Datenanalyse: Der „Tatort“ stellt die Mordstatistik auf den Kopf

In den „Tatort“-Folgen mit Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) gibt es traditionell viele Leichen.

In den „Tatort“-Folgen mit Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) gibt es traditionell viele Leichen.

Hannover. Die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland Opfer einer Gewalttat zu werden, nimmt auf lange Sicht ab. Starben in Deutschland 1994 noch 1482 Menschen durch Mord und Totschlag, so waren es 2018 „nur“ noch 699. Diese Entwicklung dürfte viele überraschen, sind doch Gewaltverbrechen in den Medien präsenter denn je. Die neuen technischen Möglichkeiten bringen das Geschehen immer näher an die Zuschauer heran, zum Beispiel wenn Videos von Attentaten im Internet kursieren. Auch die Unterhaltungsbranche konfrontiert die Zuschauer mit immer mehr Gewalt.

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26 Tote in einer einzigen „Tatort“-Folge

Diese These stützt eine Analyse des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), das die Todesfälle in der Fernsehserie „Tatort“ von 1994 bis 2018 ausgewertet und mit der tatsächlichen Kriminalitätsstatistik des Bundeskriminalamts verglichen hat. Dabei zeigt sich, dass sich die Fiktion spiegelbildlich zur Wirklichkeit entwickelt: Kamen die Drehbuchautoren der ARD anfangs noch mit 26 Toten pro Jahr aus, lag die Zahl der TV-Leichen im Rekordjahr 2014 bei 127. Allein in der 2016 ausgestrahlten Folge „Im gelobten Land“ aus Stuttgart gab es 26 Tote.

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Auch in anderer Hinsicht weicht die Welt des „Tatorts“ von der kriminellen Realität ab. Das zeigen die Aufzeichnungen des „Tatort“-Fans Achim Neubauer. Seit Beginn der Fernsehserie führt der Pfarrer aus dem Oldenburger Umland akribisch Buch über jede Folge. Seiner Statistik lassen sich viele Details entnehmen: die Todesart und der Ort, sogar das jeweilige Geschlecht von Täter und Opfer. Wenig überraschend, sind die Mörder in der Regel männlich: Drei Viertel aller TV-Morde gehen auf ihr Konto. Dieser Anteil deckt sich in etwa mit der Realität. Tatsächlich waren laut Statistischem Bundesamt sogar 88 Prozent der seit 1994 verurteilten Straftäter Männer.

Opfer sind häufiger als früher Frauen

Was die Opfer angeht, ist der „Tatort“ etwas weiter von der Wirklichkeit entfernt. Im Krimi stellen auch hier die Männer drei Viertel der Leichen, nur jede vierte ist eine Frau. Tatsächlich stieg der Frauenanteil in den vergangenen Jahren immer weiter an und schwankte zuletzt um die Hälfte. Im Jahr 2015 beispielsweise wurden laut Bundeskriminalamt (BKA) 300 Frauen und 289 Männer Opfer von Mord und Totschlag. Der steigende Frauenanteil heißt allerdings nicht, dass Frauen heute gefährlicher leben als früher. Vielmehr ist die Zahl der getöteten Frauen langsamer gesunken als die der Männer.

Nimmt man die geografische Verteilung der Toten, ist der „Tatort“ mancherorts ziemlich nahe an der Realität. Etwa in Dortmund kamen 26 Menschen in den Jahren 2013 bis 2018 gewaltsam ums Leben. Währenddessen wurden an den Drehorten der Stadt 22 Filmleichen aufgebahrt. Am weitesten klaffen Fiktion und Wirklichkeit in Berlin auseinander. Im Fernsehen erscheint die Stadt mit 17 Toten vergleichsweise friedlich. In Wirklichkeit zählte das BKA 351 Opfer von Mord und Totschlag.

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Genau entgegengesetzt verhält es sich in Münster, Kiel, Bremen und Ludwigshafen mit mehr Morden im TV als im echten Leben. In Münster übertraf der Tatort die Realität sogar mit 22 zu zwölf. Dass die Zustände in der Studentenstadt für den Krimi ein wenig übertrieben werden, hat sich für die Produzenten gelohnt: Der „Münster-Tatort“ hat mit durchschnittlich mehr als 13 Millionen die mit Abstand meisten Zuschauer.

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