Aktion am Hauptbahnhof in Kiel

#ichbinarmutsbetroffen: „Wir wollen sichtbar werden“

Armutsbetroffene und Unterstützer der Twitterkampagne machen auf die Situation von Menschen, die unter Armut leiden, aufmerksam.

Armutsbetroffene und Unterstützer der Twitterkampagne machen auf die Situation von Menschen, die unter Armut leiden, aufmerksam.

Kiel. Rund 20 Menschen haben sich am Sonnabend auf dem Kieler Bahnhofsvorplatz versammelt. In ihren Händen halten sie ein großes Banner mit dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen und Plakate mit Zitaten vom Kurznachrichtendienst Twitter. „Ich will genug Geld zum Leben. Punkt. Macht die Tafeln überflüssig“, steht da zum Beispiel.

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In dem sozialen Netzwerk teilen Menschen seit Wochen ihre Erfahrungen über ein Leben am Existenzminimum. Sie erzählen vom Gefühl, wenn Mitte des Monats das Geld für den Lebensmitteleinkauf zur Neige geht oder wie es ist, bei über 30 Grad im Park zu sitzen und sich kein Eis leisten zu können, weil das über die Hälfte des täglichen Essensbudgets sprengt. Nun gehen sie auf die Straße und wollen nicht nur im Netz, sondern auch im Stadtbild sichtbar werden.

Betroffene wollen für mehr Gerechtigkeit eintreten

„Wir wollen Öffentlichkeit herstellen und darauf hinweisen, dass Armut vielfältig ist“, sagt Organisatorin Beate Behrens. Die 67-Jährige aus dem Kreis Segeberg ist Rentnerin und schwerbehindert. „Ich bekomme Grundsicherung und bin damit armutsbetroffen.“

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Ein Mann erzählt, dass er Bekannten in der Tafel von der Aktion erzählt habe, sie sich aber nicht getraut hätten mitzukommen. "Die Scham ist bei vielen groß." Das gehe vielen Betroffenen so, sie zögen sich aus dem öffentlichen Leben zurück, sagt Behrens. "Wir wollen das ändern, wir wollen uns gegenseitig ermutigen und für mehr Gerechtigkeit eintreten. Wir wollen sichtbar werden."

In sechs weiteren Städten fanden am Sonnabend ähnliche Aktionen statt. In Kiel gab es die Kundgebung zum ersten Mal, Behrens würde sie gerne in regelmäßigen Abständen wiederholen. Zum Start sind auch Unterstützer wie Lorenz Gösta Beutin (Linke) oder Vertreter des Kieler Vereins „Groschendreher“ vertreten.

Steigende Lebensmittelpreise verschärfen die Situation

In der jetzigen Zeit, in der die Inflation die Preise für Lebensmittel in die Höhe treibe, sei es umso wichtiger auf die Situation von Armutsbetroffenen aufmerksam zu machen, sagt Behrens. Die Politik müsse etwas ändern. „Es gibt Menschen, die hungern schon ab dem 15. eines Monats, weil ihnen das Geld einfach nicht reicht.“ Sie selbst habe gerade von einem Unterstützer der Aktion einen Jutebeutel mit Lebensmitteln bekommen.

Eine Seniorin rechnet vor, dass Empfängerinnen und Empfänger der Grundsicherung rund fünf Euro pro Tag für Lebensmittel, Getränke und Tabak zur Verfügung haben – viel zu wenig. Dieter Schmeißer aus Rendsburg (66) bereitet insbesondere Altersarmut Sorge. Er war auch schon auf einer Kundgebung in Hamburg dabei. „Da war gegenüber eine Essensausgabe und die meisten Leute, die dahin gegangen sind, waren Rentner. Das kann doch nicht sein.“ Die Politik mache nichts dagegen.

Die Aktivisten fordern unter anderem eine Anhebung der Regelsätze auf ein armutsfestes Niveau, die Einführung einer Kindergrundsicherung, eine krisenfeste Absicherung für Alters- und Erwerbsminderungsrentner und die Abschaffung menschenunwürdiger Sanktionen.

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Dass die Twitterkampagne großen Zulauf bekomme, wundere sie nicht, sagt Behrens: „Ich habe gewusst, dass es brodelt und viele Leute nicht mehr können. Aber es hat sich keiner getraut, etwas zu sagen.“ Nachdem einige Mutige vorangegangen seien, werde die Bewegung immer größer.

KN

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