stream im Angebot. „In den vergangenen Jahren hat die Pandemie es notwendig gemacht“, so Hailer, der grundsätzlich das gemeinsame Kinoerlebnis bevorzugt. „Aber es gibt immer noch viele, die sich erstmal wieder ins Kino trauen müssen. Dafür wollen wir gewappnet sein.“
Nordische Filmtage Lübeck, 2. bis 6. November. www.nordische-filmtage.de , Karten ab 29. Oktober, 15 Uhr, über die Festival-Website
Von Ruth Benderm
KN