Was hat Hitler in Ihrem Film verloren, Lars von Trier?

Der ewige Provokateur: Lars von Trier bei der Premiere seines neuen Films „The House That Jack Built“ in Cannes.

Der ewige Provokateur: Lars von Trier bei der Premiere seines neuen Films „The House That Jack Built“ in Cannes.

Herr von Trier, was genau ist nach der berüchtigten Pressekonferenz 2011 in Cannes passiert, in der Sie sich zu dem Satz „Ich bin ein Nazi“ hinreißen ließen?

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Sie meinen außer meiner Verbannung vom Festival? Als ich schon wieder in Dänemark war, wollte mich die französische Justiz vor einen Richter in Südfrankreich stellen. Die Strafandrohung lautete auf bis zu fünf Jahre Gefängnis, die hätte ich ausgerechnet in Marseille absitzen sollen. Das hätte mich umgebracht – und war gleichzeitig lächerlich. Da hätten sie mich genauso gut von einem Hochhaus werfen können.

Wie sind Sie mit den bedrohlichen Aussichten klargekommen?

Es war fürchterlich! Ich bin jemand, der sich leicht verängstigen lässt. Und dann wendet sich eine ganze Nation gegen dich! Ich gebe zu, ich habe mich bei der Pressekonferenz ungeschickt verhalten – und das in Frankreich, wo die Erinnerung an das Vichy-Regime und den Umgang mit der jüdischen Bevölkerung in der NS-Zeit immer noch wach ist. Irgendwann wurde ich dann freigesprochen.

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Hätten Sie im Nachhinein lieber geschwiegen?

Ich hätte jedenfalls vorsichtiger sein sollen. Andererseits lebe ich auch in meinen Filmen davon, gerade nicht vorsichtig zu sein. Es hätte sich für mich unehrlich angefühlt, zu vorsichtig zu sein. Ich habe damals nicht groß drüber nachgedacht. In der Pressekonferenz war ja auch noch alles in Ordnung, erst danach kam jemand zu mir und forderte mich auf: „Entschuldigen Sie sich!“

Und was haben Sie gesagt?

Dass ich mich nicht entschuldigen werde. Ich würde gern sagen, dass es mir leid tut, dass ich mich nicht klar ausgedrückt hätte. Das reichte aber nicht mehr. Plötzlich tauchte ich auf der Antisemitismus-Liste des Simon-Wiesenthal-Centers auf. Ich war die Nummer drei unter den schlimmsten Judenhassern dieser Welt, und diese Position blieb mir mehrere Jahre vergönnt.

Nun durften Sie in Cannes wieder einen Film zeigen und haben das Festival gleich wieder aufgemischt: Zuschauer sind aus Ihrem Thriller „The House That Jack Built“ rausgelaufen. Hatten Sie damit gerechnet?

Es sollen um die 100 Zuschauer gewesen sein, die das Kino vorzeitig verlassen haben. Beim nächsten Mal werden es hoffentlich 200 sein. Es ist nicht leicht, so eine Reaktion zu provozieren. Zu so einer Entscheidung muss sich der Zuschauer erst einmal durchringen. Erst muss er auf die Idee kommen, und dann muss er diese auch noch wirklich umsetzen.

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Wären Sie enttäuscht gewesen, wenn jetzt keiner gegangen wäre?

Ja. Ich glaube daran, dass Kino einen Gedankenprozess auslöst. Die einen bleiben, die anderen gehen vorzeitig.

Seit wann flüchten Leute aus Ihren Filmen?

Ich erinnere mich noch gut daran, als ich das erste Mal in Cannes war: Das war 1984 mit meinem surrealen Krimi „The Element of Crime“. Da gab es noch Klappsitze im Festivalpalais, und wenn jemand aufstand, machte es „Bumm“. Ich hörte immer wieder: „Bumm. Bumm. Bumm.“ Die Geräuschkulisse wuchs sich zu einer regelrechten Symphonie aus.

Der Skandal um Ihre vermeintliche Nazi-Sympathie liegt nun sieben Jahre zurück: Wieso mussten Sie in Ihrem neuen Film „The House That Jack Built“ unbedingt Szenen mit Adolf Hitler unterbringen?

Nun ja, ich bin ein Schelm: Ich werde keinen Film mehr ohne Hitler machen. Hitler wird da immer irgendwo sein. Ich bestehe auf dem Recht, Hitler in meinen Filmen unterzubringen.

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Legen Sie sich selbst Grenzen auf bei dem, was Sie zeigen?

Oh nein, und ich kann Ihnen versichern: Ich bin stur, wenn ich etwas zeigen will.

