Die Deutschen und ihre Currywurst – eine Beziehungskrise
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Die Currywurst hat in Deutschland Kultstatus – nicht nur am Imbiss.
© Quelle: Rügenwalder Mühle
800 Millionen. So viele Currywürste essen die Deutschen jedes Jahr. Alleine in Berlin werden 70 Millionen Currywürste pro Jahr verkauft, also knapp 192.000 pro Tag. Nicht verwunderlich also, dass die Currywurst quasi deutsches Kulturgut ist und viele eine emotionale Bindung aufgebaut haben.
Doch nun könnte es der Currywurst ergehen wie einst dem Deutschen Currywurstmuseum in Berlin: Der Niedergang droht. Die Jüngeren nämlich, ergab eine YouGov-Umfrage für die Deutsche Presse-Agentur, wollen lieber Pizza, Döner und Pasta. Nur bei Menschen, die älter als 55 Jahre sind, steht die Currywurst noch hoch im Kurs, sie muss sich den ersten Platz aber ebenfalls mit der Pizza teilen.
Currywurst: Ein deutsches Gericht aus Indien, England und den USA
Dass ausgerechnet Deutschland zum Currywurstland wurde, ist ohnehin fragwürdig. So ist Wurst zwar klassisch deutsch, Curry allerdings nicht. Curry ist im Ursprung eine Bezeichnung für Gerichte in der indischen, japanischen und südostasiatischen Küche – die nichts mit dem hierzulande bekannten Currypulver zu tun hat. Das wurde nämlich während der Kolonialzeit von einem Briten erfunden, in Anlehnung an jene Currygerichte.
In der Nachkriegszeit fanden die fehlenden Zutaten für die Currywurst ihren Weg nach Deutschland: Die Briten brachten das Currypulver mit, die Amerikaner den Ketchup. Einer Legende nach soll die erste Currywurst am 4. September 1949 in Berlin serviert worden sein, als Herta Heuwer in ihrem Imbiss Ketchup und verschiedene Gewürze, darunter Curry, mischte und als Soße zur klein geschnittenen Brühwurst auftischte. Sie nannte ihre Soße Chillup – und ließ sie sich patentieren.
Currywurst mit Brot oder Pommes, mit Darm oder ohne Darm
Dann kam ein gewisser Max Brückner ins Spiel, ein Schlachter aus dem Erzgebirge. Er erfand die Wurst ohne Darm – Darmhaut, die traditionell als Wurstpelle genutzt wird, war damals teuer und rar. Seine Überlegung: Wenn die Soße den Geschmack der Wurst übertrumpft, kann die Wurst ohne Darm an den Mann und die Frau gebracht werden. Er tat sich mit Heuwer zusammen und die beiden verfeinerten die Soße – und so war die Currywurst, die in Berlin noch immer traditionell ohne Darm serviert wird, geboren.
Seither gilt die Currywurst als Klassiker der deutschen Küche. Sie wird im Restaurant serviert und in Imbissbuden, es gibt sie auf Weihnachtsmärkten und in Kantinen zu kaufen. Sie wird mit Brot oder Pommes verspeist, ohne und mit Darm, auf Basis einer Brüh- oder Bratwurst. Inzwischen gibt es nicht mehr nur die schnelle und günstige Currywurst auf die Hand am Imbiss um die Ecke, sondern auch Feinschmeckerwürstchen in schicken Lokalen und Nobelbistros, die sich gar auf verschiedene Schärfen bei den Soßen zur Currywurst spezialisiert haben, etwa Scharfrichter in Bremen, Best Worscht in Frankfurt oder Die Currywurst in Wanne-Eickel.
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Auch Spitzenköche wie Tim Mälzer (links, mit HSV-Vorstandsmitglied Joachim Hilke) haben eigene Currywurstkreationen.
© Quelle: picture alliance / dpa
Hamburg, Berlin, Ruhrpott, Wolfsburg – wo ist die Currywursthauptstadt?
Auch ins Ausland haben die Deutschen ihre Currywurst mitgenommen, nach Japan und China, in die USA und nach Australien. Nach Mallorca und Spanien natürlich sowieso. Doch andernorts setzte sich das deutsche Kulturgut weniger durch als Bier oder Autos: Currywurst wird in Deutschland zwar auch von Touristinnen und Touristen gegessen, im Ausland jedoch vorwiegend von deutschen Auswanderinnen und Auswanderern. Der große Hype um die Currywurst fand zentriert in Deutschland statt.
Doch auch hierzulande gibt es Currywursthotspots. Das Ruhrgebiet behauptet ebenso wie Köln, Wolfsburg, Hamburg und Berlin, Currywursthauptstadt zu sein. In Berlin nahm der Currywurstkult gar bizarre Züge an, etwa, als die Debatte entfachte (und jahrelang geführt wurde), wo es denn nun die beste Currywurst der Stadt gebe. Auf der einen Seite der Konnopkes Imbiss, wenig attraktiv unter der Hochbahn an der Schönhauser Allee gelegen, aber dennoch Kult. Auf der anderen Seite der hippere Curry 36, der 50 Jahre später entstanden ist und Berlin sowie die Touristen und Touristinnen in der Hauptstadt doch schnell erobert hat.
