Kunst, Literatur und Mode

„Goldene Zwanziger“: Was heutige Frauen von ihren Vorfahrinnen lernen können

Moderne Frauen der Zwanziger (v. l.): Louise Brooks, ein Fotomodell, Vicki Baum und Coco Chanel.

Moderne Frauen der Zwanziger (v. l.): Louise Brooks, ein Fotomodell, Vicki Baum und Coco Chanel.

Leichter sollte sich das Leben anfühlen, Frauen wollten unbeschwerter und freier sein. Und so war es kein Wunder, dass so viele junge Frauen vor rund 100 Jahren im wahrsten Sinne des Wortes die alten Zöpfe loswerden wollten. Sie wollten aussehen wie Louise Brooks. Von Mitte der Zwanzigerjahre an spielte die US-Amerikanerin in mehreren Stummfilmen immer eine ähnliche Rolle: Sie verkörperte den Typus der modernen, lebenslustigen, jungen Frau. Dass Brooks damals zum Vorbild für Millionen wurde und noch heute als Stilikone gilt, ist vor allem ihrem Haarschnitt zu verdanken: dem Bob.

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Kurze Haare, kesses Benehmen: Das passte in eine Zeit, in der junge Frauen selbstsicher auftraten – und ihnen das überhaupt möglich war. Das Ende des Ersten Weltkriegs 1918 war besonders in Europa mit einem Modernisierungsschub einhergegangen. In vielen Ländern, so auch in Deutschland, hatten sich Frauen das Wahlrecht erkämpft. Und jetzt war der Zeitpunkt, überholte Konventionen über Bord zu werfen.

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Gab es schon vorher gelegentlich Unternehmerinnen, trauten sich jetzt mehr Frauen in diese Position und demonstrierten Selbstbewusstsein. An internationalen Vorbildern für diesen Typus der „neuen Frau“ fehlte es nicht. Da war Helena Rubinstein, die in den USA ihr Kosmetikimperium etablierte. Da war vor allem Modedesignerin Coco Chanel, die 1926 ihr kleines Schwarzes präsentierte. Und da war ihre ewige Konkurrentin Elsa Schiaparelli, die 1928 ihre erste Boutique eröffnete.

Frauen in deutschen Großstädten

In deutschen Großstädten, vor allem in Berlin, sorgten Frauen im Kultur- und Unterhaltungssektor für Furore, wie es wenige Jahre zuvor wohl kaum vorstellbar gewesen war. Tänzerinnen wie Anita Berber, Malerinnen wie Jeanne Mammen und Sängerinnen wie Claire Waldoff, die zum Teil offen lesbisch lebten und mit Geschlechteridentitäten spielten, waren ebenso skandalumwittert wie en vogue. Und eine große Zahl an Frauen meldete sich literarisch zu Wort. Vicki Baum, berühmt für ihren 1929 veröffentlichten Roman „Menschen im Hotel“, wurde ein Jahr zuvor mit „Stud. chem. Helene Willfüer“ bekannt: Darin erzählt sie von einer Studentin – und alleinerziehenden Mutter. Ruth Landshoff-York, Lili Grün, Charlotte Wolff, Gabriele Tergit und andere veröffentlichten in Zeitungen und Zeitschriften und/oder schrieben Bücher. „Es war die Hochzeit der Zeitungen, und es gab einen großen Bedarf an neuen Stimmen“, sagt Verlegerin Britta Jürgs. Das habe vielen begabten Frauen neue berufliche Möglichkeiten eröffnet. In ihrem Aviva Verlag veröffentlicht Jürgs vor allem Texte von Autorinnen jener Zeit.

In den Romanen dieser Schriftstellerinnen gehe es meist um mehr oder weniger selbstständige Frauen, sagt Jürgs. „Ich liebe den Humor und die Selbstironie dieser Autorinnen und das Tempo ihrer Erzählung.“ Damit und mit dem realistischen Blick auf die Zustände gelten sie als wichtige Protagonistinnen der Neuen Sachlichkeit.

Alltag war nicht glamourös

Die Welt war alles andere als heil. Und der Alltag der Büroangestellten, der „Fräuleins vom Amt“ oder Verkäuferinnen war zwar „modern“, aber nicht glamourös. Goldene Zwanziger? „Diesen Begriff kann man höchstens in Anführungszeichen verwenden“, sagt die Verlegerin. Die Gehälter waren oft miserabel, die Wohnungsnot war groß. Trotz oft prekärer Lebensumstände eroberten sich Frauen Räume, die vorher den meisten von ihnen verschlossen geblieben waren.

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Diese Aufbruchsstimmung, Vergnügungswut und sicherlich auch die (sexuelle) Freizügigkeit, die zumindest in Großstädten möglich war, trägt wohl dazu bei, dass viele sich heute so für die Zeit der Weimarer Republik interessieren. Das zeigt auch der immense Erfolg der Fernsehserie „Babylon Berlin“ und des Buches „Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929–1939″ von Florian Illies.

Was wir heute von den 1920ern lernen können

Können Frauen 2022 etwas von denen der 1920er-Jahre lernen? Was zeichnete die Frauen damals aus? Jürgs meint: zum Beispiel Wagemut und Selbstbewusstsein. „Die Frauen haben auch in schwierigen Zeiten versucht, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie haben Neugier und Risikobereitschaft gezeigt.“ Sie haben sich eben nicht nur eine modische Frisur verpassen lassen, sondern ihren eigenen Kopf bewiesen.

Aber sie konnten nichts ausrichten gegen den kulturellen Rollback unter den Nationalsozialisten, und viele der Autorinnen gerieten weitgehend in Vergessenheit. Irmgard Keuns 1932 veröffentlichter Roman „Das kunstseidene Mädchen“ wurde zum Sensationserfolg. Wenige Jahre später ging die Autorin ins Exil – wie viele weitere Schriftstellerinnen, vor allem die aus jüdischen Familien. Keun wurde erst Ende der Siebzigerjahre wiederentdeckt, ihre Bücher erschienen seitdem in zahlreichen Neuausgaben. Auch Bücher anderer Autorinnen wurden neu veröffentlicht – und überraschen heutige Leser und Leserinnen durch einen modernen Plot und Stil.

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Mancher Berühmtheit der Zwanziger gelang später eine neue Karriere. In ihrem ersten Leben war Lee Miller Muse und Geliebte von Man Ray, der aufsehenerregende Bilder mit ihr gestaltete. In ihrem zweiten Leben machte die Amerikanerin zahlreiche Fotoreportagen für die „Vogue“ und zog als Kriegsfotografin Ende des Zweiten Weltkriegs mit der US-Army durch Europa. Vom Model zur renommierten Fotografin: Man kann verstehen, dass diese Geschichte demnächst verfilmt werden soll, in der Hauptrolle: Kate Winslet.

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