Vorsicht: Matt Dillon als Serienkiller im Thriller „The House That Jack Built“.

Vorsicht: Matt Dillon als Serienkiller im Thriller „The House That Jack Built“.

Ihr Film erzählt von einem Serienkiller, der sich als Künstler versteht: Handelt der Film irgendwie auch von Ihnen?

Meine Technik sah schon immer so aus, mich selbst in den Figuren wiederzufinden. Bis zu einem bestimmten Grad ist auch dieser Film eine Art Autobiografie. Jack glaubt allerdings, mit seinen Taten davonzukommen. Daran glaube ich in meinem Fall nicht.

Wer sind Ihre Opfer?

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Bis vor einigen Jahren war ich sicher, ich sei der beste Vater der Welt. Ich habe vier Kinder, und sie sind alle älter als 20. Irgendwann haben sie mich angeschrien, warum ich so viele Filme gedreht und so wenig Zeit mit ihnen verbracht hätte. Ich glaube, sie haben einen Preis für meine Arbeit als Filmemacher bezahlt. Ich kann meinen Kindern nur sagen, dass es mir leid tut.

Das heißt, Sie würden es anders machen, wenn Sie noch einmal die Chance dazu hätten?

Filme zu drehen gehört zu meinen Drogen, das Kino ist sogar meine Hauptdroge. Ich kann nur hoffen, dass meine Kinder sanfter urteilen, wenn sie mal 30 sind. In ihr Urteil spielten auch ein paar Scheidungen mit hinein, Scheidungen sind niemals gut für Kinder.

Hat Ihr Hauptdarsteller Matt Dillon Sie mal gefragt: Warum soll ich als Jack all diese Frauen, Männer, Kinder umbringen?

Hat er nicht. Allerdings hatte ich viele Darsteller für diese Rolle angefragt, und keiner wollte der Serienkiller sein. Für Matt war es okay, es war eine wunderbare Kooperation mit ihm. Er verfügt über Charisma.

Dann muss es doch noch viel komplizierter gewesen sein, Schauspielerinnen für die Opferrollen zu finden.

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Nein, nein, das war einfach. Ich musste ihnen bloß klarmachen, was sie erwartet. Zu Riley Keough habe ich gesagt: Ich werde bei den Dreharbeiten ein bisschen seltsam und auch ein bisschen betrunken sein.

Was hat sie geantwortet?

Dass sie damit klarkommen würde. Ich wusste damals gar nicht, dass sie die Enkelin von Elvis Presley ist.

Und: Waren Sie betrunken?

Ich hatte viele Ängste in jener Zeit. Ich erholte mich gerade von einer depressiven Phase, es ging mir nicht gut. Ich arbeite wirklich hart gegen meine Trinksucht an. Das heißt nicht, dass ich sie bezwungen habe, aber es heißt, dass der Alkoholkonsum zurückgeht.

Wovor haben Sie so viel Angst?

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Ich habe Angst vor Gewalt.

Ihre Filme strotzen vor Gewalt. Wollen Sie so Ihre Ängste loswerden?

Die Gewalt in den Bildern gibt es, weil es meiner Ansicht nach Betrug am Publikum wäre, sie auszublenden. Es wäre falsch, ein schreiendes Kind zu hören, die Schüsse zu hören, aber nicht den Tod des Kindes zu sehen. Die Zuschauer können weggucken, rauslaufen, was immer sie wollen. Aber es wäre meiner Ansicht nach feige, die Gewalt nicht zu zeigen.

Wie haben Sie den Kinderdarstellern erklärt, was mit ihnen passiert?

Die Mutter der Kinder war eine der Filmproduzentinnen. Sie hat sich die ganze Zeit um die Kinder gekümmert. Der Junge war auch voll okay bei seiner vermeintlichen Ermordung – bis die Schauspielerin, die im Film seine Mutter spielt, weinend zu ihm gelaufen kam. Warum eine für ihn Fremde um ihn weint, verstand er nicht. Die explizite Gewalt ist übrigens beim Drehen oft sehr technisch, wir haben viel mit Green Screen gearbeitet. Da steckt nichts Emotionales drin.

Lars von Trier (ganz rechts) mit seinen Hauptdarstellern Matt Dillon und Sofie Grabol beim Filmfestival in Cannes.

Lars von Trier (ganz rechts) mit seinen Hauptdarstellern Matt Dillon und Sofie Grabol beim Filmfestival in Cannes.

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Dann drehen Sie doch mal einen Film ohne Gewalt.

