Licht zeigen

Posner-Nachfahren mit Chanukka-Leuchter in Kiel: „Wir haben eine Mission, aber keine einfache“

Erstmals auf deutschem Boden: (v.l.) Nava Gilo mit ihrem Mann Motke und ihrem Bruder Yehuda Mansbach am Berliner Flughafen. Die Nachfahren der Familie Posner besuchen in diesen Tagen Kiel, die Heimat ihrer Großeltern.

Erstmals auf deutschem Boden: (v.l.) Nava Gilo mit ihrem Mann Motke und ihrem Bruder Yehuda Mansbach am Berliner Flughafen. Die Nachfahren der Familie Posner besuchen in diesen Tagen Kiel, die Heimat ihrer Großeltern.

Berlin/Kiel. Als Flug LY 2371 aus Tel Aviv in Berlin am Mittwochmorgen landet, fragen sich Yehuda Mansbach und seine Schwester Nava Gilo noch immer, ob diese Reise wirklich eine gute Idee war. Ob es richtig ist, dieses Land zu besuchen, das ihrer Familie so viel Leid zugefügt hat, zudem noch diese Stadt, aus der ihre Großeltern einst vor den Nazis flüchten mussten.

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Diese Reise, die sie so viel Überwindung gekostet hat, beginnt sieben Stunden vor der Landung im verschmähten Land. Um Viertel nach Zwei in der Nacht verlässt Yehuda Mansbach, 72, sein kleines Haus nahe Jerusalem. Seine Frau bleibt zurück. Nie wieder wolle sie einen Fuß nach Europa setzen, habe sie gesagt, nie wieder deutschen Boden betreten.

Ihre Großeltern starben in Auschwitz, ebenso drei Tanten und 19 Cousins – zu einer Zeit, als sie selbst noch nicht geboren war. Das Trauma des Holocaust aber blieb in der Familie. Sie habe ihm vor seiner Abreise trotzdem „viel Glück“ gewünscht, erzählt Mansbach. Ihre Stimme habe dabei unentschieden geklungen: ein wenig zuversichtlich, aber auch traurig.

Licht zeigen: Chanukka-Leuchter reist im Handgepäck mit nach Kiel

Diese Szene vom Abschied beschreibt der Mann mit dem weißen, zerzausten Bart auf der Rückbank eines Shuttle-Busses. Die Stadt Kiel hat einen Fahrer nach Berlin entsandt, um die Ehrengäste abzuholen. Das hat einen Grund: Der Großvater der beiden war Arthur Posner, Kiels letzter Rabbiner vor dem Holocaust. Seine Frau Rosi machte im Dezember 1931 ein Foto, das heute weltberühmt ist: Es zeigt den Chanukka-Leuchter der Familie Posner auf der Fensterbank ihrer Wohnung. Im Gebäude auf der anderen Straßenseite, dem Sitz der NSDAP-Kreisleitung, ist eine gehisste Nazi-Flagge zu sehen. Bekannt geworden ist dieses Foto Anfang des Jahres in Kiel und darüber hinaus auch durch die Aktion „Licht zeigen“, die von den Kieler Nachrichten mitinitiiert wurde.

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Eben diesen Leuchter hat Yehuda Mansbach am Sonntag in der Gedenkstätte Yad Vashem abgeholt. Dort steht er seit Jahren als Dauerleihgabe, als eines der wichtigsten Artefakte der Ausstellung, wie sie im Museum in Jerusalem betonen. Schon am Tag darauf verpackt Mansbach den achtarmigen Messing-Leuchter in einen rot-schwarz-karierten Trolley. Zwei Tage später verlässt dieses symbolträchtige Stück Zeitgeschichte in einem Passagierflieger Israel, „natürlich im Handgepäck“, sagt Nava Gilo – sicher ist sicher. Es ist erst das zweite Mal überhaupt, dass die Chanukkia nach der Flucht ihrer Großeltern im Juni ´33 das Land im Nahen Osten verlässt.

Einige Freunde und Teile der Familie kritisierten die Reise nach Kiel

Und dann ausgerechnet nach Deutschland. Mansbach will die Abschiedsszene mit seiner Frau nicht so stehenlassen, ergänzt fast rechtfertigend: „Ich bin nicht hier, um zu genießen, sondern um zu arbeiten.“ Er möchte mit vielen Menschen sprechen, ihnen von seiner Familiengeschichte erzählen, mit ihnen Gedanken austauschen. Und seine Schwester, 68, ergänzt: „Wir sind auf einer Mission, aber keiner einfachen.“

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Nicht wenige Freunde und Familienmitglieder hätten überrascht reagiert, dass sie diese Reise unternehmen, einige kritisierten die Geschwister sogar dafür, die meisten aber bestärkten sie: „Fast alle sagten: ‚Ihr seid Botschafter – und wir stehen hinter euch.‘ Wir sind noch immer verletzt, aber vielleicht wachsen wir durch diese Reise“, sagt Nava Gilo und fügt hinzu: „Wir wollen erfahren, ob Deutschland heute ein Freund von Israel ist – wir wissen es aktuell nicht.“ Zu oft hörten die orthodoxen Juden von Antisemitismus aus Deutschland.

