„Es ist ein ‚Lügenpresse light‘-Milieu entstanden“: Medienexperte Pörksen über die Wut auf Journalisten

Herr Pörksen, Journalisten, die über „Querdenker“-Demos und Impfskeptiker berichten, werden massiv angegriffen, beschimpft und attackiert. Woher kommt der Hass auf die Presse?

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Einerseits ist die Radikalisierung einzelner Milieus, teilweise getrieben von rechtsextremen Strategen, offensichtlich. Hier gehört die Verachtung von Journalisten und der sogenannten Mainstreammedien zum ideologischen Grundsatzprogramm und wird nach Kräften befördert und angeheizt. Andererseits gibt es den konkreten Anlass eines polarisierenden Reizthemas, nämlich die Kontroverse über die Impfpflicht, die die Politik gleich zu Beginn der Pandemie ohne große Not ausgeschlossen hat, dann entschieden einführen wollte, jetzt aber selbst zögert. Hier brauchte es – politisch beziehungsweise kommunikativ betrachtet – ein Brückennarrativ, also eine Erklärung, warum man seine Position gewechselt hat. Und hier fehlt die mutige, entschiedene Erklärung der Befürworter, die sich nach meinem Eindruck aktuell eher wegducken.

Welche Gründe für die Kritik und die zunehmenden Attacken auf Journalisten gibt es noch?

Nun, dies alles findet im dritten Jahr der Pandemie statt, also in einem Moment der Erschöpfung und der Gereiztheit. Das entschuldigt nichts. Aber das Shoot-the-messenger-Syndrom, also die Attacke auf den Boten, den Überbringer unerwünschter Nachrichten, ist ein altbekanntes Prinzip. Und schließlich ist auch in bürgerlichen Kreisen und manchmal selbst im Journalismus die Neigung zur gepflegten Medienverachtung zu beobachten. Hier ist, so könnte man sagen, eine Art „Lügenpresse light“-Milieu entstanden, das ein eigenes Fertigvokabular des Verdachts und der Verdächtigung bereithält. Aber nur um nicht missverstanden zu werden: Medienkritik ist unbedingt wichtig – das Problem ist die grundsätzlich gemeinte Verdammung. Wenn man also nicht mehr verbessern, sondern vernichten will.

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„Radikalisierung einzelner Milieus, teilweise getrieben von rechtsextremen Strategen“: Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) bei einer Demonstration in Rostock.

„Radikalisierung einzelner Milieus, teilweise getrieben von rechtsextremen Strategen“: Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) bei einer Demonstration in Rostock.

Kollegen und Berufsverbände registrieren eine zunehmende Aggressivität und ein erhöhtes Gewaltpotenzial gegen Journalisten seit den „Lügenpresse!“-Rufen in der Flüchtlingskrise 2015. Worauf führen Sie die Verschlechterung der Lage zurück? Warum wächst der Frust?

Es stimmt: Es gibt derzeit, statistisch belegbar, vermehrt Angriffe auf Journalisten. Es gibt, auch das belegen aktuelle Untersuchungen, Drohungen und Gewaltankündigungen in sozialen Netzwerken und auf Telegram, diesem medialen Zwitter zwischen Messengerdienst und Netzwerk, die kaum verfolgt werden. Und die Situation mancher Lokalreporter und freien Mitarbeiter, die ohne den Schutz und den Rückzugsraum einer großen Redaktion agieren, ist schlicht unwürdig und bedrückend. Aber es stimmt eben auch, dass es nach wie vor die vielen gibt, die sich, zumal unter pandemischen Bedingungen, weiterhin an Qualitätsmedien orientieren. Das heißt: Ich würde davor warnen, lautstarke, extrem aggressive Minderheiten – auch wenn dies im Redaktionsalltag schwerfällt – allzu schnell für das gesellschaftliche Ganze zu nehmen.

Und doch: Viele Journalisten berichten von extrem belastenden Mails, Drohungen, persönlichen Angriffen, sobald sie über „Querdenker“ berichten. Wie ließe sich ihr Leben und ihre Arbeit erleichtern, ohne dass sie die Berichterstattung einstellen?

Hier sind aus meiner Sicht drei Institutionen und Instanzen gefordert; zum einen natürlich die Redaktionen, die diejenigen, die sich in Gefahr begeben, unterstützen müssen – durch Securitykräfte, durch kollegialen und psychologischen Rat, durch Sicherheitstrainings. Zum anderen muss Polizisten konkret und vor Ort bei einer Demonstration unmissverständlich klar sein, dass der Schutz unabhängiger Berichterstattung zu ihren Kernaufgaben gehört. Und schließlich braucht es – politisch betrachtet – eine andere Entschiedenheit in der Verfolgung von Straftaten, Mordaufrufen und Einschüchterungsversuchen, die sich derzeit beispielsweise auf Telegram in Hülle und Fülle finden.

„Rückzug ins Selbstbestätigungsmilieu“: Demonstranten in Berlin Anfang Januar auf dem Weg zum ZDF-Hauptstadtstudio, wo etwa 600 Personen gegen die Corona-Berichterstattung protestierten.

„Rückzug ins Selbstbestätigungsmilieu“: Demonstranten in Berlin Anfang Januar auf dem Weg zum ZDF-Hauptstadtstudio, wo etwa 600 Personen gegen die Corona-Berichterstattung protestierten.

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Wo muss die Toleranz gegenüber Nichttoleranten enden?

Das ist die alte Frage des Freiheitsphilosophen Karl Popper. Popper sagt klar: Die Intoleranz gegenüber der Intoleranz ist nicht schön, nicht elegant, aber unvermeidlich nötig. Nur: Was heißt das konkret? Drohungen, Einschüchterungsversuche, rassistische, antisemitische, den Holocaust relativierende Einlassungen, körperliche Gewalt – das sind aus meiner Sicht die roten Linien im Konkreten. Wer dergleichen betreibt, mit dem sollte man nicht reden.

Stichwort: Emotionalisierung der öffentlichen Meinungsfindung. Juli Zeh hat kürzlich in einem „Zeit“-Interview gesagt: „Wir alle, Künstler, Politik oder Medien, operieren mittlerweile sehr stark mit der Aufmerksamkeitswährung, weil das Internet eine große Unmittelbarkeit in den Rückmeldungen schafft. Die Feedback-Schleife wird immer enger und schneller, und unter diesen Bedingungen funktionieren Emotionen am besten, weil sie Aufmerksamkeit anziehen. Daraus entsteht auch wieder eine Wechselwirkung: Wenn der Bürger mit Emotionen angesprochen wird, findet er es eben naheliegend, seine Gefühlslage für das Zentrum des Universums zu halten.“ Sehen Sie das ähnlich? Und wie ließe sich der Teufelskreis aus „immer lauter, greller, schneller“ durchbrechen?

Natürlich gibt es diese Überbietungsdynamik beziehungsweise die in der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie angelegten Anreize in Richtung des Hypes, des Superlativs, der fortschreitenden Überhitzung des Kommunikationsklimas. Das Grundproblem besteht darin, dass unser Diskursuniversum derzeit nach den Prinzipien der digitalen Erregungsindustrie neu organisiert wird. Und man weiß: Was emotionalisiert, funktioniert. Auf diese Weise hält man die Aufmerksamkeit, kann Menschen besser ausspionieren, sich ihrem Persönlichkeitsprofil konformistisch mit Werbeangeboten anschmiegen. Darüber hinaus formuliert Juli Zeh ja die Überlegung, dass die Dauergefühlsduselei eine Verkindlichung der politischen Ansprache bedingt, ganz nach dem Motto: Wir nähern uns – als Politiker – dem Wähler nicht mehr als mündiges, erwachsenes Gegenüber, sondern als therapiebedürftiges Subjekt, das Fürsorge und Verhätschelung braucht. Ich bewundere die Schärfe, mit der sie diese Idee ausführt, bin aber selbst zwiespältig.

Warum?

Weil es doch im Konkreten in der politischen Kommunikation beides braucht: die empathische, verständnissinnige, meinetwegen manchmal auch latent therapeutische Zuwendung und die entschiedene, vorausschauende Frustrationszumutung.

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Lässt sich das Vertrauen in etablierte Medien überhaupt wieder verbessern, oder halten Sie das Verhältnis zwischen Teilen des Publikums und klassischen Medien für dauerhaft zerrüttet?