Ich habe gar nicht viele Filme mit Gewaltszenen gedreht. Und mit diesem hier musste ich sehr schnell rauskommen. Mit meiner Produktionsfirma Zentropa ging es finanziell bergab. Ich hatte nur zwei Monate Zeit, um das Drehbuch zu schreiben. Ich wollte eine einfache Geschichte. Mit diesen Serienkillern ist eine Faszination verbunden, die allerdings gar nicht so sehr mich ergriffen hat, sondern die Frauen, die ich gekannt habe.

Wie meinen Sie das denn?

Wenn ich einen Schrank bei diesen Frauen öffnete, lagen dort gleich zehn Bücher über Serienkiller. Aber ich will das jetzt gar nicht verallgemeinern. Vielleicht habe ich ja auch ganz spezielle Frauen kennengelernt.

Was halten Sie von der #MeToo-Debatte?

Die Bewegung ist eine brillante Idee. Wenn sie richtig genutzt wird, ist sie wichtig. Das Problem dabei ist bloß, dass wir nie wirklich darüber nachgedacht haben, wie sehr das Internet unser Leben beeinflussen würde. Wir hofften, dass unterdrückte Menschen überall in der Welt endlich eine Stimme bekommen würden. Aber die Regeln haben sich durch die sozialen Medien geändert: Früher warst du so lange unschuldig, bis ein Gericht dich für schuldig befunden hat. Heute bleibt immer etwas zurück – genauso lief das ja auch ab beim Antisemitismusverdacht gegen mich. Das Internet kann viel Unheil anrichten.

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Haben Sie noch ein Beispiel?

90 Prozent der Journalisten sind der Ansicht, dass ich Björk bei den Dreharbeiten zu „Dancer in the Dark“ belästigt habe. Das ist lächerlich, aber niemand wollte mir glauben. Die Geschichte, dass ich sie belästigt hätte, klingt nun mal besser. Ich habe Björk so angefasst wie alle anderen auch. Ich habe sie umarmt, weil sie hart gearbeitet und geweint hat und krank war. Aber gut, wenn sie schon eine Umarmung als Belästigung empfindet ... Ich könnte aber nicht Regie führen ohne körperliche Berührungen – damit sind jetzt aber ausdrücklich keine sexuellen Berührungen an den falschen Stellen gemeint.

Der Killer Jack in Ihrem Film sagt, er fühle sich schuldig, ein Mann zu sein. Haben Sie bei der Zeile an sich selbst gedacht?

Was ich jetzt sage, werde ich später garantiert bereuen: Wir müssen schon die biologischen Unterschiedlichkeit von Mann und Frau in Rechnung stellen. Ein Mann hat nun mal Testosteron im Blut. Klar ist aber auch, dass niemand das Recht hat, jemandem etwas anzutun, was diese Person nicht will. In Schweden versuchen sie gerade, die Schriftsprache neutral zu gestalten, um Diskriminierungen zu verhindern. Das hat etwas Hysterisches. Können wir vielleicht bis zu Ihrer Frage zurückspulen, und ich sage ganz einfach, ich hätte keinen Kommentar zu diesem Thema?

In Ihrem Thriller zeigen Sie Ausschnitte aus Ihren früheren Filmen: Warum?

Manche Zuschauer haben schon vermutet, dass dieser Film mein Testament sein soll. Die Erklärung dafür ist aber ganz einfach: Ich brauchte Ausschnitte aus Filmen, die ich wirklich schätze. Die Rechte etwa von Kubrick-Filmen wären jedoch unbezahlbar gewesen. Was soll der Blödsinn, habe ich mir da gesagt: Über meine eigenen Filme kann ich frei verfügen.

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Am Ende hören wir, wie die Hölle klingt. Kennen Sie dieses Geräusch gut?

Es war wirklich schwierig, diese Klangkulisse zu kreieren. Ich persönlich glaube aber weder an die Hölle noch an Gott.

Könnte Ihr Thriller womöglich doch Ihr Abschied vom Kinomachen sein?

Darüber habe ich letztlich nicht die Kontrolle: Ich hoffe zumindest, dass dies nicht mein letzter Film sein wird. Mit dem Film „The House That Jack Built“ zurück zum Filmfestival nach Cannes zu kommen, war für mich ein Vergnügen. Das Publikum bei der Premiere reagierte so freundlich, als ich durch den riesigen Kinosaal ging. Vor der Vorführung haben die Zuschauer minutenlang applaudiert. Je älter man wird, desto eher lässt man sich von so etwas berühren. Und ich war wirklich berührt.

Von Stefan Stosch

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