Sieben Baftas auf einen Streich

Unterwegs zu den Oscars? – Die Chancen für „Im Westen nichts Neues“ steigen

„Was für ein Abend, ich kann es nicht glauben“, schwärmte Regisseur Edward Berger.

„Er fiel im Oktober 1918, an einem Tag, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.“ So starb Paul Bäumer, der von der Schulbank direkt in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs kam, auf der letzten Seite von Erich Maria Remarques bewegendem Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“. Dessen Neuverfilmung wurde durch den Wolfsburger Regisseur Edward Berger zuletzt für neun Oscars nominiert und sorgte jetzt für die nächste Überraschung.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Denn am Sonntagabend räumte das Drama bei den 76. British Academy Film Awards in der Londoner Royal Festival Hall sieben Auszeichnungen ab – und das in vielen Hauptkategorien. Neben den Preisen für den besten Ton, die beste Filmmusik (Volker Bertelmann) und den besten Nebendarsteller (Albrecht Schuch als Bäumers Kamerad Stanislaus Katczinsky) gab es die Baftas für die beste Kamera (James Friend), das beste adaptierte Drehbuch (Edward Berger, Lesley Paterson und Ian Stokell). Und Berger wurde zudem als bester Regisseur gekürt.

Brit-Kritiker zogen nach den Baftas den Ukraine-Vergleich

Damit nicht genug – überdies bekam die Produktion des Streamingdienstes Netflix beide „Beste Film“-Preise des in 24 Kategorien verliehenen bedeutendsten britischen Filmpreises 2023 – sowohl für den „besten nicht englischsprachigen Film“ als auch für den „besten Film“. In 14 Sparten war „Im Westen nichts Neues“ insgesamt nominiert gewesen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Dieser deutsche Antikriegsfilm ist eine perfekte Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine – einzigartig unter den diesjährigen Bewerbern“, befand der britische Filmspezialist Peter Bradshaw direkt nach der Preisverleihung am späten Sonntagabend in der Onlineausgabe der Tageszeitung „The Guardian“. Und tatsächlich ist der Angriffskrieg des russischen Diktators Wladimir Putin auf die Ukraine und das damit verbundene massenhafte Töten und Sterben stets parallel im Kopf des Betrachters dieses Films präsent. Man kann gar nicht anders.

Zumal im Donbass, dem besonders umkämpften Osten des überfallenen Landes, sogar die Art der Kriegsführung nicht unähnlich den Ereignissen von vor mehr als 100 Jahren ist. Der Grabenkampf ist zurückgekehrt – in Städten wie Bachmut und den umliegenden Ortschaften finden opferreiche Vor-und-zurück-Gefechte um wenige Meter statt.

Im Film stirbt der Protagonist an einem Tag, an dem es Neues im Westen zu vermelden gibt

Bradshaws Einschätzung ist typisch für die angloamerikanische mediale Sicht auf „Im Westen nichts Neues“, die sich von der dynamischen Inszenierung begeistert zeigte. Während die Rezensenten in Deutschland eher verhalten blieben.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Was auch daran liegt, dass Paul Bäumers Schicksal in der Neuverfilmung im krassen Gegensatz zu seinem Tod in Remarques Buch steht. Während der Schriftsteller den Todestag seines Protagonisten auf einen vergleichsweise ereignisarmen Gefechtstag legte und durch die Diskrepanz zwischen dem schrecklichen Ende eines Lebens und dem fast friedvollen Statement der Heeresleitung die Sinnlosigkeit des Krieges poetisch akzentuierte, stirbt Bergers Version von Bäumer an einem Tag, an dem es durchaus Neues im Westen gab. Vom Heerführer Hindenburg in den allerletzten Stunden in eine Schlacht geschickt, tötet Bäumer zunächst einige feindliche Soldaten, bevor ihn hinterrücks ein Bajonett durchbohrt. Diese finale Raserei erscheint geradezu antiremarquesk.

Zustimmung bis Begeisterung bei angloamerikanischen Kritikern

Daran störte man sich in England wenig, in Amerika auch nicht. Der Film ziele darauf ab, das Publikum „mit unaufhörlicher Brutalität zu erschlagen, und es ist schwer, davon nicht erschüttert zu werden“, befand die „New York Times“ und würdigte „große Kulissen und starke Bilder“. „Das Thema des verfügbaren, willigen, aber naiven und oft dem Untergang geweihten jungen Kriegers“ werde, so urteilte die „Chicago Sun Times“, „immer wieder schonungslos auf den Punkt gebracht“. Der Kritiker aus Chicago sah in Bergers Film eine „brillante, mitreißende und epische Adaption“ des Romans. Und Danny Leigh von der „Financial Tims“ fand „sowohl feines Kino als auch mächtige Wut“.

Und so scheint der Film nun nach den Baftas auf einer Welle der Unterstützung in Richtung der Oscars zu schweben, die am 12. März in Los Angeles vergeben werden. Zuvor war der Nominierungsrekord gefeiert worden, auch die Tatsache, dass zum ersten Mal in der Geschichte von Hollywoods Academy Awards ein deutscher Film in der Hauptkategorie „Bester Film“ aufgestellt wurde. Wie bei den Baftas wurde „Im Westen nichts Neues“ auch bei den Oscars zudem in der Sparte „Internationaler Film“ aufgestellt. Aber bislang herrschte das Gefühl vor, dass am Ende im Dolby Theatre von Los Angeles andere Filme an Bergers Werk vorbeiziehen würden. Dabei sein ist alles, dachte man.

Das Stream-Team

Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix & Co. – jeden Monat neu.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Baftas vergrößern die Oscarchancen des Films

Das hat sich geändert. Jetzt sieht die „Washington Post“ durch die Britpreise „Auftrieb für das düstere Drama im Hinblick auf den Höhepunkt der Preisverleihungssaison bei den Oscars“. Von einem „Schock für die diesjährige Preisverleihungssaison“ sprach die „New York Times“ nicht ohne zu erwähnen, dass „Im Westen nichts Neues“ damit in London bekanntere Titel wie das Freundschaftsdrama „The Banshees of Inisherin“ oder Baz Luhrmans Biopic „Elvis“ geschlagen habe. Auch die „New York Times“ erinnert daran, dass die Baftas seit Langem als Indikator für die Oscarverleihung gelten.

Gutes Omen: Der Stoff hat schon 1930 nach seiner ersten Verfilmung durch Lewis Milestone Oscars bekommen – für die „beste Produktion“ und die „beste Regie“. Vorstellbar, dass die in den letzten Jahren deutlich politischer gewordene Oscarverleihung im Hinblick auf den Ukraine-Überfall auch noch ein Zeichen setzen möchte. Noch ein außerfilmischer Vorteil für Bergers Film.

Es könnte also am 12. März an der Westküste durchaus etwas Neues zu vermelden geben.

Mehr aus Kultur

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken