Ende der Sklaverei, Anfang von Freiheit? Warum „Das Geständnis der Frannie Langton“ noch immer aktuellen Bezug hat
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Verbotene Liebe: Hausherrin Marguerite Benham (Sophie Cookson, links) und ihre Bedienstete, die ehemalige Sklavin Frannie Langton (Karla Simone-Spence) in einer Szene der Miniserie „Das Geständnis der Frannie Langton“ (ab 9. Februar bei Magenta TV).
© Quelle: Magenta TV
„Weißt du, wie man einen Löffel benutzt?“, fragt Mrs. Linux (Pooky Quesnel), Rangoberste der Dienerschaft in der Londoner Stadtvilla der Benhams, gehässig. Sie wirft der neuen Hilfskraft im Haus, der schwarzen Frannie (Karla-Simone Spence), die Dienstkleidung vor die Füße. Später liest sie der Neuen aus einem Buch vor, wonach Afrikanerinnen und Afrikaner von Natur aus langsam und faul seien. Die Freiheit würde bei solchen Wesen nur „den Teufel wachrufen“. „Ich kann hier nicht bleiben“, sagt die ehemalige Sklavin später zu dem weißen Dienstmädchen, als sie die Treppenstufen vor der Villa gemeinsam schrubben. „Du wirst dich daran gewöhnen“, sagt die. Wird sie – auf unverhoffte Weise.
„Das Geständnis der Frannie Langton“ ist ein TV-Vierteiler nach dem gleichnamigen Debütroman der schwarzen Schriftstellerin Sara Collins, der das Publikum ins London des Jahres 1826 führt. Im Empire ist der Sklavenhandel zwar seit 1807 verboten, in den Kolonien wie Jamaika aber dauert es noch bis 1838, bis die Regierung den Riegel endgültig vorschiebt. Als der Plantagenbesitzer Langton (Steven Mackintosh, „Luther“) Frannie seinen englischen Geschäftspartner Benham (Stephen Campbell Moore, „Krieg der Welten“) besucht und ihm seine Dienerin Frannie „schenkt“, ist das streng genommen kein Handel.
Die Freiheit ist nicht das Ende des Rassismus
Die Sklavin ist nun frei – aber ihr neues Zuhause ist natürlich keine progressive Sphäre, in der man alle Menschen als gleich ansieht. Sitzen Schwarze am Tisch mit Weißen, dann ist dies unausgesprochen eine Gnade. Erheben sie – aufgefordert – das Wort, scheint es die weißen Herrschaften Mühe zu kosten, zuzuhören. Erst recht, wenn sie Kritik an ihrer Situation vortragen.
Zu Beginn der Miniserie – Spoileralarm! – trifft der Zuschauer die Heldin Frannie in einer verfänglichen Situation an. Sie wird mit ihrer Herrin im Bett erwischt. Und Linux, jener Typ hexenhafter, ältlicher Drakonissima, die man aus Daphne du Mauriers „Rebecca“ (und der Verfilmung von Alfred Hitchcock) kennt, scheint zu wissen, dass Blut unterm Laken und die Mylady nicht mehr am Leben ist. Unten am Fuß der Treppe findet sich auch noch der ebenfalls entleibte Lord Benham. Frannie hat keine Erinnerung, sie stand am Abend der amourösen Zweisamkeit unter der Wirkung von Laudanum. Die Schuld wird ihr zugewiesen. Es ist die Schuld der Hautfarbe. Ihr droht die Todesstrafe. Wir tauchen ein in ihre Erinnerungen.
Auch die Hausherrin ist nicht Herrin ihres Lebens
Es ist eine Kriminalgeschichte, die aus einer Liebesgeschichte hervorgeht, die wiederum der Tragödie neuzeitlicher Sklavenhaltung entspringt. Karla-Simone Spence spielt die Frannie eindrucksvoll mit einer Mischung aus Unglauben und Selbstbewusstsein, was einem das Unrecht, das ihrer Figur widerfährt, stets vor Augen hält. Sophie Cookson ist anmutig in der Unsicherheit der Mrs. Benham, in der die Konventionen gären – wohl ist sie Herrin des Hauses, aber auf andere Weise als Frannie ist sie nicht die Herrin ihres Lebens. Beider lesbisches Glück erscheint als eine hoffentlich unentdeckt bleibende Insel im Nebel – im schier endlosen Ozean männlicher Dominanz.
Das Geschehen wird in Weichzeichner abgebildet. In den romantischen Szenen scheint sich das Bild geradezu zu verflüssigen, man fühlt sich fast an unsägliche Nymphen-Erotika wie „Bilitis“ (1977) oder „Zärtliche Cousinen“ (1980) des umstrittenen britischen Fotografen David Hamilton erinnert. In den Nahaufnahmen wirken die Frisuren und Gewänder der beiden Frauen dann nicht mehr epochengebunden, sondern zeitlich nicht klar zuweisbar. Was einem Plan von Regisseurin Andrea Harkin und Collins, die auch das Drehbuch schrieb, zu folgen scheint.
Frannie war die Assistentin eines grausamen Möchtegernforschers
Die des Doppelmords Beschuldigte erzählt ihren Besuchern im Gefängnis – dem Pflichtverteidiger Pettigrew (Henry Pettigrew) oder ihrer besten Freundin, der selbstbewussten schwarzen Hure Sal (herausragend: Amarah-Jae St. Aubyn) – von ihrem Leben in London und ihrer Liebe, von ihrer Kindheit und Jugend in Jamaika. Es wird dem Zuschauer enthüllt, dass es der Engländer Benham war, der den Möchtegernwissenschaftler John Langton aus der Distanz von Jamaika menschenverachtende Vermessungen und abscheuliche Experimente gestattete, die vermeintlichen Unterschiede in den Menschenrassen auszuarbeiten und festzuhalten.
Frannie musste ihm assistieren: „Ich habe in diesem Kutschenhaus Dinge gesehen“, sagt sie, „die ich bis heute nicht vergessen habe. Aber schlimmer als die Dinge, die ich gesehen habe, sind die Dinge, die ich getan habe.“
Die Heldin erkauft sich den Aufstieg innerhalb der Dienerschaft
Und sie kann kaum ertragen, dass Benham konsterniert und schockiert tut – der Freund habe das Erlaubte weit überschritten – doch in Wahrheit nur aufgebracht ist, weil der Menschenquäler Langton es wagte, nach England zu kommen. Was den tadellosen Edelmann Benham in eine gesellschaftlich missliche Lage bringen könnte. Geschworen hatte sich Frannie, dass, sollte sie dem Urheber aller Pein eines Tages begegnen, „er das spüren werde“.
Nun fordert Benham von der Bediensteten eine Unterschrift, die der Lüge Vorschub leisten soll, es sei alles gut auf Jamaika. „So etwas wie einen glücklichen Sklaven gibt es nicht“, versichert ihm die aufgebrachte Frannie. Nutzt dessen Bedrängnis aber aus, ihre Stellung im Haus zu verbessern: Sie wird die Zofe seiner Frau, ihre Sekretärin – und ihre Geliebte. „Ich kann nicht beweisen, dass ich es nicht war, nicht einmal mir selbst“, sagt Frannie später im Gefängnis zu Sal. Ist sie am Ende doch eine, die Gerechtigkeit werden ließ, wo Gerichte nie hinsähen, eine Gerechte, Rächerin, Mörderin?
Da nur zwei der vier Episoden zur Ansicht gewährt werden, wissen wir das nicht, glauben es aber auch nicht. Und der Krimi, ein klassischer Whodunnit, ist auch nur Mittel zum Zweck in diesem Historiendrama. Es geht vielmehr um den ersten abschätzigen, vorurteilsbeladenen, den alles entscheidenden Blick der sich überlegen fühlenden Weißen auf Menschen, die zunächst nur eine andere Hautfarbe als sie selbst haben. Es geht darum, dass dieser Unterschied den oder die Blickende blind macht für ein tieferes Betrachten des Gegenüber, für ein Einfühlen und Gleichfühlen.
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Hier geht die Rechnung von Collins und Harkin auf. Auch nach dem Ende des Sklavenhandels, der gewährten Freiheit, der vereinzelten vorgeschützten Inklusion bleibt dieser Blick – nicht nur bei Rassisten und Rassentheoretikern, die wie Langton glauben, im Dienste der Wissenschaft „negroes“ untersuchen, verletzen und töten zu dürfen. Er wird im England des Jahres 1827 geworfen und fällt im Europa des 21. Jahrhunderts noch immer – etwa auf die Geflüchteten aus Afrika, Syrien oder Afghanistan. Der Andere, der Fremde, ist andersartig und will nur Anteil haben an dem, worauf er keinen Anspruch hat. Warum bleibt er nicht unter seinesgleichen? Sankts-Martins-Lieder werden gesungen, geteilt wird nicht, dafür furchtsam das Trennende betont.
Die Dummheit des Rassismus zieht sich in einer quälerisch langsamen Zeitlupe, im Schneckentempo aus der Welt zurück. Das Zeitalter der Erniedrigung von Gleichen ist nicht vorbei. Solange Menschen andere Menschen als zweitklassig, unterlegen, minderwertig ansehen, solange dieser Blick noch geworfen wird, das ist die Botschaft dieser Serie, sind Geschichten wie die des Lebens von Frannie Langton unverzichtbar.
„Das Geständnis der Frannie Langton“, Miniserie, vier Episoden, von Sara Collins, Regie: Andrea Harkin, mit Karla-Simone Spence, Sophie Cookson, Amarah-Jae St. Aubyn, Keira Chansa, Stephen Campbell Moore, Pooky Quesnel, Stephen Mackintosh (ab 9. Februar bei Magenta TV)