Antisemitismus im Netz: „Die mediale Wucht hat sich in der Corona-Pandemie noch verstärkt“

Die Doku „Jud Süß 2.0″ zieht eine Verbindung zwischen NS-Propaganda und Online­antisemitismus.

Die Doku „Jud Süß 2.0″ zieht eine Verbindung zwischen NS-Propaganda und Online­antisemitismus.

Herr Moeller, wieso betiteln Sie Ihren Dokumentarfilm über heutigen Online­­antisemitismus mit „Jud Süß 2.0“?

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In früheren Filmen habe ich mich viel mit NS-Filmpropaganda beschäftigt – besonders mit den antisemitischen Spielfilmen, allen voran mit Veit Harlans „Jud Süß“ von 1940, in dem in historisch verfälschender Weise die Geschichte des jüdischen Bankiers und Juweliers Joseph Süß Oppenheimer erzählt wird, der im 18. Jahrhundert Finanzberater des Herzogs von Württemberg war. Jetzt wollte ich eine Verbindung zur Gegenwart herstellen. Ich wollte den Bogen spannen in den digitalen Raum. In den Webvideos von heute lassen sich erschreckende Parallelen finden.

Welcher Weg führt vom Hetzfilm „Jud Süß“ zum Antisemitismus der Gegenwart?

Bei „Jud Süß“ handelt es sich um einen sogenannten Vorbehaltsfilm, er ist also immer noch unter Verschluss. Er dürfte gar nicht frei und ohne historische Einrahmung verfügbar sein, erst recht nicht im Internet. Im Nationalsozialismus wurde er gezielt KZ-Wachmannschaften vorgeführt, die dann noch brutaler gegen ihre Gefangenen vorgingen. Dieser Film kam wie andere auch einem Mordinstrument gleich.

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Felix Moeller

Felix Moeller

Und der Film ist dennoch im Internet zu finden?

Tatsächlich wird „Jud Süß“ heute auf irgendwelchen Servern immer wieder hochgeladen. Insgesamt werden NS-Materialien recycelt und mit aktuellen antijüdischen Botschaften versehen. Dieselben Dämonisierungen, Feindbilder und Verschwörungsgeschichten werden aktiviert. In „Jud Süß“ gibt es zum Beispiel eine Szene, in der sich ein langer Zug von Juden durchs Stadttor nach Stuttgart bewegt. Heute wird dieses Motiv in Ungarn als Propaganda gegen Flüchtlinge verwendet.

Was beunruhigt Sie am Netz-Antisemitismus besonders?

Die Verbreitung. Sie ist enorm, auch wenn inzwischen die großen Onlineplattformen wie Youtube, Instagram oder Twitter versuchen, die Flut an judenfeindlichen Videos einzudämmen. Gewitzte User finden sie mit wenigen Klicks aber immer wieder, vor allem auf Messengerdiensten wie Telegram. Antisemitische Ideologen teilen diese Beiträge oft mit mehr als 100.000 Followern. Diese mediale Wucht ist neu und hat sich in der Corona-Pandemie noch verstärkt.

Antijüdische Inhalte werden etwa mit Rap transportiert oder über Onlinegames.

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Wieso fördert die Pandemie Antisemitismus?

Wenn eine tiefe Krise herrscht, gewinnt der Antisemitismus an Zulauf. Davon können jüdische Gemeinden berichten, das ist ein altbekannter Reflex. Auch die Ergebnisse von internationalen Recherchestellen belegen diesen Zusammenhang. In Krisen wird nach Schuldigen gesucht, die zum Beispiel angeblich Impfstoffe kontrollieren. Das wissen Cyber-Antisemiten genau.

Sind Jugendliche durch Antisemitismus im Netz besonders gefährdet?

Junge Menschen sind in diesen Onlineforen extrem präsent. Die Inhalte sind für sie gut kompatibel: Antijüdische Inhalte werden etwa mit Rap transportiert oder über Onlinegames. Es gibt Spiele, in denen der Avatar einer Hitler-Figur nachempfunden ist und Gewalt an Jüdinnen und Juden verübt. Dieses Spiel ist so brutal, dass ich es gar nicht in meiner Doku zeigen kann.

Ist die menschenfeindliche Ideologie für Jugendliche in jedem Fall so klar erkennbar?

Nein, und das ist eine weitere Gefahr. Arglos werden Codes geteilt, die nur Eingeweihte verstehen. Nehmen Sie den „Happy Merchant“, den „glücklichen Kaufmann“, bei dem unterschwellig mit vermeintlichen jüdischen Physiognomien gespielt wird. Der „Merchant“ ist einer, der angeblich von der Krise profitiert. Auch der Begriff „Rothschild“ ist so ein antisemitisches Codewort oder „Wer zieht die Fäden?“.

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Wie weit verbreitet ist dieser Antisemitismus?

Er findet sich durchaus auch in der Populärkultur, ein eindrückliches Beispiel dafür ist „Harry Potter“. Auch wenn die Filme um den Zauberlehrling gewiss nicht antisemitisch sind. Und doch wirken hier judenfeindliche Zerrbilder weiter: Bei „Harry Potter“ tauchen Kobolde auf, sogenannte Goblins, kleine, missgestaltete Wesen mit Hakennase, geldgierig und hinterhältig. Altbekannte Stereotype werden bedient.

Bleibt der Online­antisemitismus im virtuellen Raum?

Wir wissen, dass die Radikalisierung im Onlinebereich in Einzelfällen zu tatsächlicher physischer Gewalt geführt hat – in den USA und auch bei uns. Der Attentäter, der 2019 den Anschlag auf die Synagoge in Halle verübte, war bestens in Onlinecommunitys vernetzt.

Ist dieser Zusammenhang den Ermittlern sofort aufgefallen?

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Tatsächlich mussten sie ein wenig gedrängt werden. Geholfen haben dabei in Halle die aktiven Nebenkläger. Gerade ist die Dokumentation des Prozesses erschienen: Die Ermittler sind lange von der These des einsamen Wolfs ausgegangen. Sie haben nicht wirklich geschaut, mit wem sich der Täter im Internet zusammengeschlossen und was er dort konsumiert hatte. Da gibt es sicherlich noch einiges aufzuklären.

Lässt sich gegen die Hetze im Netz etwas mit den Mitteln des Netzes tun?

Die Betreiber etwa der Verschwörungsplattform Telegram sitzen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Man kommt offenbar nicht an sie ran. Es würde helfen, den Usern hierzulande mit strafrechtlichen Mitteln auf die Füße zu treten – also all jenen, die diese hetzerischen Inhalte teilen und verbreiten. Es wird auch durchaus etwas getan: In Bayern etwa gibt es eine Antisemitismus-Staatsanwaltschaft.

Wie fühlt sich ein Regisseur, der in diese Untiefen des Cyber-Antisemitismus geklettert ist und sich dort wochenlang umgeschaut hat?

Furchtbar. Es war eine psychisch belastende Zeit für mich. Ich wusste manchmal gar nicht, was schlimmer ist: die modernisierte Form des Antisemitismus oder das historische Material. Ich hoffe, dass ich mit meinem Dokumentarfilm dazu beitragen kann, antisemitische Symbole zu dechiffrieren. Gerade in diesen Tagen, da ja auch an die Wannseekonferenz erinnert wird und der Holocaust-Gedenktag begangen wird.

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Der Dokumentarfilm „Jud Süß 2.0“ von Regisseur Felix Moeller ist am Dienstag, 25. Januar, um 22.45 Uhr auf Arte zu sehen – und darüber hinaus abrufbar in der Sendermediathek.

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