Facebook-Rückzug aus Europa? Das wäre problematischer, als man denkt

Der Konzern Meta steht mit den europäischen Datenschutz-Richtlinien auf Kriegsfuß.

Der Konzern Meta steht mit den europäischen Datenschutz-Richtlinien auf Kriegsfuß.

Hannover. Es ist eine Nachricht, die seit Tagen für Diskussionen sorgt: Plant der Facebook-Konzern etwa den Rückzug aus Europa?

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Hintergrund ist ein Jahresbericht des Konzerns, der inzwischen Meta heißt, an die US-Börsen­aufsichts­behörde. Darin beklagen sich die Verantwortlichen über die europäischen Daten­schutz­bestimmungen, die das Unternehmen daran hindern, Daten von Nutzerinnen und Nutzern zwischen den einzelnen Ländern hin und her zu transferieren. Könne man hier keine Einigung finden, heißt es, sei es „uns wahrscheinlich nicht möglich, Dienste wie Facebook oder Instagram in Europa anzubieten.“

Meta dementiert

Aufgefasst wird dieses Statement in verschiedenen Netz­kommentaren und Artikeln als klare Drohung, als ein Säbelrasseln eines übermächtigen Konzerns. In einem Statement hat Meta diese Deutung nun allerdings dementiert.

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„Meta droht absolut nicht damit, Europa zu verlassen“, heißt es in einer Mitteilung von Markus Reinisch, Vizepräsident Public Policy Europe bei Meta. „Alle Berichte, die (anderes) implizieren, … sind unwahr.“

Man sei als börsen­notiertes Unternehmen verpflichtet, Investoren wesentliche Risiken offenzulegen. Meta hege keinen Wunsch, sich aus Europa zurück­zu­ziehen – „natürlich nicht“: „Aber die einfache Realität ist, dass Meta, wie viele andere Unternehmen, Orgaisationen und Dienst­leistungen, auf Daten­übertragungen zwischen der EU und den USA angewiesen ist, um unsere globalen Dienste zu betreiben.“

Schulterzucken im Netz

In den sozialen Netzwerken sind die Reaktionen auf den möglichen Rückzug bislang verhalten.

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Viele Nutzerinnen und Nutzer können offenbar auch gut ohne die Facebook-Welt leben – und lassen sich eben dort zu Spott hinreißen. „Ich weine Meta und Zuckerberg keine Träne nach, soll er ruhig seine Koffer packen“, schreibt beispiels­weise einer auf Facebook. „Reisende soll man nicht aufhalten“, kommentiert ein anderer. Und ein weiterer meint: „Beides weg und gut ist.“

Wäre ein Rückzug des Konzerns also nur halb so wild? Vielleicht sogar begrüßens­wert? Nun, ganz so einfach ist es nicht.

Mehr als nur ein Internetdienst

Tatsächlich besteht die Facebook-Welt inzwischen aus deutlich mehr als nur ein paar Online­diensten. Oder um es deutlicher zu formulieren: Die Angebote des Meta-Universums haben sich tief in die Infras­trukturen des Internets und ins alltägliche Leben gegraben.

Zum Beispiel bei der Kommunikation: Der zu Meta gehörende Messenger Whatsapp ist nicht einfach nur ein Messenger – sondern der beliebteste Messenger überhaupt. Er gehört praktisch zur Standard­funktion eines jeden Smartphones. Oder anders gesagt: Die einst unantastbare Kommunikations­technologie SMS wurde durch den Dienst eines privaten Unternehmens ersetzt, das jederzeit auch einfach den Stecker ziehen könnte.

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Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht die Marktmacht des Konzerns: 58 Millionen Menschen nutzen Whatsapp allein Deutschland. Und auf Platz zwei steht mit 18,1 Millionen Nutzerinnen und Nutzern ebenfalls ein Dienst aus dem Meta-Universium: Der Facebook-Messenger.

Und Meta fischt längst auch in anderen Gefilden. Mit der App Workplace hat der Konzern vor einigen Jahren auch einen Dienst zur Kommunikation in Unternehmen auf den Markt gebracht. Hier sind ähnlich wie bei Whatsapp Gruppen, Chats und Livevideos möglich – wenn man also schon die private Kommunikation vollends in die Hände eines einzigen Unternehmens legt, hat man nun auch noch im Job die Gelegenheit dazu.

Enge Verzahnung mit anderen Plattformen

Auch an anderer Stelle hat der Meta-Konzern früh erkannt, wie wichtig die enge Verzahnung seiner Dienste mit anderen Orten des Internets ist. Schon wenige Jahre nach dem Launch von Facebook, führte das Unternehmen für Betreiber von Onlineshops und anderen Diensten eine eigene Loginfunktion ein.

Wer etwa über Buchungs­portale wie Booking.com ein Hotel buchen möchte, muss sich nicht zwangsläufig mehr mit Namen und E-Mail-Adresse dort anmelden – ein Login über Facebook reicht aus. Beim Musik­streaming­dienst Spotify war der Login über Facebook sogar lange Zeit Pflicht. Wer keinen Facebook-Account besaß, konnte den Dienst gar nicht nutzen.

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Im Umkehrschluss bedeutet das: Verschwindet Facebook, wären Millionen Nutzerkonten bei unterschiedlichsten Diensten betroffen, die von einem Tag auf den anderen in der Form nicht mehr nutzbar wären.

Harte Konsequenzen für Unternehmen

Noch abhängiger von Meta als einzelne Nutzerinnen und Nutzer sind derweil Unternehmen. Ganze Branchen vertrauen heute auf Plattformen wie Instagram. Kleine Unternehmen wie auch größere haben hier ein Profil – und die Möglichkeit, ziel­gruppen­gerechte Werbung an Konsumentinnen und Konsumenten auszuspielen, gehört für viele fest zum Geschäftsmodell.

