Ursache der Sturmflut 1872: So kam es zur großen Flut-Katastrophe an der Ostsee
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Die Ostsee-Sturmflut 1872: So kam es in Eckernförde zur Flut-Katastrophe. Das Foto zeigt den Vogelsang 21 in Eckernförde und die Sturmschäden an der Rosenkate.
© Quelle: hfr/Stadtarchiv Eckernförde
Eckernförde. „Oh Jammer! Der letzte Tag hat Unglück gebracht, wie man seit Menschengedenken nicht erlebt.“ So hat die damals 13 Jahre alte Clara Lübbes aus Eckernförde das Hochwasser in der Ostsee 1872 in ihrem Tagebuch beschrieben.
Tatsächlich gilt die Sturmflut vom 13. November 1872 als die größte Hochwasserkatastrophe der Ostsee an der westlichen Küste. Es suchte die Ostseeküste von Dänemark bis Pommern in der Nacht vom 12. auf den 13. November 1872 heim. Der höchste Wasserstand bei der Flut-Katastrophe: etwa 3,30 Meter über Normalnull.
1872 Sturmflut trifft Eckernförde besonders hart
Eckernförde trug schwerste Hochwasser-Schäden von der großen Flut 1872 davon. Das Stadtgebiet war überflutet, Häuser wurden zerstört, Familien obdachlos, Rathaus und St.-Nicolai-Kirche standen unter Wasser. Weil der Wasserstand der Sturmflut von 1872 den höchsten je gemessenen Wert in der deutschen Ostsee mit sich brachte, wird der damalige Wasser-Höchststand noch heute als Grundlage für Küstenschutzbauwerke in Eckernförde verwendet. An vielen Orten erinnern Wasserstand-Markierungen an die Ostsee-Sturmflut in 1872, am 13. November.
Doch was war die Ursache für die Sturmflut in 1872? Wie konnte das Wasser der Ostsee sich vor 150 Jahren zu einer solch gewaltigen Sturmflut aufbauen? Forscherinnen haben anhand von Wetterdaten Antworten gesucht und gefunden.
Ostseehochwasser am 13. November 1872: Flut überrascht die Menschen
Eine Ursache für das Hochwasser in der Ostsee 1872: Die Menschen waren überrascht. „Die Ostsee gilt im Vergleich zur Nordsee allgemein als friedlich bezüglich Sturmhochwasserereignissen. So traf es die Küstenbewohner auch völlig unvorbereitet, als in der Nacht vom 12. zum 13. November 1872 im Bereich der deutschen und dänischen Ostseeküste ein Nordostorkan eine in jener Gegend nie dagewesene Hochwasserkatastrophe auslöste“, schrieben Gudrun Rosenhagen vom Deutschen Wetterdienst und Ingrid Bork vom Bundesamt für Seeschifffahrt 2008 in ihrer Rekonstruktion der Sturmflutwetterlage.
Für ihre Untersuchung trugen die beiden Wissenschaftlerinnen Messwerte des Luftdrucks und der Temperatur aus dem November 1872 von mehr als 175 Stationen zusammen, die verteilt über fast ganz Europa lagen. Wasserhöhen ermittelten sie anhand von historischen Pegelständen und Simulationen.
Forscherinnen ermitteln Ursache der Ostsee-Sturmflut 1872
Rosenhagen und Bork unterteilten die Wetterlage im November 1872 in drei Abschnitte. Vom 1. bis 10. November 1872 bestimmte demnach über einen ungewöhnlich langen Zeitraum tiefer Druck über dem Nordmeer und Skandinavien das Wetter mit vorwiegend westlichen bis südwestlichen und zeitweise stürmischen Winden. So wurde das Wasser über Skagerrak und Kattegat in die Ostsee gepresst.
Die Wassermassen wurden dort weiter nach Osten gegen die baltischen und finnischen Küsten gedrückt, wodurch sich eine Schräglage mit hohen Wasserständen in der östlichen Ostsee und geringeren im Westen ausbildete. „Dies verstärkte den Zufluss von der Nordsee her weiter, die Ostsee füllte sich auf“, schrieben die Forscherinnen in ihrer Rekonstruktion.
Am 10. November 1872 änderte sich das Wetter. Ein atlantisches Tief zog Richtung Mitteleuropa. In Skandinavien stieg wegen eines Hochs der Luftdruck. Von Westen her setzte über der Ostsee eine vorübergehende Schwachwindperiode ein. Die Folge: Das Ostseewasser strömte zurück nach Westen. Der Geograf Prof. Dr. Horst Sterr, der jahrelang an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel forschte und Experte für Küsten und Naturgefahren ist, sprach von einem Badewanneneffekt: Das im Osten aufgestaute Wasser schwappte während der Sturmflut 1872 zurück nach Westen.
So blieb das Wetter bis zum Tag der Ostsee-Sturmflut am 13. November 1872. Über der Ostsee wehte ein Ost- bis Nordostwind, der stärker wurde. Mehr und mehr Wasser wurde nach Westen transportiert. Die Wasserstände an den deutschen und süddänischen Ostseeküsten stiegen. Vor Usedom und Rügen stiegen die Pegel um rund zwei Meter, in Travemünde wurden 3,30 Meter über dem mittleren Wasserstand gemessen, in Kiel 3,17 Meter und in Flensburg 3,27 Meter.
Hochwasser der Ostsee 1872: Alle Hintergründe auf KN-online
Alle Artikel über das Hochwasser in der Ostsee 1872 können Sie auf KN-online nachlesen. Auf der Themenseite zur Sturmflut finden Sie Berichte, Fotos und Hintergründe.
Am Morgen des 13. November 1872 wurde das Wetter extremer. Der Nordoststurm erreichte Orkanstärke. „Mit kräftigem Windstau und hohem Seegang erreichte die Hochwasserkatastrophe ihren Höhepunkt“, so Rosenhagen und Bork. Im Laufe des 13. November 1872 ließ der Wind nach und drehte auf östliche Richtung. Die Pegel in der Ostsee fielen langsam wieder.
Das Ostsee-Hochwasser in Eckernförde 1872 führte zu schwersten Sturmschäden. Denn die Eckernförder Bucht ist weit nach Nordosten geöffneten – jene Richtung, aus der der Orkan 1872 das Wasser der Ostsee vor sich her trieb.
Historische Bilder der 1872 Sturmflut in Eckernförde
Aus historischen Dokumenten und Hochwassermarken lässt sich ableiten, dass das Sturmhochwasser von 1872, zumindest über die vergangenen 900 Jahre, eine einmalige Flut-Katastrophe an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste darstellt. Es ist auch das bisher letzte Hochwasser in Schleswig-Holstein, bei dem Menschen ums Leben kamen.
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Clara Lübbes schrieb am 14. November über das Hochwasser in Eckernförde 1872 in ihr Tagebuch: „Am Jungfernstieg stand kein heiles Haus. Mobilien, Balken, Wagen, Böte und Fischernetze trieben sich zwischen den Bäumen umher, große Schutthaufen versperrten den Weg. Hier und da sah man Leute ihr Hab und Gut suchen und über das verlorene bitterlich weinen. Kurz, es war ein Jammer, den man nicht beschreiben mag.“