Wirbel um Auftritt des umstrittenen Historikers Ganser in Kiel
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Mit Vorträgen zum Ukraine-Krieg tourt Daniele Ganser – hier bei einem Vortrag auf den Jazztagen Dresden – im März durch Deutschland. Gegen seine Auftritte regen sich Proteste.
© Quelle: IMAGO/Andreas Weihs
Kiel. Mit seiner Vortragsreihe „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ tourt der umstrittene Historiker Daniele Ganser im Frühjahr durch ganz Deutschland. Am 8. März 2023 ist er auch in der Wunderino-Arena in Kiel zu Gast. Auf Twitter warnen Wissenschaftler vor seinen Auftritten: Ganser mache Falschaussagen und verharmlose den Holocaust.
In Dortmund, wo Ganser am 27. März gastieren sollte, protestierte ein breites politisches Bündnis dagegen. Dortmunder Medien berichteten am Freitagabend (3. Februar), dass der Auftritt schließlich von Seiten der Westfalenhallen abgesagt wurde. Die Berichte bestätigte ein Sprecher der Westfalenhallen.
Ganser bezeichnet sich selbst als Friedensforscher und schrieb vier Sachbücher zu zeitgeschichtlichen Themen. 2001 hat der Schweizer an der Universität Basel zu dem Thema „Nato-Geheimarmeen“ promoviert. Medienberichten zufolge wurde dem 50-Jährigen dort später eine Habilitation verwehrt.
Kieler Professorin: Gansers Thesen sind wissenschaftlich nicht haltbar
„Das sind keine seriösen Bücher und Auftritte. Sie sind voll mit oft längst widerlegten Verschwörungstheorien, Geraune und Desinformationen, die wissenschaftlichen Erkenntnissen entgegenstehen“, sagt Martina Winkler, Professorin für die Geschichte Osteuropas an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Als Beispiel nennt sie ein Narrativ zum Zwei-plus-Vier-Vertrag aus dem Jahr 1990, das Ganser in seinen Vorträgen nutzt. „Er behauptet, die Nato habe Russland damals versprochen, sich nicht weiter im Osten auszubreiten. Der ehemalige sowjetische Staatschef Michael Gorbatschow selbst hat solchen Aussagen mehrfach widersprochen. Laut der Forschung gab es solche Zusagen damals eindeutig nicht.“
In der Kritik steht Ganser zudem, weil er in dem Film „Pandamned“ die Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte mit der Judenverfolgung durch die Nazis in Verbindung bringt. Das gilt als Verharmlosung des Holocausts.
„Der Mann ist rhetorisch geschickt. Soweit ich weiß, äußert er sich nie explizit antisemitisch“, sagt Winkler. „Aber jüdische Gemeinden werfen ihm die Nutzung antisemitischer Codes wie ,neue Eliten’ vor, die zu Verschwörungstheorien wie dem ,Great Reset’ passen. Damit bereitet er bestimmte Denkmuster vor.“
So taucht der Schweizer auch in alternativen Medien wie dem Rubikon-Magazin oder KenFM auf, die sich wie er als Opfer des Mainstreams begreifen. Bei einem Auftritt in Österreich kokettierte Ganser etwa damit, dass er die Halle wechseln musste, weil er ausgeladen wurde. Rund 30 Euro nimmt er für ein Ticket.
Keine Absage: Wunderino-Arena Kiel ist an Vertrag gebunden
„Wir haben im Herbst 2022 einen Vertrag für eine Vortragsveranstaltung mit Dr. Ganser geschlossen, der für uns bindend ist“, sagt Stefan Wolf, Geschäftsführer der Wunderino-Arena, die jeweils zur Hälfte dem Verlag der Kieler Nachrichten und der Citti Handelsgesellschaft gehört.
Gebucht ist der kleine Saal, der Platz für bis zu 1600 Menschen bietet. „Wir haben damals geschaut, wo er sonst noch auf seiner Tour spielt – das waren viele größere Hallen in anderen deutschen Städten – und wo er in der Vergangenheit bereits aufgetreten ist. Er war zum Beispiel auch schon im Kieler Schloss.“
Kein Kartenverkauf mehr über KN-Ticketshop
Dass der Historiker hochumstritten ist, sei ihm nicht bewusst gewesen, so Wolf. „Das genaue Programm stand auch zum Buchungszeitpunkt noch nicht fest.“ Der Vermieter wisse auch bei Kabarettisten wie Dieter Nuhr vor Tourbeginn nicht, was auf der Bühne gesagt werde. „Aus heutiger Sicht hätte ich anders auf die Anfrage reagiert.“ Die Veranstaltung jetzt einfach absagen könne er nicht, weil er dann Vertragsbruch begehen würde und hohe Regressforderungen auf die Halle zukämen. „Gansers Auftritte sind ja nicht verboten.“
Die Halle wirbt jedoch online nicht mehr für den Vortrag, auch Kiel-Marketing hat ihn auf Hinweis des Beauftragten gegen Antisemitismus des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden aus dem Veranstaltungskalender genommen. Über den KN-Ticketshop können keine Ganser-Karten mehr bestellt werden.
Daniele Gansers Sprecher: „Üble Nachrede“
Gansers Sprecher Dirk Wächter sagt, es werde durch „üble Nachrede“ und „garstige Diffamierungen“ auf unfaire Weise gegen einen Friedensforscher Stimmung gemacht. „Seine Veranstaltungen sind immer recht schnell ausverkauft. Das Publikum ist begeistert, da seine Analysen der Themen oft viel tiefer gehen als das, was für gewöhnlich in den Leitmedien zu finden ist.“ Weil Ganser kritisch nachfrage, trete er gewiss manchem auf die Füße. In seinen Vorträgen betone er, dass jeder Mensch zur Menschheitsfamilie dazugehöre.
Es gehe nicht darum, seine Auftritte zu verbieten, betont Winkler. „Dass allerdings seine Falschaussagen durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind, heißt nicht, dass sie einfach hingenommen werden müssen.“ Es sei wichtig, Menschen darüber aufzuklären, damit sie vor einem Vortrag wissen, worauf sie sich einlassen. Winkler sieht zudem Veranstalter in der Verantwortung, besser zu prüfen, wen sie sich in ihre Halle einladen.