Keine Spur mehr von 320 Ungarinnen
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Im Steinbergwald schräg gegenüber des Seehofes hat die Baracke gestanden, in der Anfang Mai die Ungarinnen untergebracht wurden, sagt Karsten Dölger.
© Quelle: Anja Rüstmann
Plön. 14 Tage, die aber keine Spuren in Plön hinterlassen haben. Für die Ungarinnen waren es die wohl wichtigsten Tage ihres Lebens. Nach Ghetto und Konzentrationslager wurde ihnen hier ihre Freiheit wiedergegeben.
30 Jahre lang hat sich Dölger mit der Geschichte der jüdischen Ungarinnen befasst – seit 1988, als ihr Schicksal in einer Schulprojektwoche am Gymnasium Schloss Plön Thema für einen alternativen Stadtrundgang durch Plön wurde. Bis zu seiner Pensionierung vor einem Jahr und darüber hinaus sammelte er Informationen, recherchierte in Archiven, nahm Kontakt zu Angehörigen auf und befasste sich mit dem Schicksal der rund 320 Frauen. Sie kamen per Zug mit angehängten Munitionswagen aus einem KZ in der Nähe von Bremen. Bei Angriffen britischer Tiefflieger in der Nähe von Eutin verloren viele ihr Leben. Hinter Timmdorf kam es wieder zum Beschuss. Die Frauen verließen die Güterwaggons und machten sich zu Fuß weiter auf den Weg.
Am Plöner Güterbahnhof angekommen, folgte der nächste Angriff. Dölger recherchierte, dass die Frauen über die Lütjenburger Straße in den Wald östlich des Parnaß geführt wurden. Als am Abend die SS-Aufseherinnen sie zum Zug zurückbringen wollten, nutzten einige die Gelegenheit zur Flucht. Die anderen weigerten sich, die Waggons zu besteigen. Die Auseinandersetzung zog sich über Stunden. Als am 4. Mai eine britische Vorhut in Plön eintraf, verschwand offensichtlich die SS. Die Ungarinnen flüchteten wieder in den Parnaßwald. Zerlumpt, ohne etwas zu essen. Es soll heftig geregnet haben.
Karsten Dölger zitiert Zeitzeugin Käthe Waag, die Erinnerungen an das Kriegsende gesammelt hatte. Inzwischen gibt es kaum mehr Plöner, die noch wissen, was damals in der Stadt geschah. Die Ungarinnen zogen bettelnd umher, in der Rautenbergstraße, dem Appelwarder aber auch in Wittmoldt. Am Strandweg in der Nähe des Bahnhofs haben sie ihre Kleidung gewaschen und anschließend über Sträucher zum Trocknen aufgehängt.
Als am 8. Mai die Engländer nach Plön kamen, verbesserte sich endlich die Lage der Ungarinnen. Dölger recherchierte, wo sie in den folgenden Tagen untergebracht wurden. In einer Baracke gegenüber des Seehofes kamen die meisten von ihnen unter. Das Gebäude, das zum Steinbergschlösschen gehörte, steht schon lange nicht mehr. Die Bäume hier sind bereits hoch gewachsen. „Überreste dieser Baracke habe ich aber auf dem Gelände gesehen“, sagt Dölger.
Am 17. Mai verließen die Frauen Plön wieder. Zunächst ging es in ein Sammellager nach Haffkrug, Anfang Juli dann per Lkw und Bahn nach Budapest. Ilonka Pfeffer war nicht dabei. Sie starb am 1. Juli im Plöner Krankenhaus und wurde in einem Einzelgrab auf dem Friedhof an der Eutiner Straße beigesetzt. 16 bei Timmdorf getöteten Ungarinnen aus dem Massengrab wurden Anfang der 60er-Jahre auf die zentrale Kriegsgräberstätte Schleswig-Karbeg umgebettet. Ilonka Pfeffer wurde offensichtlich vergessen. Ihr Grab schließlich auch. Laut altem Lageplan müsste es etwa dort, wo der Zaun zum jetzigen Bauhof steht, gelegen haben. Nichts erinnert mehr daran. Bis auf den detailliert recherchierten Bericht von Karsten Dölger im Jahrbuch für Heimatkunde 2017 (ISSN: 0343-0952).
KN