Aus meiner Sicht laufen wir zunehmend auf eine Art Dreiteilung der Medienwelt zu. Es gibt diejenigen, die sich in den Katakomben der Telegram-Kanäle und in den sozialen Netzwerken einigeln, sich hier ganz in ihr Selbstbestätigungsmilieu zurückziehen, um einander permanent zu versichern, dass das mediale Establishment alle anderen manipuliert. Sie sind kaum zu erreichen. Es gibt aber nach wie vor eine überwältigende Mehrheit, die den seriösen Medien und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertraut, so zeigen die entsprechenden Studien. Dazwischen steht die Gruppe derjenigen, die zweifeln, mal berechtigte, mal unberechtigte Kritik an der journalistischen Arbeit äußern. Hier müssen sich Journalisten besonders anstrengen – durch Fehlertransparenz, durch die Aufklärung über die Gesetze der Nachrichtenauswahl und die Kosten umfassender Recherchen.

Warum zweifeln viele „Querdenker“ alles an, was in etablierten Medien steht, schenken aber umgekehrt den dubiosesten Storys ihrer eigenen Quellen uneingeschränkten Glauben? Stichwort: „selektive Loyalität“?

Das ist ein grundsätzlicher psychologischer Mechanismus. Wir Menschen sind bestätigungssüchtige Wesen. Allerdings gibt es nun mit dem Netz ein eigentlich wunderbar plastisches, bewegliches Medium, das eine eigene Logik besitzt: Es stellt vom Senderprinzip – die Redaktion schnürt das Informationspaket, zum Beispiel in Form einer gedruckten Zeitung – auf das Empfängerprinzip um. Jetzt heißt es: Der Einzelne googelt sich zusammen, was ihn interessiert und fasziniert. Eigentlich wunderbar. Aber was dadurch möglich wird, könnte man die Entfesselung des Bestätigungsdenkens nennen; man kann sich – ohne Reibung mit der Agenda der Allgemeinheit – immer neue Belege suchen, eben auch für den vollendeten Blödsinn und die menschenverachtende Ideologie.

„Immun gegen Propaganda“: Bei einer Demo demonstrieren Mitte Januar in Düsseldorf etwa 8000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung.

„Immun gegen Propaganda“: Bei einer Demo demonstrieren Mitte Januar in Düsseldorf etwa 8000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung.

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Warum ist es für manche Menschen so reizvoll, sich als Teil einer vermeintlich „erwachten“ oder „aufgeklärten“ Minderheit zu sehen, die der Mehrheit gegenübersteht?

Darf ich mal kurz ausholen? Denn jetzt reden wir, so denke ich, über die Attraktivität des verschwörungstheoretischen Verdachts. Man sagt ja als Verschwörungsmythologe gleich dreierlei. Erstens: Die offizielle Version eines Geschehens ist falsch, aber es gibt eine Wahrheit. Zweitens: Ich kann diese Wahrheit erkennen – das ist das große Erkenntniskompliment, das sich der Verschwörungsmythologe selbst macht. Drittens: Die anderen sind manipuliert, bloße Marionetten, die leider gar nicht kapieren können, wer denn tatsächlich hinter den Kulissen des Weltgeschehens seinen unheimlichen Dienst tut. Eine solche Denkweise bedient den Narzissmus und im Extremfall eine rohe Märtyrerideologie, weil man doch der Welt, notfalls gegen ihren Willen, zeigen muss, was wirklich gespielt wird. Der Philosoph Hermann Lübbe hat dies einmal erhellend „die ideologische Selbstermächtigung zur Gewalt“ genannt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ja, wenn auch nicht so gern. Denn man muss da vorsichtig sein mit der grundsätzlichen Verurteilung. Aber denken Sie nur an diejenigen Esoterikärzte, die in der Hochphase einer Pandemie falsche Maskenatteste gleich im Paket ausgestellt haben und die aus rein ideologischen Gründen Impfunfähigkeitsbescheinigungen vergeben haben – die entsprechenden Fälle sind durch die journalistische Berichterstattung dokumentiert. Sie zeigen einen spirituell beziehungsweise esoterisch verbrämten, geistig verwahrlosten Narzissmus und eine kindliche Märtyreridee, die einen selbst in den Status des einsamen Sehers und des sich opfernden Notwehrhelfers hineinkatapultiert. Denn man meint – quer zu den Befunden der Schulmedizin – erkannt zu haben, was wirklich gespielt wird.