„Die Currywurst ist mehr als ein Gericht, sie ist ein Symbol“
Für die Deutschen war die Currywurst lange heilig. Herbert Grönemeyer hat der Currywurst ein Lied gewidmet: „Kommste vonne Schicht, wat schönret gibt et nich, als wie Currywurst.“ Das Goethe-Institut spricht auf seiner Website von der „Ikone deutscher Kulinarik“ und Ex-Kanzler Gerhard Schröder bezeichnete die Wurst nicht nur als „Kraftriegel“, sondern speiste auch Currywurst aus der Papierschale, wenn er sich besonders volksnah geben wollte.
Ernährungspsychologe Christoph Klotter sagte der „Bild“ erst im vergangenen Jahr: „Die Currywurst ist mehr als ein Gericht, sie ist ein Symbol. Wie Omas Käsekuchen schafft sie persönliche Identität.“ Wer Currywurst esse, schwelge in Erinnerungen und erlebe ein gutes Gefühl.
Die Deutschen essen mehr Tiefkühlpizzen als Currywürste
Doch das Gefühl scheint nachzulassen. 28 Mal in Folge wurde die Currywurst zum beliebtesten Kantinenessen in Deutschland gewählt. Im vergangenen Jahr wurde sie allerdings entthront – von der Spaghetti Bolognese, die auch 2020 vorne lag. Ein schlechtes Omen?
In vielen Bereichen muss sich die Currywurst inzwischen geschlagen geben. Nicht nur, dass Jüngere Pizza bevorzugen, es wird in Deutschland auch deutlich mehr Pizza gegessen. Alleine 13 Tiefkühlpizzen vertilgt der und die Durchschnittsdeutsche im Jahr – dem stehen zehn Currywürste gegenüber. Selbst Volkswagen, das jährlich mehr Currywürste aus der werkseigenen Fleischerei als Autos verkauft, wandte sich ab. Im Sommer 2021 kündigte der Autohersteller an, die Currywurst aus einer Kantine zu verbannen, weil dort nur noch Veganes und Vegetarisches sowie ab und an Fisch serviert werden solle. Altkanzler Schröder zeigte sich entsetzt und rief den Hashtag #RettetdieCurrywurst ins Leben.
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Altkanzler Gerhard Schröder gehört zu den bekanntesten Liebhabern der Currywurst.
© Quelle: picture alliance / photothek
Trend zu ausgewogener und vegetarischer Ernährung: das Ende der Currywurst?
Der Umgang von VW steht wahrscheinlich sinnbildlich für die Currywurstlage im Land. Die Menschen wollen eigentlich bewusster essen. Zum einen achten viele auf ihre Ernährung – und eine Currywurst, womöglich noch mit Pommes rot-weiß, macht rund die Hälfte des täglichen Kalorienbedarfs eines Erwachsenen aus. Statt nur Wurst und Pommes sollen heute auch Salat und Gemüse auf den Teller, um ausgewogen zu leben.
Zudem verzichten die Deutschen zunehmend auf Fleisch und tierische Produkte. 12 Prozent der Deutschen leben komplett vegan oder vegetarisch, der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch nimmt rasant ab. Bereits 2021 lag der Fleischverzehr auf einem Rekordtief (seit Berechnung 1989) und im ersten Halbjahr 2022 stellte die Fleischereiindustrie rund 10 Prozent weniger Fleisch her als im ersten Halbjahr 2021. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Pizza und Pasta der Currywurst den Rang ablaufen.
Die Deutschen und die Currywurst: Es gibt noch Hoffnung
Gleichzeitig ist die Currywurst, ebenso wie etwa Schnitzel und Haxe, auch ein emotionales Thema. Die Currywurst hat eine Art Kultstatus, jede und jeder Deutsche kennt sie, nahezu jede und jeder hat sie schon einmal probiert. Es ist quasi nicht möglich, keine Meinung dazu zu haben. Wenn diese nun also zunehmend verschwindet, nicht, weil man sie selbst nicht mehr so häufig kauft, sondern weil es das Angebot nicht mehr gibt, reagieren viele mit Entsetzen. Ein nationales Kulturgut darf schließlich nicht einfach verschwinden.
So oder so, alle Hoffnung ist noch nicht verloren. Nicht in Wolfsburg bei VW (wo andere Kantinen nach wie vor Currywurst auftischen) und auch sonst nicht: In Neuwied werden im Januar wieder Tausende Gäste beim dreitägigen Currywurstfestival erwartet. Und neue Trends sind ja manchmal auch da, um ein Produkt weiterzuentwickeln. Bei Curry 36 in Berlin wird die vegane Currywurst inzwischen häufiger bestellt als die normale Biocurrywurst.