Streit um Tiere

Staatsanwältin auf der Anklagebank

Foto: Zirkuschefin Liane Köllner-Weisheit zeigte den Kieler Nachrichten im Jahr 2014 Fotos der beschlagnahmten Raubkatzen.

Zirkuschefin Liane Köllner-Weisheit zeigte den Kieler Nachrichten im Jahr 2014 Fotos der beschlagnahmten Raubkatzen.

Kiel. Das ist ziemlich beispiellos in Schleswig-Holsteins Justizgeschichte: Eine Staatsanwältin findet sich wegen schwerer Rechtsverstöße auf der Anklagebank wieder. Ihretwegen gingen Tierhalter auf die Barrikaden, Justizministerium und Generalstaatsanwalt schritten ein. Der Fall beschäftigte auch Landtagsabgeordnete. Die 42-jährige Juristin soll als Dezernentin für Tierschutz bei der Staatsanwaltschaft Kiel das Recht gebeugt haben, als sie Dutzende Tiere beschlagnahmen und notverkaufen ließ – unter Missachtung der Widerspruchsrechte der Besitzer.

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Zu den Tieren gehörte Elefantendame "Gitana" vom Zirkus Las Vegas. Auch Tiger, Löwen und Krokodile soll die Juristin aus Zirkussen abtransportiert und per Notverkauf unter anderem nach Belgien vermittelt haben. Ebenso wechselten Rinder, Pferde, Hunde, Kaninchen und Katzen die Besitzer – ohne dass die Betroffenen Gelegenheit erhielten, dagegen anzugehen.

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Sie mussten laut Anklage ansehen, wie ihre Tiere verladen und weggeschafft wurden – oft unterstützt von einem entsprechenden Polizeiaufgebot. Das im Rechtsstaat zwingend gebotene rechtliche Gehör fanden die Eigentümer demnach nicht.

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Seit 2014 wird gegen Staatsanwältin ermittelt

Auf Anordnung des Generalstaatsanwalts ermitteln Staatsanwälte aus Itzehoe seit 2014 gegen die Beamtin. Sie werfen der Kollegin Rechtsbeugung, Verfolgung Unschuldiger und Diebstahl vor. In vier Anklagen trugen sie bisher zehn Fälle zusammen, bestätigt Oberstaatsanwalt Peter Müller-Rakow. Weitere könnten folgen. Überprüft werden etwa 30 Vorgänge aus den Jahren 2011 bis 2014, sagt der Sprecher der Itzehoer Staatsanwaltschaft. Zu Einzelheiten der Anklage er sich mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht äußern.

Auch der Strafverteidiger der 42-Jährigen, Klaus Ulrich Ventzke, aus der Hamburger Kanzlei Strate und Ventzke und ausgewiesener Experte für Revisionsrecht, will derzeit keine Stellungnahme abgegeben, wie er auf Anfrage sagte.

Seine Mandantin ist vorläufig des Dienstes enthoben – ihre Bezüge wurden um 25 Prozent gekürzt. Ihre Klage dagegen wies das Verwaltungsgericht Schleswig als unbegründet ab - und eröffnete ihr düstere Aussichten: Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen, so die Richter Mitte Juni, gebe es „keine ernstlichen Zweifel daran“, dass „die Entfernung der Antragstellerin aus dem Dienst als Ergebnis des … Disziplinarverfahrens überwiegend wahrscheinlich“ ist. Dies gelte auch für die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

Verurteilung ist wahrscheinlich

Auch in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht muss die dort Angeklagte demnach mit einer Verurteilung rechnen. Dies erscheine „angesichts der geschilderten tatsächlichen Ereignisse … und der Ermittlungen und Beweismittel in der Anklageschrift“ ebenfalls überwiegend wahrscheinlich, meinen die Verwaltungsrichter. Für Rechtsbeugung drohen laut Strafgesetzbuch zwischen einem und fünf Jahren Haft. Bei der Verfolgung Unschuldiger sind es zehn Jahre.

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In ihrer Entscheidung sind die Verwaltungsrichter sehr deutlich: Es gehöre zu den dienstlichen Pflichten einer Staatsanwältin, Straftaten rechtsstaatlich aufzuklären und Beschuldigten ein neutrales Verfahren zu gewährleiten. Eine Beamtin, die „systematisch verfahrenswidrig Rechtsschutz verwehrt“, um eigene Vorstellungen von Rechtsmäßigkeit durchzusetzen, verletze das in sie gesetzte Vertrauen aufs Schwerste. „Jeder Eindruck, eine Staatsanwältin würde nicht als neutrale Vertreterin der staatlichen Strafverfolgung tätig werden, sondern ihre eigenen Wertvorstellungen tatkräftig über die des geltenden Rechts stellen, beschädigt das unverzichtbare Vertrauen in die strikte Bindung des Verwaltungshandelns an Recht und Gesetz und damit die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung.“

Prozessbeginn 2018 scheint ungewiss

Im Justizministerium erinnert man sich für die zurückliegenden 20 Jahren nur an ein vergleichbares Strafverfahren. Es betraf einen Amtsrichter, sagt Ministeriumssprecher Wolf Gehrmann. Der Betroffene wurde 2006 wegen Rechtsbeugung und weiterer Straftaten rechtskräftig verurteilt - zu sechs Jahren und neun Monaten Haft.

Nun ist erneut das Kieler Landgericht am Zug, das auch den damaligen Fall verhandelte. Es muss die Anklagen der Staatsanwaltschaft Itzehoe zulassen, bevor das Hauptverfahren eröffnet werden kann. Doch die Entscheidung zieht sich. Die Prüfung der komplexen Sachverhalte dauere an, sagt Gerichtssprecher Sebastian Pammler auf Anfragen immer wieder. Ein Prozessbeginn noch in diesem Jahr scheint ungewiss: „Ich kann nichts dazu sagen. Haftsachen haben Vorrrang“, sagt Pammler.

Finanzministerium erhöht Etat für Abfindungen und Entschädigungen

Das Finanzministerium hat unterdessen im Haushaltsentwurf für 2019 den Etat für Abfindungen und Entschädigungen von 450000 Euro auf fünf Millionen Euro erhöht. Einen Zusammenhang mit Entschädigungsforderungen von Tierbesitzern bestätigte Sprecher Patrick Tiede nicht. Doch die Schadensersatzforderungen an den Staat dürften in die Millionen gehen.

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Allein ein Züchter aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde, bei dem 57 Pferde beschlagnahmt und verkauft wurden, will Medienberichten zufolge über eine Million Euro verlangen. 1,5 Millionen Euro sollen es bei einer früheren Rechtsanwältin aus dem Kreis Plön sein. Sie verlor nach eigenen Angaben durch den Einsatz der Staatsanwältin nicht nur ihre drei Doggen, sondern auch ihren guten Namen und die Rechtsanwaltszulassung.

Von dpa

KN

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