Der Krieg und die Talkshows: Wer am meisten diskutierte
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In mehr als einem Drittel der untersuchten Sendungen ging es um die Ukraine.
© Quelle: Gina Patan/Montage, WDR/Dirk Borm
2021 war ein Mann der unbestrittene König auf dem Talkshow-Thron: Karl Lauterbach. Die Corona-Pandemie verhalf dem heutigen Bundesgesundheitsminister zu 40 Auftritten in den fünf großen Abendtalkshows „Anne Will“, „Hart aber fair“, „Maischberger“, „Maybrit Illner“ und „Markus Lanz“. Die Nachrichtenlage aber hat sich seither radikal verändert – und mit ihr die Auswahl der Gäste in den Gesprächsrunden.
Karl Lauterbach ist mittlerweile weit von seinem Spitzenplatz entfernt, wie eine RND-Auswertung zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine zeigt. Gerade einmal sechsmal war der SPD-Politiker zu Gast, wenn es in den fünf Sendungen zwischen dem 1. Februar 2022 und dem 15. Februar 2023 um das Thema Ukraine ging. Allerdings: Alle diese Auftritte fanden bei Lanz oder Maischberger statt – also in Sendungen, in denen pro Ausgabe nicht nur ein, sondern mehrere Themen behandelt werden. In allen Sendungen mit Lauterbach ging es auch um die Corona-Pandemie.
Zahlenmäßig vorn liegen diesmal andere. Insgesamt 944 Gäste diskutierten innerhalb des Auswertungszeitraumes im engeren Sinn über die Themen Putin, Russland, Ukraine, Waffenlieferungen, Verteidigung und mehr. 18-mal davon war allein CDU-Außenexperte Norbert Röttgen in den Sendungen zu Gast. Röttgen, der auch für das gesamte Jahr 2022 mit 21 Auftritten den Titel Talkshow-König für sich verbuchen kann, ist dabei in allen Sendungen gern gesehener Gast. Der Unionspolitiker meldete sich im ersten Kriegsjahr auch abseits des Fernsehens oft zum Thema zu Wort, kritisierte etwa den Kanzler für seine mangelhafte Krisenkommunikation, forderte früh Waffenlieferungen an die Ukraine und einen Importstopp für russisches Öl und Gas.
Norbert Röttgen: „Ein solches Jahr hat es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben“
Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen resümiert im Bundestag das Jahr 2022 und spricht über zwei einschneidende Ereignisse des Jahres.
© Quelle: RND
Nicht ganz so häufig wie Röttgen, aber dennoch oft zu Gast in den politischen TV-Diskussionsrunden: die Militärexpertin Claudia Major und die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die je 16-mal zum Gespräch über den Krieg und seine Auswirkungen geladen waren. Ihnen folgen mit je 15 Sendungen Militärexperte Carlo Masala, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Unionspolitiker Roderich Kiesewetter.
Bei der Auswertung fällt vor allem auf, dass viele Gesichter besonders häufig eingeladen wurden. Gleich fünfzehn Diskutierende können zehn oder mehr Auftritte für sich verbuchen. Darunter ist mit Omid Nouripour nur ein Grünen-Politiker, die FDP hat mit Strack-Zimmermann und Alexander Graf Lambsdorff wie die Union und die SPD zwei Vertreter auf den Spitzenplätzen. AfD und Linke kommen hingegen nicht vor in der Liste mit zweistelligen Zahlen. Für die Linkspartei am häufigsten zu Gast war nach RND-Auswertung Sahra Wagenknecht mit sieben Auftritten.
Die AfD hingegen wurde insgesamt kaum zum Gespräch geladen. Nur zweimal taucht sie in den Gästelisten der Shows auf – die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla waren je einmal zu Gast.
Der Krieg – das Thema, das alles überstrahlt
Obwohl mit der Corona-Pandemie, steigenden Preisen und dem Klimawandel zahlreiche Krisen das Jahr prägten, wurde über den Krieg, Russland, Kremlchef Putin sowie über Verteidigungs- und Außenpolitik mit Abstand am häufigsten gesprochen. In 304 Sendungen wurden insgesamt mehr als 570 Themen behandelt, 205-mal ging es um die Ukraine – mit 36 Prozent das mit Abstand bestimmende Thema.
Auch über die Inflation und mögliche Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger wurde gemeinsam mit der Vielfalt an Krisen besonders häufig diskutiert (19 Prozent). Danach klafft eine weite Lücke. Lediglich 25-mal kam das Klima – häufig aufgehängt an Klimaprotesten – oder verwandte Themen wie Verkehr, Artensterben und Landwirtschaft zur Sprache. Gesundheitsthemen wie Corona oder Affenpockeninfektionen waren 29-mal Thema.
Allerdings: Als Anfang Dezember die Kinderkliniken an ihre Grenzen gelangten, war das Gesundheitssystem im Land kein Sendungsaufhänger. Stattdessen wurde die Fußball-WM in Katar diskutiert (fünfmal) – oder gezeigt.
Fast doppelt so oft wie um das Klima und Gesundheitsthemen, aber immer noch deutlich seltener als um den Krieg drehten sich die Gespräche um die politischen Parteien selbst, die Ampelkoalition oder Wahlen. 14-mal ging es um Flüchtlinge und Integration, die deutsche Wirtschaft, der Arbeitsmarkt und der drohende Fachkräftemangel waren 20-mal Thema.
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Wordcloud: Welche Begriffe in den Sendungstiteln von „Anne Will“, „Hart aber fair“ und „Maybrit Illner“ besonders häufig vorkamen.
© Quelle: Wortwolken
Nach der Ukraine und Russland lag der Diskussionsfokus nach der Auswertung des RND vor allem auf einem Land, das nach einem Jahr Krieg derzeit mit Spekulationen um mögliche Waffenlieferungen an den Kreml besonders im Mittelpunkt steht: China. 14-mal wurde über die chinesische Politik oder die Politik gegenüber China gesprochen.
Methodik
Wie wir bei der Auswertung vorgegangen sind
Für die Auswertung wurden die Themen- und Gästelisten der fünf Sendungen „Anne Will“, „Hart aber fair“, „Maischberger“, „Maybritt Illner“ und „Markus Lanz“ zwischen dem 1. Februar 2022 und dem 15. Februar 2023 erfasst. Bei Sendungen, die mehrere Themen behandelten, wurde die Sendung dann ebenfalls als Ukraine-Sendung gewertet, wenn das Thema ein Teil der Sendung war. Sendungen über Geflüchtete, Inflation oder weitere Themen wurden hinzugezählt, wenn sie explizit als direkte Kriegsfolge diskutiert wurden. Daher kann es zu Abweichungen gegenüber anderen Auswertungen kommen.