Gibt es so etwas wie „mediale Wohlstandsverwahrlosung“ – also die nachlassende Bereitschaft, Erkenntnisse zu tolerieren, die der eigenen Haltung widersprechen, weil es anstrengend ist?

Ich würde das, was hier abläuft, etwas anders fassen, weil im Zusammenspiel von moderner Medientechnologie, digitaler Aufmerksamkeitsökonomie und allgemein menschlicher Psychologie die informationelle Überlastung programmiert ist, also die Bereitschaft zur Toleranz gegenüber anderen Ansichten aus systemischen Gründen sinken muss. Wir haben doch folgende Situation: Es gibt eine Art Wettlauf und eine Überbietungsdynamik zwischen redaktionellen und sozialen Medien, den die Schriftstellerin Jenny Odell mit einem klugen Wort als „Dringlichkeitswettrüsten“ bezeichnet. Hier wirken immer perfekter und präziser eingesetzte Trigger zur Stabilisierung von Aufmerksamkeit. Es gibt darüber hinaus immer mehr Information unklarer Herkunft. Und es gibt die professionell betriebene Verschmutzung der Informationskreisläufe, kurz und knapp: gezielte gestreute Falschnachrichten, Nonsens-Aufreger, Desinformation. Das bedeutet: In der Sofortabwehr von anderen Ansichten steckt auch ein Stück geistiger Notwehr. Dies ist einer der Gründe, warum diffamierende Schlagworte wie „Lügenpresse“ und „Fake-News“ in einzelnen Milieus so beliebt sind. Sie sortieren blitzschnell und prinzipiell. Und sie funktionieren eben auch als Entlastungsmechanismen, um unerwünschte Auffassungen gar nicht erst zur Kenntnis nehmen zu müssen, weil, wie man glaubt, grundsätzlich Misstrauen angebracht ist.

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Wie ließe sich denn die Medienkompetenz verbessern, um diese Mechanismen zu verstehen?

Ich selbst werbe seit vielen Jahren in Ministerien und auf Bildungskongressen ziemlich erfolglos für die Idee einer redaktionellen Gesellschaft, die im Kern besagt: Die Maximen des guten Journalismus müssen zu einem Element der Allgemeinbildung werden. Diese lauten beispielsweise: „Prüfe erst, publiziere später! Höre auch die andere Seite! Analysiere Deine Quellen! Argumentiere wahrheitsorientiert!“ Meine These lautet kurz und knapp, dass in diesen Maximen und Prinzipien des seriösen Journalismus heute ein Wertegerüst für alle liegt, die senden, posten, kommentieren. Und wer ist das nicht?

Die Frage ist nur: Wie kommt man dahin?

Meine Antwort: Es braucht ein eigenes Schulfach, das auf drei Säulen ruht. Zum einen auf der Medien- und Machtanalyse. Zum anderen braucht es die Medienpraxis, es gilt also, die Kunst der Rhetorik an die Schulen zurückzuholen und die Auseinandersetzung mit dem Wert des seriösen Arguments und die Auswahl von vertrauenswürdigen Quellen einzuüben. Und schließlich wäre eine Disziplin zu trainieren, die man „angewandte Irrtumswissenschaft“ nennen könnte. Hier ginge es darum, sich mit der ungeheuren Irrtumsanfälligkeit des Menschen zu befassen, um sich der Verführbarkeit durch Gerüchte, Falschnachrichten und Desinformation bewusst zu werden. – Aber ob ein solches Schulfach jemals kommt, das Ideal einer redaktionellen Gesellschaft also Wirklichkeit wird? Je länger ich darüber spreche, desto skeptischer werde ich. Dies einfach deshalb, weil die Bildungsaufgabe, die sich in der laufenden Medienrevolution verbirgt, gesellschaftspolitisch einfach noch nicht verstanden ist.

Herr Pörksen, vielen Dank für das Gespräch.

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und einer der renommiertesten Medienexperten des Landes. Kürzlich erhielt er zusammen mit dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun den Preis „Gegen Vergessen – für Demokratie“ für das gemeinsame Buch „Die Kunst des Miteinander-Redens“.

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