Faszination Wandern: „Im Wald geht es mir immer gut“
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Wandern ist keine Frage des Alters: Johannes Fell (11) ist genauso gerne in der Natur unterwegs wie Hans-Joachim Gätje (93).
© Quelle: Frank Peter
Kiel. „Na, was ist das für ein Baum?“, fragt Förster Anton Gondorf und zeigt im Tannenberger Tiergehege auf zwei Stämme, die unten an zwei Stellen zusammengewachsen sind, sodass sich ein Loch gebildet hat. „Eine Linde“, meint Hans-Joachim Gätje. „Fast, es sind Eschen“, klärt der Förster auf. Das Loch in der Mitte nenne sich „Feenauge“. Bei den Kelten seien solche Bäume ein Heiligtum gewesen. Die 24 Mitglieder der Kieler Wanderbewegung hören ihm aufmerksam zu. Ihr Verein feiert an diesem Sonnabend sein 50-jähriges Bestehen – und das wird natürlich mit mehreren Wanderungen gefeiert.
Gätje ist schon seit vielen Jahren dabei, wandert einmal pro Woche mit. „Ich mache nur noch Strecken von bis zu zwölf Kilometern, mehr ist ein bisschen viel“, sagt der 92-Jährige. „Es soll ja ein Genuss sein und kein Muss.“ Er sei als Naturliebhaber jeden Tag bis zu zwei Stunden an der frischen Luft. „Wenn man in den Wald geht, ist man ein ganz anderer Mensch. Im Wald geht es mir immer gut.“ Er mache gerne die Touren des Vereins mit, weil es dort immer nette Gesellschaft gebe.
Was ist der Unterschied zwischen Wandern und Spazieren?
Das findet auch der Jüngste in der heutigen Gruppe: „Ich wandere gerne, weil mich die Natur interessiert – insbesondere Vögel“, sagt der 11-jährige Johannes Fell. „Hier kann ich mich mit anderen Leuten treffen, die das auch gerne machen.“ Der Ahrensburger ist mit seinen Eltern und seinem großen Bruder mit von der Partie, seine Großmutter ist die Vorsitzende des Vereins. Seit er fünf Jahre alt sei, wandere er schon – meist mit seinen Eltern im Urlaub wie in Tirol oder zu Besuch bei seinen Großeltern. Seine anstrengendste Tour sei in Italien sieben Stunden bis auf 2300 Höhenmeter gewesen. „Wie gut ich durchhalte, hängt davon ab, ob ich genug Wasser dabei habe.“
Die Anzahl der zurückgelegten Kilometer sei aus ihrer Sicht der Unterschied zum Spaziergang, erklärt Annette Cichy, zweite Vorsitzende des Vereins. Außerdem sei das Tempo beim Wandern etwas sportlicher, im Schnitt laufen die Mitglieder fünf Kilometer pro Stunde. „Wandern verbraucht mehr Kalorien, als wenn ich in meinem Fitnessstudio turne.“ Schön sei dabei, gleichzeitig die eigene Umgebung zu entdecken.
Mitten im Wald hängt ein schwarzer Kasten, aus dem ein Kabel kommt, an einem Baum. „Was ist das wohl?“, will der Förster wissen. „Eine Kamera vielleicht“, rät eine Dame. „Das ist ein Fledermauskasten“, löst Gondorf auf. Hier seien Ersatzquartiere für Fledermäuse aufgehängt worden, während an der Levensauer Hochbrücke gebaut wird. Weil Wissenschaftler ihre Töne aufnehmen, brauchen die Kästen Stromversorgung.
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Der nächste Stopp ist beim Sikawild und ein paar Afrikanischen Ziegen. „Wo ist mein Futtermeister?“ Johannes kommt mit einem Jutebeutel nach vorne und darf den Tieren ein paar Äpfel und Maiskörner geben. Grundsätzlich ist das Füttern der Tiere verboten, mahnt der Förster, nur unter Aufsicht ist das erlaubt. „Die Leute haben hier sonst schon Pizza und Leberwurst über den Zaun geworfen.“ Das würden die Tiere nicht vertragen. Die Wildschweine ein paar Meter weiter sind gleich hinter zwei hohen Zäunen abgeschirmt, um sie vor der Afrikanischen Schweinepest zu schützen.
Als die Kieler Wanderbewegung 1972 gegründet wurde, hatte sie rund 70 Mitglieder. Heute sind es 240, darunter 15 Wanderführer und -führerinnen. „Was uns fehlt, ist der Nachwuchs“, sagt die Vereinsvorsitzende Susanne Fell. „Wir würden uns über mehr junge Leute freuen, die naturverbunden sind und sich zutrauen, auch Wanderungen zu führen.“ Der norddeutsche Wanderverband biete dafür jährlich eine Ausbildung an.
Zwei Touren pro Woche
Jede Woche bietet der Verein zwei Wanderungen in Kiel und Umgebung an: mittwochs etwas kürzere Strecken bis zu zwölf Kilometern Länge, sonnabends Touren von bis zu 25 Kilometern Länge. Zwischen Frühjahr und Herbst starten zusätzlich freitags Fahrradtouren. Auch mehrtägige Wanderreisen organisiert der Verein regelmäßig. Wer Mitglied werden möchte, zahlt einen Jahresbeitrag von 28 Euro. Für Paare und Familien kostet es 38 Euro.
Zu den Aufgaben des Vereins gehört auch die Betreuung von 120 Kilometern der Europäischen Fernwanderwege in der Region. „Das sind zum Beispiel der Fernwanderweg E1 vom Nordkap bis Sizilien oder E6 von Finnland bis in die Türkei, aber auch der Nord-Ostsee-Wanderweg zwischen Kiel und Meldorf“, sagt Jens-Olaf Beismann. Mit fünf anderen Wegewarten kümmert er sich darum, dass dort die Markierungen eindeutig bleiben und die Strecken gut begehbar bleiben. Auch hierfür werden Mitstreiter gesucht.
Weitere Informationen finden Sie unter www.wanderbewegung-kiel.de
Um neue Mitglieder anzulocken, hat sich die Kieler Wanderbewegung für das kommende Jahr einiges vorgenommen: Dazu gehören Waldbaden oder Geocaching und Schnitzeljagden, um Familien anzuziehen. Für sportlich Ambitionierte soll es eine 42 Kilometer lange Marathon-Wanderung und Speed-Wandern geben.
Durch das Tannenberger Tiergehege geht es allerdings heute im angenehmen Spazierschritt. Hans-Joachim Gätje gibt das Tempo vor. Der 93-Jährige ist mit seinem braunen Gehstock in der Hand flott unterwegs. Wer regelmäßig wandere, der werde auch 100 Jahre alt, so sein Tipp.
KN