Türkische Gemeinschaft in Kiel zeigt sich nach Erdbeben tief getroffen
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Hilfe leisten vor allem in seelischer Not: Auch Klaus Onnasch vom Verein Brückenbauen spricht bei der interreligiösen Gedenkfeier in der Großen Moschee der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Kiel.
© Quelle: Thomas Eisenkrätzer
Kiel. Bekir Yalim kann keine genauen Zahlen nennen. Dafür ist das Unfassbare noch zu frisch. Doch vom Hörensagen und aus Gesprächen in der Teestube weiß das Vorstandsmitglied der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Kiel von rund 100 Familien in der Region, die familiäre Verbindungen in das türkisch-syrische Erdbebengebiet haben: „Ein erheblicher Teil davon hat Angehörige oder gute Freunde verloren.“
Verbundenheit zeigen, gemeinsam Kraft schöpfen im Gebet: Dazu sollte am Sonnabendnachmittag Gelegenheit sein in der Großen Moschee in der Elisabethstraße. Eingeladen hatte eine breite Initiative: die Türkisch Islamische Gemeinde, der Interreligiöse Arbeitskreis, der Arbeitskreis Brückenbauen, die Deutsch-Türkische Gesellschaft, der Kirchenkreis Altholstein und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen.
Erdbeben in Syrien und der Türkei: Gedenken in Großer Moschee Kiel
„Wir erleben eine sehr schwere Situation“, sagt Klaus Onnasch, langjähriger Pastor und engagierter Kämpfer für Verbundenheit zwischen den Religionen: „Das wird ein langer Prozess der Trauerbegleitung“. Gemeinsam mit Imam Ibrahim Deniz und Vertreterinnen und Vertretern der anderen Organisationen bespricht Onnasch in der Teestube der Moschee den Ablauf der interreligiösen Andacht: gemeinsames Erinnern an die Anfänge der Partnerschaft zwischen Kiel und der südtürkischen Region Hatay, ein muslimisches Gebet, ein evangelisches, ein katholisches und zwei interreligiöse Beiträge. Und dann natürlich: ein Ausblick.
Wie kann es weitergehen? „Natürlich muss es eine lange Zeit materielle Hilfe geben“, sagt Bekir Yalim: „Unsere Aufgabe wird es aber vor allem sein, beim Heilen der seelischen Wunden zu helfen.“ Kleiderspenden werden nicht mehr benötigt, aber vieles andere muss ins Erdbebengebiet kommen: Generatoren, Zelte, Decken, Medikamente, Hygieneartikel. Wer helfen möchte, kann das am effektivsten mit Geld tun. Weit mehr als eine Viertelmillion Euro sind inzwischen auf dem Konto des Vereins „KN hilft“ angekommen, der gemeinsam mit der Stadt Kiel um Spenden bittet, um die größte Not zu lindern. „Wir sind für diese Unterstützung unendlich dankbar“, sagt Yalim.
Großen Moschee in Gaarden: Der große blaue Teppich bietet viel Platz zum Beten
Als die Andacht beginnt, ist die helle Moschee überschaubar gefüllt. Knapp 40 Menschen sind gekommen, der große blaue Teppich mit seinem nach Mekka ausgerichteten Muster bietet viel Platz. Platz, der nicht nur zum Beten einlädt. Ein Teenager trainiert Liegestütze. Niemand stört sich daran: Entspannte Realität, die dem Gedenken die Würde nicht nehmen kann.
Es ist bewegend, als eine E-Mail aus Antakya – der zentralen Stadt in der Region Hatay – vorgetragen wird. Adnan Tas, Architekt und Vorsitzender des Internationalen Kulturvereins der Region, hat sie an Onnasch und andere Mitglieder des Vereins Brückenbauen geschrieben. Der Brief ist voller Dank für die große Unterstützung aus Kiel, aber auch voller Traurigkeit: „Am meisten bedauern wir dies“, schreibt Tas: „Wir haben die Stadt Antakya verloren, das Weltkulturzentrum, in dem die Menschen in Brüderlichkeit, Toleranz und Frieden zusammenlebten, das einst die Heimat vieler Zivilisationen und das Zentrum verschiedener monotheistischer Religionen war.“ Und noch ein Zitat wird verlesen, eins, aus dem unerschütterliche Zuversicht spricht. Es stammt von Lütfü Savas, Oberbürgermeister von Hatay: „Wir werden aufbauen!“
Kiels Partnerregion Hatay ist vom Erdbeben schwer getroffen
Die Zerstörung im historischen Antakya ist mit Worten schwer zu beschreiben. Zahllose Gebäude sind nur noch Trümmerhaufen, aus denen wohl noch viele Opfer zu bergen sind. Eingestürzt ist auch die Moschee im Zentrum der Stadt. Die katholische Kirche gleich nebenan blieb größtenteils unversehrt, sodass hier obdachlos gewordene Menschen Schutz finden. Unklar ist noch immer das Schicksal der 2015 mit Kieler Hilfe aufgebauten Flüchtlingsschule direkt an der syrischen Grenze.
Nach der Andacht zeigt Sükriye Bilgili von der Deutsch-Türkischen Gesellschaft zwei Fotos auf ihrem Handy. Auf einem sieht man ein freundliches Wohnzimmer, ganz oben in einem vierstöckigen Haus in Antakya. Auf dem anderen ist ein Berg von Trümmern zu sehen. Es ist der gleiche Ort, kurz nach dem Beben. Hier starb ein verwandtes Ehepaar, das Sükriye Bilgili eigentlich im Mai besuchen wollte. Kinder und Enkel haben überlebt, sie waren zum Zeitpunkt des Bebens nicht im Haus: „Ich hatte mich so auf diese Reise gefreut und mir schon Gedanken über Geschenke gemacht.“
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Die Andacht in der Großen Moschee ist nur ein Mosaikstein des interreligiösen Gedenkens in Kiel. Spiegelbildlich wird es eine Andacht in der Nikolai-Kirche am Alten Markt geben, am Sonntag, 26. Februar, um 11.30 Uhr. Und für diesen Mittwoch lädt die Türkische Gemeinde Schleswig-Holstein zu einer Gedenkstunde ab 18.30 Uhr auf dem Rathausplatz.
KN