Das Branchenmagazin „W&V“ beispielsweise zitiert in einem Artikel den Unternehmens­berater Andreas Baulig. Er hält ein mögliches Abschalten der Meta-Dienste in Europa gar für eine Katastrophe. Ein Rückzug würde insbesondere im E-Commerce massive Auswirkungen haben. „Hier sind ganze Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern davon abhängig, dass digitale Werbung funktioniert. Die werden sich massiv einschränken oder schließen müssen.“

Schon vor ein paar Monaten habe eine Änderung in Apples Betriebssystem iOS 14 gezeigt, wie abhängig viele Branchen von großen Techkonzernen sind. Das Update hatte dazu geführt, dass ziel­gruppen­gerechte Werbung auf Apple-Geräten deutlich unpräziser wurde. „Wir haben gerade im E-Commerce Fälle gesehen, wo sich schon dadurch der Umsatz halbiert hat – mit entsprechenden Konsequenzen. Man kann sich vorstellen, was bei einer kompletten Abschaltung passiert“, so Baulig.

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Ähnliche Konsequenzen dürfte eine Abschaltung auch für ehrenamtliche Organisationen haben, die Facebook und Instagram nutzen, um auf ihre Themen aufmerksam zu machen. Sie müssten sich nach neuen Plattformen umsehen. Auch Künstlerinnen und Künstler sowie Medienhäuser erzielen über die Meta-Dienste enorme Reichweiten.

Influencer vor dem Aus

Und nicht zuletzt die Werbeträger all dieser Branchen dürften einen Rückzug von Meta zu spüren bekommen, konkret: die Influencer. Deren Geschäftsmodell fußt neben der Google-Plattform Youtube vor allem auf der Meta-Plattform Instagram. Hier haben Lifestyle-, Fitness- und Beauty­sternchen teilweise Followerzahlen im Millionen­bereich. Eine Reichweite, die von einem auf den anderen Tag völlig wegbrechen würde.

Allein diese Beispiele zeigen, wie eng verzahnt der Meta-Konzern schon heute mit der restlichen Internetwelt ist, mit dem Alltag und mit der Existenz ganzer Branchen. Und aktuelle Pläne des Konzerns zeigen, dass man hier längst weiterdenkt.

Mit Oculus beispielsweise hat Meta seinen Fuß in die Welt der Virtual Reality gesetzt. Mit der Gerätefamilie „Portal“ ist man laut Meta-Konzern engsten Freunden oder Familien­mitgliedern „immer ganz nah“. Und dann wäre da auch noch Novi – ein „digitales Portemonnaie für die ganze Welt“ und Metas Einstieg ins Finanzbusiness.

Inzwischen arbeitet der Konzern gar an einem sogenannten Metaverse. Darunter versteht man eine digitale Welt, in der man mit eigenem Avatar zukünftig arbeiten, Freunde treffen, lernen und sogar Konzerte besuchen kann. Und der Konzern Meta dürfte sich damit noch weiter in die Lebens­realität seiner Nutzerinnen und Nutzer graben. Was, wenn all das dann plötzlich abgeschaltet würde?

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Experten glauben nicht an Rückzug

Dass es tatsächlich dazu kommen wird, halten Expertinnen und Experten aktuell für unwahrscheinlich. Johannes Ehrenwerth von der Agentur Boomer sagte beispielsweise dem Branchenmagazin „t3n“: „Zuckerberg wird seine Services in der EU auf keinen Fall abschalten, weil er sich damit einen seiner größten Märkte zerstören würde.“

Vielmehr rechnet Ehrenwerth damit, dass der Meta-Chef das Monopol von Facebook und Instagram als Druckmittel gegen die EU einsetzt – sich in letzter Konsequenz aber anpassen und neue Marketing­tools entwickeln wird.

Auch der EU-Abgeordnete Patrick Breyer glaubt nicht an eine tatsächliche Abschaltung der Meta-Dienste. „In Anbetracht des Profits von Meta in Europa halte ich es für ausgeschlossen, dass der Konzern seine Drohung wahr macht“, so Breyer in einer Pressemitteilung.

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Die eigene Nutzung überdenken

Ein Warnschuss ist das Säbelrasseln des Konzerns aber allemal – und eine gute Gelegenheit, die eigene Nutzung der Meta-Dienste zu hinterfragen.

Im Bereich des Messaging wäre es beispiels­weise problemlos möglich, sich mit alternativen Diensten vertraut zu machen – da gibt es bekannterweise gute und schlechte, die nicht zwangsläufig einem Megakonzern angehören.

Auch die meisten Buchungs­portale, Streaming­dienste und andere Services lassen sich von der Facebook-Plattform entkoppeln und mit klassischem E-Mail-Login nutzen. Auch bei Spotify ist es inzwischen möglich, sich anschließend klassisch über die eigene E-Mail-Adresse einzuloggen – dafür muss nur einmal das Passwort zurückgesetzt werden. Auf dieser Facebook-Seite unter dem Punkt „Deine Daten­einstellungen auf Facebook“ kann jeder überprüfen, welche Apps und Websites er mit Facebook verknüpft hat.

Die Branche der Werber und Influencer allerdings wird wohl auch in Zukunft auf die Meta-Plattformen angewiesen sein – zumindest, solange sie von fast allen genutzt werden. Da hilft nur ganz viel Optimismus, dass bloß niemand den Stecker zieht.

RND

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