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Kiel ist für die Nachfahren der Familie Posner ein unwirklicher Ort

Begleitet wird Nava Gilo von ihrem Mann Motke. Auch sein Vater, seine Mutter, sein Großvater und seine Tante waren in Auschwitz, „von der Seite meiner Mutter wurden alle ermordet“, sagt er. Trotzdem ist er hier. Weil Kiel eben nicht nur Schmerz und Trauer für die Nachfahren der Posners bedeutet, sondern auch eine tief verwurzelte Nähe.

Kiel, das ist für sie ein unwirklicher Ort, entsprungen aus einer Erzählung der Großeltern und ihrer Mutter. Ein Ort allerdings, der so nicht mehr existiert, das Haus der Großeltern im Sophienblatt 60, die Synagoge, alles im Krieg zerstört. Wo allerdings derzeit eine Ausstellung an die Familie Posner erinnert.

Führung durch die Ausstellung im Stadtmuseum mit lauter Anekdoten

Dort soll ab Donnerstag für drei Tage die Chanukkia ausgestellt werden. Schon am Mittwochabend bekommen die Gäste eine private Führung von Museumsleiterin Sonja Kinzler durch ihre eigene Familiengeschichte, die plötzlich wieder zu leben beginnt.

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Nava Gilo entdeckt auf einem der Fotos in der Ausstellung ihre Mutter (blondes Mädchen, links) und ihre Tante. Auf dem Foto darunter ist links ihr Großvater Arthur Posner zu sehen.

Nava Gilo entdeckt auf einem der Fotos in der Ausstellung ihre Mutter (blondes Mädchen, links) und ihre Tante. Auf dem Foto darunter ist links ihr Großvater Arthur Posner zu sehen.

Da hängt etwa dieses überdimensionale Foto von der Abfahrt der Familie am Kieler Hauptbahnhof, dem Beginn ihrer Flucht ins belgische Antwerpen. Arthur und Rosi Posner stehen vor dem Zug, vor ihnen die drei Töchter. Es ist der 11. Juni 1933. Die jüdische Gemeinde verabschiedet die Familie, bringt Geschenke mit. Nava Gilo zeigt auf ein unscheinbares, verpacktes Präsent, das Arthur Posner auf diesem Bild in der Hand hält: „Da ist eine Servierplatte aus Silber drin, mit dem eingravierten Datum. Wir haben sie noch heute.“ Da staunt selbst die Museumsleiterin.

Einstiger Rabbiner Arthur Posner lud 400 ehemalige Kieler zur Hochzeit der Tochter ein

Ihr Bruder zitiert seinen Großvater, der zum Abschied am Bahnhof einst gesagt haben soll: „Es gibt keine Zukunft für Juden in Deutschland, aber wohin ihr geht, vergesst nicht, dass ihr Kieler seid.“ Dann erzählt er, wie seine Großeltern zur Hochzeit seiner Eltern 400 Menschen eingeladen haben, die einst in Kiel, mittlerweile aber in der ganzen Welt verstreut lebten. Es kam niemand, aber die Anekdote steht für sich: Die Stadt Kiel lag den Posners noch viele Jahre nach der Flucht am Herzen.

Und den Enkelkindern ebenfalls: Als Yehuda Mansbach vor drei Monaten erfährt, dass ein Mann gestorben ist, der einst in Kiel lebte, fährt er kurzerhand zu dessen Beerdigung – und wird von dessen Familie erkannt. „Als wir Kinder waren“, sagt Mansbach, „waren all die, die aus Kiel kamen, eine große Familie.“

Ein beeindruckender Museumsbesuch für die Nachfahren der Familie Posner: Yehuda Mansbach (li.) und Nava Gilo mit ihrem Mann Motke lesen, was andere Besucher vor ihnen über die Ausstellung auf kleine Zettel geschrieben haben. Ein Verfasser schrieb nur: „Danke, Rahel!“.

Ein beeindruckender Museumsbesuch für die Nachfahren der Familie Posner: Yehuda Mansbach (li.) und Nava Gilo mit ihrem Mann Motke lesen, was andere Besucher vor ihnen über die Ausstellung auf kleine Zettel geschrieben haben. Ein Verfasser schrieb nur: „Danke, Rahel!“.

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Organisiert wurde der Besuch in Kiel vom Freundeskreis Yad Vashem mit Sitz in Berlin. Dessen Geschäftsführerin Ruth Ur begleitet die Nachfahren in diesen Tagen. Es habe ein Jahr gebraucht, um Vertrauen zu der Familie aufzubauen. Kiel sei tief in ihren Herzen, es bestehe bei den Enkeln „eine starke Verbindung, ohne die Stadt zu kennen“. Der erste Eindruck jedenfalls überzeugte: Faszinierend sei die Ausstellung. „Wir sind immer wieder überrascht, wie berühmt dieses Foto ist“, sagt Motke Gilo.

Erst Besuch beim Oberbürgermeister, dann beim Bundespräsidenten

Am Donnerstag stehen die nächsten Treffen an: Da empfängt sie Oberbürgermeister Ulf Kämpfer im Kieler Rathaus, es folgt ein Gespräch mit Schülerinnen und Schülern der Toni-Jensen-Schule, am Freitag eine Stadttour an Orte des jüdischen Lebens in Kiel. Am Sonnabend kehren sie zurück nach Berlin. Am kommenden Montag begrüßt sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue. Es ist dann der zweite Tag des jüdischen Lichterfestes Chanukka. Als hätte dieser historische Besuch nicht schon genug Symbolkraft.

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