Kolumne „Auf der Couch“

Ungewollte Hilfe für Behinderte: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht

Grenzen setzen: Gegenüber Behinderten verhalten sich einige Menschen übergriffig, sagt die kleinwüchsige Autorin Ninia LaGrande. (Symbolfoto)

Grenzen setzen: Gegenüber Behinderten verhalten sich einige Menschen übergriffig, sagt die kleinwüchsige Autorin Ninia LaGrande. (Symbolfoto)

Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einem Konzert einer Ihrer Lieblingsbands. Auf der Bühne spielen sie Ihren Lieblingssong. Selig schwofen Sie hin und her und nehmen noch einen Schluck aus dem Bierbecher. Und dann das: Jemand hat Ihnen im Vorbeigehen freundlich auf den Kopf getätschelt. Einfach so, Sie kennen den Mann nicht. Er lächelt Ihnen aufmunternd zu und sagt: „Toll, dass du trotzdem hier bist!“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Trotzdem? Ist das ein Grund meinen Kopf zu tätscheln? Trotzdem bedeutet in meinem Fall: trotz meiner Körpergröße. Ich bin kleinwüchsig. 1,38 Meter lang, um genau zu sein. Das ist Anlass genug für viele, persönliche Grenzen fallen zu lassen und mir den Kopf zu tätscheln, mich zu streicheln, den Arm auf meinem Kopf abzulegen, mich hochzuheben oder meine Hand zu nehmen. Oder mich eben dafür zu loben, die Wohnung zu verlassen.

Wenn ich davon erzähle, können viele nicht glauben, dass das wirklich passiert – bis sie live dabei sind. Oder von anderen behinderten Menschen erzählt bekommen, wie mit ihnen umgegangen wird, wenn sie sich nur durch den Alltag bewegen wollen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Übergriffig gegenüber Behinderten

So wie beispielsweise meine Freundin Laura, die einen Rollstuhl nutzt und regelmäßig an Ampeln spontan losgeschoben wird, sobald die Ampel auf Grün springt. Oder Stefan, der blind ist, und bei dem sich gerne mal fremde Menschen unterhaken, um ihn irgendwohin zu bringen, wo er im Zweifel gar nicht hin wollte. Oder Nele, die mit dem Downsyndrom lebt und schon öfter mitleidig von ihr Unbekannten gestreichelt wurde.

Tabuthema Sexualität mit Beeinträchtigung: Lust und Vielfalt sind keine Grenzen gesetzt

Chris Kiermeier zeigt auf ihrem Blog „Sexabled“, wie erfüllt das Sexleben sein kann – auch mit einer körperlichen Einschränkung. Unter dem Motto „Lust für alle“ ermutigt sie andere, offen mit dem Tabuthema umzugehen.

Sicher meinen diese Menschen, die Behinderten zu nahe kommen, das in jedem Fall nicht böse. Im Gegenteil: Oft glauben sie mit ihrem Verhalten helfen zu können oder ihr Mitgefühl zum Ausdruck bringen zu müssen. Aber die Frage ist an dieser Stelle nicht, wie solche Übergriffigkeiten gemeint sind, sondern wie sie empfunden werden – nämlich als genau das: als übergriffig.

Wie sich Betroffene elegant wehren können

Nach 39 Jahren als kleinwüchsige Frau können sich diese Menschen bei einer Sache sehr sicher sein: Ich frage nach Hilfe, wenn ich sie benötige. Und ich brauche sie in einer Welt, die nicht auf Individualität ausgerichtet ist, wirklich oft genug. Wie reagiert man aber auf unerwünschte Hilfsaktionen: In meinem Fall kommt das ganz auf die Tageslaune an. Zu oft reagiere ich gar nicht, weil ich wenig Kraft habe, mich ständig erklären zu müssen und andere Leute zu mehr Respekt zu erziehen. Und weil mich die Angst lähmt. Denn wenn Menschen in ihrem Verhalten korrigiert werden, reagieren sie nicht selten mit Unfreundlichkeit, Aggression oder gar Gewalt. Und auf eine gebrochene Nase habe ich noch weniger Lust als aufs Kopftätscheln.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Folgende Frage ist aus meiner Sicht die beste Strategie: „Warum machen Sie das?“ (Schön beim „Sie“ bleiben, das schafft Distanz!) Und wenn Leute dann erklären müssen, weshalb sie so einen Blödsinn machen, fällt ihnen meist schon dabei auf, wie unüberlegt ihr Verhalten war. Sollte das nicht der Fall sein, dann ist ihnen vielleicht wirklich nicht mehr zu helfen. Oder wie meine Freundin Laura geantwortet hat, als sie dafür gelobt wurde, mit dem Rollstuhl im Club zu sein: „Toll, dass du auch trotzdem hier bist!“ Und dieses Trotzdem bleibt dann Interpretationssache.

Ninia LaGrande ist Autorin, Moderatorin und Schauspielerin. Sie sitzt im Gleichstellungsbeirat der deutschen G7-Präsidentschaft.

In der Kolumne „Auf der Couch“ schreiben wechselnde Experten zu den Themen Partnerschaft, Achtsamkeit, Karriere und Gesundheit.

Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken